Weiß bis diese Stund' nicht wie mir über den Anblick zu Muth ward'; däucht mich, ich wär auf einmal ganz veramort, wie man von dem Schöpfer der Grazien zu sa- gen pflegt. Wär auch wahrlich! nicht zu verwundern gewesen: das Helldunkel des Abendlicht's, durch die grünen Gewölbe meiner Obstbäum' hinwallend, gab der Ge- stalt des Mädchens einen Zauberreiz, daß ich mich nicht enthalten konnt', aus der Fül- le des Herzens mit Vater L. auszurufen: welch ein Gesicht voll Salbung! gut und lieblich, das wie die lieblichste Salbe alldurchdringenden Wohlgeruch ausduftet. Wer kann beschreiben den Wohlgeruch des Salboels, ausgegossen aufs Haupt des lie- ben Mädchens, sanft herabtriefend bis zum Saume des Kleides! -- Wie abgeschnit- ten war nun meine Red' auf einmal, konnt' weiter kein Wort vorbringen, winkt ihr mit der Hand mir zu folgen, und sie that's.
Wie wir so durch die Johannisbeerhecke giengen, blickt' ich so beyher von der Seite nach ihr um, das mocht' ihr wohl allerley Gedanken machen: denn ich merkt in ihrem Gesicht sichtbare Verlegenheit. Also macht ich schnell einen Bund mit meinen Augen,
das
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Weiß bis dieſe Stund’ nicht wie mir uͤber den Anblick zu Muth ward’; daͤucht mich, ich waͤr auf einmal ganz veramort, wie man von dem Schoͤpfer der Grazien zu ſa- gen pflegt. Waͤr auch wahrlich! nicht zu verwundern geweſen: das Helldunkel des Abendlicht’s, durch die gruͤnen Gewoͤlbe meiner Obſtbaͤum’ hinwallend, gab der Ge- ſtalt des Maͤdchens einen Zauberreiz, daß ich mich nicht enthalten konnt’, aus der Fuͤl- le des Herzens mit Vater L. auszurufen: welch ein Geſicht voll Salbung! gut und lieblich, das wie die lieblichſte Salbe alldurchdringenden Wohlgeruch ausduftet. Wer kann beſchreiben den Wohlgeruch des Salboels, ausgegoſſen aufs Haupt des lie- ben Maͤdchens, ſanft herabtriefend bis zum Saume des Kleides! — Wie abgeſchnit- ten war nun meine Red’ auf einmal, konnt’ weiter kein Wort vorbringen, winkt ihr mit der Hand mir zu folgen, und ſie that’s.
Wie wir ſo durch die Johannisbeerhecke giengen, blickt’ ich ſo beyher von der Seite nach ihr um, das mocht’ ihr wohl allerley Gedanken machen: denn ich merkt in ihrem Geſicht ſichtbare Verlegenheit. Alſo macht ich ſchnell einen Bund mit meinen Augen,
das
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Weiß bis dieſe Stund’ nicht wie mir uͤber
den Anblick zu Muth ward’; daͤucht mich,
ich waͤr auf einmal ganz veramort, wie
man von dem Schoͤpfer der Grazien zu ſa-
gen pflegt. Waͤr auch wahrlich! nicht zu
verwundern geweſen: das Helldunkel des
Abendlicht’s, durch die gruͤnen Gewoͤlbe
meiner Obſtbaͤum’ hinwallend, gab der Ge-
ſtalt des Maͤdchens einen Zauberreiz, daß
ich mich nicht enthalten konnt’, aus der Fuͤl-
le des Herzens mit Vater L. auszurufen:
welch ein Geſicht voll Salbung! gut und
lieblich, das wie die lieblichſte Salbe
alldurchdringenden Wohlgeruch ausduftet.
Wer kann beſchreiben den Wohlgeruch des
Salboels, ausgegoſſen aufs Haupt des lie-
ben Maͤdchens, ſanft herabtriefend bis zum
Saume des Kleides! — Wie abgeſchnit-
ten war nun meine Red’ auf einmal, konnt’
weiter kein Wort vorbringen, winkt ihr mit
der Hand mir zu folgen, und ſie that’s.
Wie wir ſo durch die Johannisbeerhecke
giengen, blickt’ ich ſo beyher von der Seite
nach ihr um, das mocht’ ihr wohl allerley
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/107>, abgerufen am 16.02.2025.
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