das liebliche Geschöpf nicht anders als mit physiognomischen Sinn zu beantlitzen; ob- gleich das Herz sich auf alle Seiten drängte einen Ausweg zu finden, und mit der Ver- nunft darüber expostulirt', wie Bileams Esel mit seinem Reuter.
Wie wir ins Haus traten, potzelement! wie gaften meine Leut' das Dosengesichtgen an, steckten die Köpf zusammen und mun- kelten unter einander, dies und das. Jch aber ließ die Frau Gertrud kommen, mein' Ausgeberinn, und band ihr das Mädchen auf die Seel' um ihrer wohl zu pflegen.
Jhren Namen und Heymath wollt' sie nicht entdecken; mit ihrem Taufnamen aber nennt sie sich Sophie, den frug ihr die Cou- sin' ab. Es verdroß mich iedoch nicht we- nig, als sie aus Spötterey als wär's Zer- streuung, das liebe Mädchen mit der alber- nen Frag' narrt': ob sie die famöse Sophie wär, die auf der Reise von Memel nach Sachsen verunglückt sey? Jch frug aber gleich was anders, daß das verschwatzt wurd'; die Sophie warf gleichwohl einen so bedeutenden Blick auf die Cousine, daß es wohl zu merken war, sie hab' die Näcke- rey empfunden.
Sie
das liebliche Geſchoͤpf nicht anders als mit phyſiognomiſchen Sinn zu beantlitzen; ob- gleich das Herz ſich auf alle Seiten draͤngte einen Ausweg zu finden, und mit der Ver- nunft daruͤber expoſtulirt’, wie Bileams Eſel mit ſeinem Reuter.
Wie wir ins Haus traten, potzelement! wie gaften meine Leut’ das Doſengeſichtgen an, ſteckten die Koͤpf zuſammen und mun- kelten unter einander, dies und das. Jch aber ließ die Frau Gertrud kommen, mein’ Ausgeberinn, und band ihr das Maͤdchen auf die Seel’ um ihrer wohl zu pflegen.
Jhren Namen und Heymath wollt’ ſie nicht entdecken; mit ihrem Taufnamen aber nennt ſie ſich Sophie, den frug ihr die Cou- ſin’ ab. Es verdroß mich iedoch nicht we- nig, als ſie aus Spoͤtterey als waͤr’s Zer- ſtreuung, das liebe Maͤdchen mit der alber- nen Frag’ narrt’: ob ſie die famoͤſe Sophie waͤr, die auf der Reiſe von Memel nach Sachſen verungluͤckt ſey? Jch frug aber gleich was anders, daß das verſchwatzt wurd’; die Sophie warf gleichwohl einen ſo bedeutenden Blick auf die Couſine, daß es wohl zu merken war, ſie hab’ die Naͤcke- rey empfunden.
Sie
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das liebliche Geſchoͤpf nicht anders als mit
phyſiognomiſchen Sinn zu beantlitzen; ob-
gleich das Herz ſich auf alle Seiten draͤngte
einen Ausweg zu finden, und mit der Ver-
nunft daruͤber expoſtulirt’, wie Bileams
Eſel mit ſeinem Reuter.
Wie wir ins Haus traten, potzelement!
wie gaften meine Leut’ das Doſengeſichtgen
an, ſteckten die Koͤpf zuſammen und mun-
kelten unter einander, dies und das. Jch
aber ließ die Frau Gertrud kommen, mein’
Ausgeberinn, und band ihr das Maͤdchen
auf die Seel’ um ihrer wohl zu pflegen.
Jhren Namen und Heymath wollt’ ſie
nicht entdecken; mit ihrem Taufnamen aber
nennt ſie ſich Sophie, den frug ihr die Cou-
ſin’ ab. Es verdroß mich iedoch nicht we-
nig, als ſie aus Spoͤtterey als waͤr’s Zer-
ſtreuung, das liebe Maͤdchen mit der alber-
nen Frag’ narrt’: ob ſie die famoͤſe Sophie
waͤr, die auf der Reiſe von Memel nach
Sachſen verungluͤckt ſey? Jch frug aber
gleich was anders, daß das verſchwatzt
wurd’; die Sophie warf gleichwohl einen
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/108>, abgerufen am 16.02.2025.
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