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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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ich bis heute nie einen Augenblick gezweifelt. In der
Gemeinde hat er große Vertrauensstellungen bekleidet.
Jedermann hatte ihn gern; denn er war äußerst liebens-
würdig und gutherzig; aber freilich -- wie das mit der
Gutherzigkeit oftmals verbunden ist -- er war schwach.
Kaum hatte er die Universität bezogen, da verheiratete
er sich. Sein Eheglück war von kurzer Dauer. Zwei
Jahre später starb seine Frau; mit zwei kleinen Kindern
blieb der junge Witwer zurück. Der junge Mann hatte
Besitzungen auf dem Lande und galt bei unseren Ge-
meindegliedern als sehr vermögend. Seine Güter wurden
von seinem Onkel verwaltet, der aber ein Schlemmer
und Trunkenbold war und in der Zeit der Unmündig-
keit seines Neffen bös gehaust hatte. Eines Tages kam
der unglückliche F. zu mir und teilte mir mit --
lachenden Mundes natürlich --, daß er durch die Miß-
wirtschaft seines Onkels zum Bettler geworden sei. So
war es. Noch hatte er zwei Jahre zu studieren, aber
er besaß keine Mittel, um sich und die Seinen durch-
zubringen. Wohl suchten wir ihm unter die Arme zu
greifen, aber eine ausgiebige Hilfe war um so weniger
möglich, als der verwöhnte Mann den Wert des Geldes
nicht zu schätzen wußte. Er nahm Geld zu Wucherzinsen
auf, und bald stak er völlig in Schulden. Die Energie
des schwachen Mannes brach bald zusammen. Er ver-
nachlässigte den Besuch der Vorlesungen und nahm eine
andere Stellung an. Von uns zog er sich immer mehr
zurück. Er ließ sich nicht mehr sehen, und wollte ich
ihn in seinem Hause besuchen, so war er "nicht daheim".
Und nun ging es rapide bergab. Allerlei böse Gerüchte
über ihn kamen mir zu Ohren, bis ich eines Tages mit
Bestimmtheit erfuhr, er beziehe zur Zeit seinen Unter-
halt von einer Witwe, bei welcher er -- Hausfreund

ich bis heute nie einen Augenblick gezweifelt. In der
Gemeinde hat er große Vertrauensſtellungen bekleidet.
Jedermann hatte ihn gern; denn er war äußerſt liebens-
würdig und gutherzig; aber freilich — wie das mit der
Gutherzigkeit oftmals verbunden iſt — er war ſchwach.
Kaum hatte er die Univerſität bezogen, da verheiratete
er ſich. Sein Eheglück war von kurzer Dauer. Zwei
Jahre ſpäter ſtarb ſeine Frau; mit zwei kleinen Kindern
blieb der junge Witwer zurück. Der junge Mann hatte
Beſitzungen auf dem Lande und galt bei unſeren Ge-
meindegliedern als ſehr vermögend. Seine Güter wurden
von ſeinem Onkel verwaltet, der aber ein Schlemmer
und Trunkenbold war und in der Zeit der Unmündig-
keit ſeines Neffen bös gehauſt hatte. Eines Tages kam
der unglückliche F. zu mir und teilte mir mit —
lachenden Mundes natürlich —, daß er durch die Miß-
wirtſchaft ſeines Onkels zum Bettler geworden ſei. So
war es. Noch hatte er zwei Jahre zu ſtudieren, aber
er beſaß keine Mittel, um ſich und die Seinen durch-
zubringen. Wohl ſuchten wir ihm unter die Arme zu
greifen, aber eine ausgiebige Hilfe war um ſo weniger
möglich, als der verwöhnte Mann den Wert des Geldes
nicht zu ſchätzen wußte. Er nahm Geld zu Wucherzinſen
auf, und bald ſtak er völlig in Schulden. Die Energie
des ſchwachen Mannes brach bald zuſammen. Er ver-
nachläſſigte den Beſuch der Vorleſungen und nahm eine
andere Stellung an. Von uns zog er ſich immer mehr
zurück. Er ließ ſich nicht mehr ſehen, und wollte ich
ihn in ſeinem Hauſe beſuchen, ſo war er „nicht daheim“.
Und nun ging es rapide bergab. Allerlei böſe Gerüchte
über ihn kamen mir zu Ohren, bis ich eines Tages mit
Beſtimmtheit erfuhr, er beziehe zur Zeit ſeinen Unter-
halt von einer Witwe, bei welcher er — Hausfreund

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[348/0362] ich bis heute nie einen Augenblick gezweifelt. In der Gemeinde hat er große Vertrauensſtellungen bekleidet. Jedermann hatte ihn gern; denn er war äußerſt liebens- würdig und gutherzig; aber freilich — wie das mit der Gutherzigkeit oftmals verbunden iſt — er war ſchwach. Kaum hatte er die Univerſität bezogen, da verheiratete er ſich. Sein Eheglück war von kurzer Dauer. Zwei Jahre ſpäter ſtarb ſeine Frau; mit zwei kleinen Kindern blieb der junge Witwer zurück. Der junge Mann hatte Beſitzungen auf dem Lande und galt bei unſeren Ge- meindegliedern als ſehr vermögend. Seine Güter wurden von ſeinem Onkel verwaltet, der aber ein Schlemmer und Trunkenbold war und in der Zeit der Unmündig- keit ſeines Neffen bös gehauſt hatte. Eines Tages kam der unglückliche F. zu mir und teilte mir mit — lachenden Mundes natürlich —, daß er durch die Miß- wirtſchaft ſeines Onkels zum Bettler geworden ſei. So war es. Noch hatte er zwei Jahre zu ſtudieren, aber er beſaß keine Mittel, um ſich und die Seinen durch- zubringen. Wohl ſuchten wir ihm unter die Arme zu greifen, aber eine ausgiebige Hilfe war um ſo weniger möglich, als der verwöhnte Mann den Wert des Geldes nicht zu ſchätzen wußte. Er nahm Geld zu Wucherzinſen auf, und bald ſtak er völlig in Schulden. Die Energie des ſchwachen Mannes brach bald zuſammen. Er ver- nachläſſigte den Beſuch der Vorleſungen und nahm eine andere Stellung an. Von uns zog er ſich immer mehr zurück. Er ließ ſich nicht mehr ſehen, und wollte ich ihn in ſeinem Hauſe beſuchen, ſo war er „nicht daheim“. Und nun ging es rapide bergab. Allerlei böſe Gerüchte über ihn kamen mir zu Ohren, bis ich eines Tages mit Beſtimmtheit erfuhr, er beziehe zur Zeit ſeinen Unter- halt von einer Witwe, bei welcher er — Hausfreund

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/362>, abgerufen am 22.11.2024.