ne Rechnung nach, und rechnete geschwind nicht nur seinen vieliährigen Erwerb, son- dern auch sein eigenthümliches Vermögen und seinen ehrlichen Namen hinweg, daß ihm nichts übrig blieb, als Schande und der Bettelstab.
Jn dieser Verlegenheit ließ ihm der gnä- dige Herr einen Vergleich anbieten. -- Ach, ich Unglükliche! war der Preiß, um wel- chen er alle Anforderungen an meinen Va- ter zurücknehmen, und ihn bey Ehre und Gut lassen wollte. Dieser Vorschlag wur- de sehr billig gefunden, und von meinem -- -- unnatürlichen Vater angenommen. Mit der Kaltblütigkeit, mit welcher ein harther- ziger Richter einen Dieb zum Strange ver- urtheilt, entdeckte mir der Mann, der ehe- mals mein Vater gewesen war, daß ich zum Baalsopfer bestimmt sey, und belehrte mich von der Pflicht ohne Widerrede zu gehor- chen: weil es vernünftig wäre, einen Zahn drum zu geben, wenn die Schmerzen des ganzen Körpers dadurch könnten gehoben werden.
Mein schauervolles Entsetzen, meine Bit- ten und Thränen -- alles -- alles das rührte ihn so wenig, daß er mir mit kaltem
Blute
G 2
ne Rechnung nach, und rechnete geſchwind nicht nur ſeinen vieliaͤhrigen Erwerb, ſon- dern auch ſein eigenthuͤmliches Vermoͤgen und ſeinen ehrlichen Namen hinweg, daß ihm nichts uͤbrig blieb, als Schande und der Bettelſtab.
Jn dieſer Verlegenheit ließ ihm der gnaͤ- dige Herr einen Vergleich anbieten. — Ach, ich Ungluͤkliche! war der Preiß, um wel- chen er alle Anforderungen an meinen Va- ter zuruͤcknehmen, und ihn bey Ehre und Gut laſſen wollte. Dieſer Vorſchlag wur- de ſehr billig gefunden, und von meinem — — unnatuͤrlichen Vater angenommen. Mit der Kaltbluͤtigkeit, mit welcher ein harther- ziger Richter einen Dieb zum Strange ver- urtheilt, entdeckte mir der Mann, der ehe- mals mein Vater geweſen war, daß ich zum Baalsopfer beſtimmt ſey, und belehrte mich von der Pflicht ohne Widerrede zu gehor- chen: weil es vernuͤnftig waͤre, einen Zahn drum zu geben, wenn die Schmerzen des ganzen Koͤrpers dadurch koͤnnten gehoben werden.
Mein ſchauervolles Entſetzen, meine Bit- ten und Thraͤnen — alles — alles das ruͤhrte ihn ſo wenig, daß er mir mit kaltem
Blute
G 2
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ne Rechnung nach, und rechnete geſchwind
nicht nur ſeinen vieliaͤhrigen Erwerb, ſon-
dern auch ſein eigenthuͤmliches Vermoͤgen
und ſeinen ehrlichen Namen hinweg, daß
ihm nichts uͤbrig blieb, als Schande und
der Bettelſtab.
Jn dieſer Verlegenheit ließ ihm der gnaͤ-
dige Herr einen Vergleich anbieten. — Ach,
ich Ungluͤkliche! war der Preiß, um wel-
chen er alle Anforderungen an meinen Va-
ter zuruͤcknehmen, und ihn bey Ehre und
Gut laſſen wollte. Dieſer Vorſchlag wur-
de ſehr billig gefunden, und von meinem —
— unnatuͤrlichen Vater angenommen. Mit
der Kaltbluͤtigkeit, mit welcher ein harther-
ziger Richter einen Dieb zum Strange ver-
urtheilt, entdeckte mir der Mann, der ehe-
mals mein Vater geweſen war, daß ich zum
Baalsopfer beſtimmt ſey, und belehrte mich
von der Pflicht ohne Widerrede zu gehor-
chen: weil es vernuͤnftig waͤre, einen Zahn
drum zu geben, wenn die Schmerzen des
ganzen Koͤrpers dadurch koͤnnten gehoben
werden.
Mein ſchauervolles Entſetzen, meine Bit-
ten und Thraͤnen — alles — alles das
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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/105>, abgerufen am 27.07.2024.
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