ragenden Turm, und keine Glocken laden zum Gottes- dienste. Keine hohen Festtage bringen Abwechslung in das Einerlei des kirchlichen Lebens. Die erste Woche des Jahres ist Buß- und Betwoche mit alltäglichen be- sonderen Gebetsandachten; aber die deutsche Mission ist die einzige, welche Charfreitag und Weihnachten nach deutscher Sitte mit Nachdruck feiert.
Ganz anders natürlich bei der römischen, russischen und auch bischöflichen Kirche. All den äußeren Pomp, der diesen Kirchen in der Heimat eigentümlich ist, hat man auch nach Japan hinübergepflanzt. Mehrere katholische Kirchen, ebenso wie auch die russische auf dem Surugadaihügel in Tokyo, sind einigermaßen des Namens Kathedrale würdig. Hier wendet man der ästhetischen Seite des Kultus besondere Sorgfalt zu. So gebührt z. B. der russischen Kirche die Krone der Kirchenmusik und des Choralgesanges. Ob nicht auch die evangelischen Missionen gut daran thäten, den ästhetischen Empfindungen der Japaner mehr entgegen zu kommen? Sind doch die Japaner für Sinnesein- drücke durch Auge und Ohr besonders empfänglich, und lehrt doch die Geschichte, daß der Buddhismus vor tausend Jahren und der Jesuitismus vor dreihundert Jahren ihre verblüffenden Erfolge wesentlich den äußeren Erscheinungen ihres Kultus zu verdanken haben!
Zweifellos handelt es sich hier um eine sehr nahe- liegende Frage. Aber die Beantwortung der Frage ist einer noch nicht sehr nahen Zukunft vorbehalten. Und zwar haben die Japaner selbst darüber zu entscheiden. In diesen Dingen, soweit es sich nur um den Zuschnitt der äußeren Gewandung, also um wirkliche Adiaphora handelt, läßt die Mission den eingeborenen Christen freie Hand. Sie ist vollständig beruhigt darüber, daß
ragenden Turm, und keine Glocken laden zum Gottes- dienſte. Keine hohen Feſttage bringen Abwechslung in das Einerlei des kirchlichen Lebens. Die erſte Woche des Jahres iſt Buß- und Betwoche mit alltäglichen be- ſonderen Gebetsandachten; aber die deutſche Miſſion iſt die einzige, welche Charfreitag und Weihnachten nach deutſcher Sitte mit Nachdruck feiert.
Ganz anders natürlich bei der römiſchen, ruſſiſchen und auch biſchöflichen Kirche. All den äußeren Pomp, der dieſen Kirchen in der Heimat eigentümlich iſt, hat man auch nach Japan hinübergepflanzt. Mehrere katholiſche Kirchen, ebenſo wie auch die ruſſiſche auf dem Surugadaihügel in Tokyo, ſind einigermaßen des Namens Kathedrale würdig. Hier wendet man der äſthetiſchen Seite des Kultus beſondere Sorgfalt zu. So gebührt z. B. der ruſſiſchen Kirche die Krone der Kirchenmuſik und des Choralgeſanges. Ob nicht auch die evangeliſchen Miſſionen gut daran thäten, den äſthetiſchen Empfindungen der Japaner mehr entgegen zu kommen? Sind doch die Japaner für Sinnesein- drücke durch Auge und Ohr beſonders empfänglich, und lehrt doch die Geſchichte, daß der Buddhismus vor tauſend Jahren und der Jeſuitismus vor dreihundert Jahren ihre verblüffenden Erfolge weſentlich den äußeren Erſcheinungen ihres Kultus zu verdanken haben!
Zweifellos handelt es ſich hier um eine ſehr nahe- liegende Frage. Aber die Beantwortung der Frage iſt einer noch nicht ſehr nahen Zukunft vorbehalten. Und zwar haben die Japaner ſelbſt darüber zu entſcheiden. In dieſen Dingen, ſoweit es ſich nur um den Zuſchnitt der äußeren Gewandung, alſo um wirkliche Adiaphora handelt, läßt die Miſſion den eingeborenen Chriſten freie Hand. Sie iſt vollſtändig beruhigt darüber, daß
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ragenden Turm, und keine Glocken laden zum Gottes-
dienſte. Keine hohen Feſttage bringen Abwechslung in
das Einerlei des kirchlichen Lebens. Die erſte Woche
des Jahres iſt Buß- und Betwoche mit alltäglichen be-
ſonderen Gebetsandachten; aber die deutſche Miſſion iſt
die einzige, welche Charfreitag und Weihnachten nach
deutſcher Sitte mit Nachdruck feiert.
Ganz anders natürlich bei der römiſchen, ruſſiſchen
und auch biſchöflichen Kirche. All den äußeren Pomp,
der dieſen Kirchen in der Heimat eigentümlich iſt, hat
man auch nach Japan hinübergepflanzt. Mehrere
katholiſche Kirchen, ebenſo wie auch die ruſſiſche auf
dem Surugadaihügel in Tokyo, ſind einigermaßen des
Namens Kathedrale würdig. Hier wendet man der
äſthetiſchen Seite des Kultus beſondere Sorgfalt zu.
So gebührt z. B. der ruſſiſchen Kirche die Krone der
Kirchenmuſik und des Choralgeſanges. Ob nicht auch
die evangeliſchen Miſſionen gut daran thäten, den
äſthetiſchen Empfindungen der Japaner mehr entgegen
zu kommen? Sind doch die Japaner für Sinnesein-
drücke durch Auge und Ohr beſonders empfänglich, und
lehrt doch die Geſchichte, daß der Buddhismus vor
tauſend Jahren und der Jeſuitismus vor dreihundert
Jahren ihre verblüffenden Erfolge weſentlich den äußeren
Erſcheinungen ihres Kultus zu verdanken haben!
Zweifellos handelt es ſich hier um eine ſehr nahe-
liegende Frage. Aber die Beantwortung der Frage iſt
einer noch nicht ſehr nahen Zukunft vorbehalten. Und
zwar haben die Japaner ſelbſt darüber zu entſcheiden.
In dieſen Dingen, ſoweit es ſich nur um den Zuſchnitt
der äußeren Gewandung, alſo um wirkliche Adiaphora
handelt, läßt die Miſſion den eingeborenen Chriſten
freie Hand. Sie iſt vollſtändig beruhigt darüber, daß
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/381>, abgerufen am 22.11.2024.
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