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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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etwa wesentliche christliche Interessen dabei verletzt werden
könnten. Die gegenwärtige Stimmung der Evangelischen
ist ihnen genügende Bürgschaft dafür. Die evangelischen
Christen, welche auf den Ceremonienhumbug und das
Schaugepränge des Buddhismus als auf etwas Heid-
nisches mit Verachtung und Abscheu herabschauen, wünschen
nicht erst wieder, durch das Christentum dahin zurück-
geführt zu werden. Auf die niederen Klassen des Volks
mag die schöne Außenseite gerade wegen ihrer Ähnlich-
keit mit dem Buddhismus anziehend wirken, für die
urteilsfähigen Elemente ist sie aus ebendemselben Grunde
abstoßend. Die Erklärung dafür, daß das Material der
katholischen Kirchen im Vergleich zu dem der evangelischen
Mission ein minderwertiges ist, ist nicht zum wenigsten
in dieser Thatsache zu suchen.

So lange der innere Stand des japanischen Pro-
testantismus derselbe bleibt wie gegenwärtig, ist die
Frage einer Änderung zu Gunsten der kirchlichen
Ästhetik eine rein akademische. Wer dem Gottesdienste
einer protestantischen Gemeinde, welcher genau in der
Weise eines deutschen reformierten oder unierten Gottes-
dienstes verläuft, vom Anfang bis zum Schluß mit Ver-
ständnis beigewohnt hat, empfindet die vollständige Ab-
wesenheit sinnlicher Eindrücke nicht mehr als einen
Mangel. Der ganze Gottesdienst ist konzentrierte An-
dacht. Man merkt es, die Leute sind mit Kopf und
Herz, mit Leib und Seele bei der Sache. Mit Frische
und Begeisterung werden die Lieder vorgetragen, wenn
es auch manchem auf ein paar Töne höher oder tiefer
nicht ankommt; gelangweilte Gesichter, welche in unseren
Gottesdiensten als eine unausbleibliche Folge des Ge-
wohnheitschristentums so ziemlich überall vorkommen,
sind hier eine seltene Erscheinung; mit gespannter Auf-

etwa weſentliche chriſtliche Intereſſen dabei verletzt werden
könnten. Die gegenwärtige Stimmung der Evangeliſchen
iſt ihnen genügende Bürgſchaft dafür. Die evangeliſchen
Chriſten, welche auf den Ceremonienhumbug und das
Schaugepränge des Buddhismus als auf etwas Heid-
niſches mit Verachtung und Abſcheu herabſchauen, wünſchen
nicht erſt wieder, durch das Chriſtentum dahin zurück-
geführt zu werden. Auf die niederen Klaſſen des Volks
mag die ſchöne Außenſeite gerade wegen ihrer Ähnlich-
keit mit dem Buddhismus anziehend wirken, für die
urteilsfähigen Elemente iſt ſie aus ebendemſelben Grunde
abſtoßend. Die Erklärung dafür, daß das Material der
katholiſchen Kirchen im Vergleich zu dem der evangeliſchen
Miſſion ein minderwertiges iſt, iſt nicht zum wenigſten
in dieſer Thatſache zu ſuchen.

So lange der innere Stand des japaniſchen Pro-
teſtantismus derſelbe bleibt wie gegenwärtig, iſt die
Frage einer Änderung zu Gunſten der kirchlichen
Äſthetik eine rein akademiſche. Wer dem Gottesdienſte
einer proteſtantiſchen Gemeinde, welcher genau in der
Weiſe eines deutſchen reformierten oder unierten Gottes-
dienſtes verläuft, vom Anfang bis zum Schluß mit Ver-
ſtändnis beigewohnt hat, empfindet die vollſtändige Ab-
weſenheit ſinnlicher Eindrücke nicht mehr als einen
Mangel. Der ganze Gottesdienſt iſt konzentrierte An-
dacht. Man merkt es, die Leute ſind mit Kopf und
Herz, mit Leib und Seele bei der Sache. Mit Friſche
und Begeiſterung werden die Lieder vorgetragen, wenn
es auch manchem auf ein paar Töne höher oder tiefer
nicht ankommt; gelangweilte Geſichter, welche in unſeren
Gottesdienſten als eine unausbleibliche Folge des Ge-
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[368/0382] etwa weſentliche chriſtliche Intereſſen dabei verletzt werden könnten. Die gegenwärtige Stimmung der Evangeliſchen iſt ihnen genügende Bürgſchaft dafür. Die evangeliſchen Chriſten, welche auf den Ceremonienhumbug und das Schaugepränge des Buddhismus als auf etwas Heid- niſches mit Verachtung und Abſcheu herabſchauen, wünſchen nicht erſt wieder, durch das Chriſtentum dahin zurück- geführt zu werden. Auf die niederen Klaſſen des Volks mag die ſchöne Außenſeite gerade wegen ihrer Ähnlich- keit mit dem Buddhismus anziehend wirken, für die urteilsfähigen Elemente iſt ſie aus ebendemſelben Grunde abſtoßend. Die Erklärung dafür, daß das Material der katholiſchen Kirchen im Vergleich zu dem der evangeliſchen Miſſion ein minderwertiges iſt, iſt nicht zum wenigſten in dieſer Thatſache zu ſuchen. So lange der innere Stand des japaniſchen Pro- teſtantismus derſelbe bleibt wie gegenwärtig, iſt die Frage einer Änderung zu Gunſten der kirchlichen Äſthetik eine rein akademiſche. Wer dem Gottesdienſte einer proteſtantiſchen Gemeinde, welcher genau in der Weiſe eines deutſchen reformierten oder unierten Gottes- dienſtes verläuft, vom Anfang bis zum Schluß mit Ver- ſtändnis beigewohnt hat, empfindet die vollſtändige Ab- weſenheit ſinnlicher Eindrücke nicht mehr als einen Mangel. Der ganze Gottesdienſt iſt konzentrierte An- dacht. Man merkt es, die Leute ſind mit Kopf und Herz, mit Leib und Seele bei der Sache. Mit Friſche und Begeiſterung werden die Lieder vorgetragen, wenn es auch manchem auf ein paar Töne höher oder tiefer nicht ankommt; gelangweilte Geſichter, welche in unſeren Gottesdienſten als eine unausbleibliche Folge des Ge- wohnheitschriſtentums ſo ziemlich überall vorkommen, ſind hier eine ſeltene Erſcheinung; mit geſpannter Auf-

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/382>, abgerufen am 25.11.2024.