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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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der Taufe nach alter, in Japan mit Recht außer Kraft
gesetzter Sitte den Vornamen Johannes gegeben, und
es ist nicht zu leugnen, daß er es vortrefflich verstand,
sich ein dem Namen entsprechendes Aussehen zu geben.
Seine Vergangenheit war etwas abenteuerlich. Meines
Wissens war er in Shanghai getauft worden; an welcher
Mission Rockschöße er sich in Japan gehängt hat, ist
mir nicht bekannt. Auch in Europa hatte er sich auf-
gehalten, und für kurze Zeit war er als Zögling auf
einem deutschen Missionsseminar untergebracht. Niemals
habe ich einen Menschen gehört, dessen Sprache so von
gesalbten Redensarten getrieft hätte, wie die seine.
Einer meiner Kollegen wußte ein köstliches Stücklein
davon zu erzählen. Eines Tages, als Johannes wieder
einmal beschäftigungslos war, was bei seiner Unzuver-
lässigkeit nicht gerade zu den Seltenheiten gehörte, kam
er zu meinem Kollegen und im Verlaufe des Gespräches
äußerte er unter frommem Augenaufschlag und mit ge-
falteten Händen: "Ach, wenn mir der liebe Herr Jesus
doch eine Stelle schenken wollte, wo ich nicht viel zu
thun, dabei aber ein reichliches Auskommen hätte, dann
wäre mir geholfen!" Er sprach gut deutsch, und diese
seine Fertigkeit trug ihm schließlich die Stelle eines
Dolmetschers bei einem deutschen Regierungsangestellten
ein. Dieser Herr ließ sich von einer Gesellschaft von
Schwindlern bethören, sich in abenteuerliche Wald-
spekulationen einzulassen, bei denen er viele Tausende
von Dollars auf das Spiel setzte. Das Spitzbuben-
konsortium hatte seine Sache schlau eingefädelt; wenn
aber schließlich die ganzen Ersparnisse unseres Lands-
mannes auf Nimmerwiedersehen verschwanden, so hatte
er das vorzüglich der Vertrauensseligkeit zu verdanken,

der Taufe nach alter, in Japan mit Recht außer Kraft
geſetzter Sitte den Vornamen Johannes gegeben, und
es iſt nicht zu leugnen, daß er es vortrefflich verſtand,
ſich ein dem Namen entſprechendes Ausſehen zu geben.
Seine Vergangenheit war etwas abenteuerlich. Meines
Wiſſens war er in Shanghai getauft worden; an welcher
Miſſion Rockſchöße er ſich in Japan gehängt hat, iſt
mir nicht bekannt. Auch in Europa hatte er ſich auf-
gehalten, und für kurze Zeit war er als Zögling auf
einem deutſchen Miſſionsſeminar untergebracht. Niemals
habe ich einen Menſchen gehört, deſſen Sprache ſo von
geſalbten Redensarten getrieft hätte, wie die ſeine.
Einer meiner Kollegen wußte ein köſtliches Stücklein
davon zu erzählen. Eines Tages, als Johannes wieder
einmal beſchäftigungslos war, was bei ſeiner Unzuver-
läſſigkeit nicht gerade zu den Seltenheiten gehörte, kam
er zu meinem Kollegen und im Verlaufe des Geſpräches
äußerte er unter frommem Augenaufſchlag und mit ge-
falteten Händen: „Ach, wenn mir der liebe Herr Jeſus
doch eine Stelle ſchenken wollte, wo ich nicht viel zu
thun, dabei aber ein reichliches Auskommen hätte, dann
wäre mir geholfen!“ Er ſprach gut deutſch, und dieſe
ſeine Fertigkeit trug ihm ſchließlich die Stelle eines
Dolmetſchers bei einem deutſchen Regierungsangeſtellten
ein. Dieſer Herr ließ ſich von einer Geſellſchaft von
Schwindlern bethören, ſich in abenteuerliche Wald-
ſpekulationen einzulaſſen, bei denen er viele Tauſende
von Dollars auf das Spiel ſetzte. Das Spitzbuben-
konſortium hatte ſeine Sache ſchlau eingefädelt; wenn
aber ſchließlich die ganzen Erſparniſſe unſeres Lands-
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[350/0364] der Taufe nach alter, in Japan mit Recht außer Kraft geſetzter Sitte den Vornamen Johannes gegeben, und es iſt nicht zu leugnen, daß er es vortrefflich verſtand, ſich ein dem Namen entſprechendes Ausſehen zu geben. Seine Vergangenheit war etwas abenteuerlich. Meines Wiſſens war er in Shanghai getauft worden; an welcher Miſſion Rockſchöße er ſich in Japan gehängt hat, iſt mir nicht bekannt. Auch in Europa hatte er ſich auf- gehalten, und für kurze Zeit war er als Zögling auf einem deutſchen Miſſionsſeminar untergebracht. Niemals habe ich einen Menſchen gehört, deſſen Sprache ſo von geſalbten Redensarten getrieft hätte, wie die ſeine. Einer meiner Kollegen wußte ein köſtliches Stücklein davon zu erzählen. Eines Tages, als Johannes wieder einmal beſchäftigungslos war, was bei ſeiner Unzuver- läſſigkeit nicht gerade zu den Seltenheiten gehörte, kam er zu meinem Kollegen und im Verlaufe des Geſpräches äußerte er unter frommem Augenaufſchlag und mit ge- falteten Händen: „Ach, wenn mir der liebe Herr Jeſus doch eine Stelle ſchenken wollte, wo ich nicht viel zu thun, dabei aber ein reichliches Auskommen hätte, dann wäre mir geholfen!“ Er ſprach gut deutſch, und dieſe ſeine Fertigkeit trug ihm ſchließlich die Stelle eines Dolmetſchers bei einem deutſchen Regierungsangeſtellten ein. Dieſer Herr ließ ſich von einer Geſellſchaft von Schwindlern bethören, ſich in abenteuerliche Wald- ſpekulationen einzulaſſen, bei denen er viele Tauſende von Dollars auf das Spiel ſetzte. Das Spitzbuben- konſortium hatte ſeine Sache ſchlau eingefädelt; wenn aber ſchließlich die ganzen Erſparniſſe unſeres Lands- mannes auf Nimmerwiederſehen verſchwanden, ſo hatte er das vorzüglich der Vertrauensſeligkeit zu verdanken,

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/364>, abgerufen am 22.11.2024.