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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Wie übrigens der Japaner denselben Vorgang je
nach der Auffassungsweise verschieden ausdrückt, so hat
er auch für ein und dasselbe Ding je nach seiner Er-
scheinungsform verschiedene Worte. Für uns ist Reis
gleich Reis, ob er auf dem Felde wächst oder auf dem
Speicher lagert oder in der Schüssel dampft. Nicht so
für den Japaner. Für ihn sind das lauter verschiedene
Dinge, die er auch verschieden bezeichnet. Der Reis
auf dem Feld heißt "ine", der Reis auf dem Speicher
d. h. der ungekochte "kome", der gekochte Reis, wenn
ich ihn selbst esse, "meshi", wenn ihn aber eine zweite
Person ißt d. h. in der Höflichkeitssprache "gozen", und
wenn ihn ein Kind ißt, "mama". "Ich esse "ine""
würde dem Japaner so lächerlich klingen, wie wenn
man von einem Menschen sagte, daß er Gras esse.

Es ist die Bestimmtheit der Anschauung, welche
daraus hervorleuchtet und, so indirekt die Art des
Japaners im Verkehr ist, so direkt und bestimmt ist er
im einzelnen Ausdruck. Wir sagen: "Der Vater bringt
den Kindern stets Reisegeschenke mit". Dem Japaner
ist dieses "stets" zu unbestimmt und allgemein. Der
Japaner löst auf, wo der Deutsche zusammenfaßt, ver-
einzelt, wo der Deutsche verallgemeinert, individualisiert,
wo wir generalisieren. Der Japaner denkt logisch, "stets"
das ist doch wohl "jedesmal", wenn er zurückkehrt,
und übersetzt folgerichtig: "Otottsan ga maido kodomo
ni miyage wo motte mairimasu"
.

Im Anfang meines japanischen Aufenthalts ist es
mir oft begegnet, daß ich Schüler, die mich besuchten,
fragte: "Nani gakko ye irasshaimasu ka?" wörtlich:
"Welche Schule besuchen Sie?" Nun würde der deutsche
Knabe auf eine solche Frage sofort seine Antwort geben;
hier aber wurde ich auf meine Frage gewöhnlich groß

Wie übrigens der Japaner denſelben Vorgang je
nach der Auffaſſungsweiſe verſchieden ausdrückt, ſo hat
er auch für ein und dasſelbe Ding je nach ſeiner Er-
ſcheinungsform verſchiedene Worte. Für uns iſt Reis
gleich Reis, ob er auf dem Felde wächſt oder auf dem
Speicher lagert oder in der Schüſſel dampft. Nicht ſo
für den Japaner. Für ihn ſind das lauter verſchiedene
Dinge, die er auch verſchieden bezeichnet. Der Reis
auf dem Feld heißt „ine“, der Reis auf dem Speicher
d. h. der ungekochte „kome“, der gekochte Reis, wenn
ich ihn ſelbſt eſſe, „meshi“, wenn ihn aber eine zweite
Perſon ißt d. h. in der Höflichkeitsſprache „gozen“, und
wenn ihn ein Kind ißt, „mama“. „Ich eſſe „ine“
würde dem Japaner ſo lächerlich klingen, wie wenn
man von einem Menſchen ſagte, daß er Gras eſſe.

Es iſt die Beſtimmtheit der Anſchauung, welche
daraus hervorleuchtet und, ſo indirekt die Art des
Japaners im Verkehr iſt, ſo direkt und beſtimmt iſt er
im einzelnen Ausdruck. Wir ſagen: „Der Vater bringt
den Kindern ſtets Reiſegeſchenke mit“. Dem Japaner
iſt dieſes „ſtets“ zu unbeſtimmt und allgemein. Der
Japaner löſt auf, wo der Deutſche zuſammenfaßt, ver-
einzelt, wo der Deutſche verallgemeinert, individualiſiert,
wo wir generaliſieren. Der Japaner denkt logiſch, „ſtets“
das iſt doch wohl „jedesmal“, wenn er zurückkehrt,
und überſetzt folgerichtig: „Otottsan ga maido kodomo
ni miyage wo motte mairimasu“
.

Im Anfang meines japaniſchen Aufenthalts iſt es
mir oft begegnet, daß ich Schüler, die mich beſuchten,
fragte: „Nani gakkō ye irasshaimasu ka?“ wörtlich:
„Welche Schule beſuchen Sie?“ Nun würde der deutſche
Knabe auf eine ſolche Frage ſofort ſeine Antwort geben;
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[46/0060] Wie übrigens der Japaner denſelben Vorgang je nach der Auffaſſungsweiſe verſchieden ausdrückt, ſo hat er auch für ein und dasſelbe Ding je nach ſeiner Er- ſcheinungsform verſchiedene Worte. Für uns iſt Reis gleich Reis, ob er auf dem Felde wächſt oder auf dem Speicher lagert oder in der Schüſſel dampft. Nicht ſo für den Japaner. Für ihn ſind das lauter verſchiedene Dinge, die er auch verſchieden bezeichnet. Der Reis auf dem Feld heißt „ine“, der Reis auf dem Speicher d. h. der ungekochte „kome“, der gekochte Reis, wenn ich ihn ſelbſt eſſe, „meshi“, wenn ihn aber eine zweite Perſon ißt d. h. in der Höflichkeitsſprache „gozen“, und wenn ihn ein Kind ißt, „mama“. „Ich eſſe „ine““ würde dem Japaner ſo lächerlich klingen, wie wenn man von einem Menſchen ſagte, daß er Gras eſſe. Es iſt die Beſtimmtheit der Anſchauung, welche daraus hervorleuchtet und, ſo indirekt die Art des Japaners im Verkehr iſt, ſo direkt und beſtimmt iſt er im einzelnen Ausdruck. Wir ſagen: „Der Vater bringt den Kindern ſtets Reiſegeſchenke mit“. Dem Japaner iſt dieſes „ſtets“ zu unbeſtimmt und allgemein. Der Japaner löſt auf, wo der Deutſche zuſammenfaßt, ver- einzelt, wo der Deutſche verallgemeinert, individualiſiert, wo wir generaliſieren. Der Japaner denkt logiſch, „ſtets“ das iſt doch wohl „jedesmal“, wenn er zurückkehrt, und überſetzt folgerichtig: „Otottsan ga maido kodomo ni miyage wo motte mairimasu“. Im Anfang meines japaniſchen Aufenthalts iſt es mir oft begegnet, daß ich Schüler, die mich beſuchten, fragte: „Nani gakkō ye irasshaimasu ka?“ wörtlich: „Welche Schule beſuchen Sie?“ Nun würde der deutſche Knabe auf eine ſolche Frage ſofort ſeine Antwort geben; hier aber wurde ich auf meine Frage gewöhnlich groß

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/60>, abgerufen am 24.11.2024.