Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Daseins gönnte und in mancher Beziehung doch auch
wieder zur Verweltlichung des Buddhismus beitrug, im
Gegensatz zu Shaka: Die Lehre von der Weltentsagung
paßte ihm nicht. Die einfache Anrufung Amidas war
auch für ihn die Hauptsache. Nicht äußeres Werk,
sondern die vertrauensvolle Hingabe an Amida Butsu,
dessen Anbetung von allen Göttern allein vonnöten ist,
macht selig. Es klingt wie aus einer monotheistischen
Erlösungsreligion heraus, wie das stammelnde Be-
kenntnis der Wahrheit im Munde eines unmündigen
Kindes. In der That sind heute noch gegenüber Amida
die übrigen hotoke in den Tempeln der Shin-shu in
den Hintergrund geschoben, wenn nicht gar völlig hin-
ausgedrängt. Aber ein Monotheismus ist es doch nicht,
nicht einmal ein Henotheismus, in dem Bewußtsein der
modernen Shinshuleute noch weniger als in dem des
Stifters. Der gewöhnliche Shinshugläubige zollt gern
auch anderen hotoke seine Verehrung, und das äußerliche
Ritual, das Shinran bekämpfte, hat auch über ihn
wieder volle Gewalt. Die Priester sind sich der Sekten-
unterschiede mehr oder weniger bewußt, aber von
dem Volke gilt das nur in sehr bescheidenem Maße.
Noch vorsichtiger als mit Bezug auf den angeblichen
Monotheismus der Shinshu gilt es ihrem "evangelischen"
Charakter gegenüber zu sein. Die vertrauensvolle Hin-
gabe an Amida fällt dem gemeinen Volk -- inwieweit
es wohl auch bei dem Stifter der Fall gewesen sein
mag? -- zusammen mit dem Spruch: "Namu Amida
Butsu", "ich vertraue auf Amida Buddha", und als
eine Art Zauberspruch gebraucht und in der Regel in
vielfacher Wiederholung hintereinander gesprochen, wird
diese ganze "vertrauensvolle Hingabe" schließlich zum
äußerlichen Lippenwerk und Zauberwahn. Kluge Shin-

Daſeins gönnte und in mancher Beziehung doch auch
wieder zur Verweltlichung des Buddhismus beitrug, im
Gegenſatz zu Shaka: Die Lehre von der Weltentſagung
paßte ihm nicht. Die einfache Anrufung Amidas war
auch für ihn die Hauptſache. Nicht äußeres Werk,
ſondern die vertrauensvolle Hingabe an Amida Butſu,
deſſen Anbetung von allen Göttern allein vonnöten iſt,
macht ſelig. Es klingt wie aus einer monotheiſtiſchen
Erlöſungsreligion heraus, wie das ſtammelnde Be-
kenntnis der Wahrheit im Munde eines unmündigen
Kindes. In der That ſind heute noch gegenüber Amida
die übrigen hotoke in den Tempeln der Shin-ſhū in
den Hintergrund geſchoben, wenn nicht gar völlig hin-
ausgedrängt. Aber ein Monotheismus iſt es doch nicht,
nicht einmal ein Henotheismus, in dem Bewußtſein der
modernen Shinſhūleute noch weniger als in dem des
Stifters. Der gewöhnliche Shinſhūgläubige zollt gern
auch anderen hotoke ſeine Verehrung, und das äußerliche
Ritual, das Shinran bekämpfte, hat auch über ihn
wieder volle Gewalt. Die Prieſter ſind ſich der Sekten-
unterſchiede mehr oder weniger bewußt, aber von
dem Volke gilt das nur in ſehr beſcheidenem Maße.
Noch vorſichtiger als mit Bezug auf den angeblichen
Monotheismus der Shinſhū gilt es ihrem „evangeliſchen“
Charakter gegenüber zu ſein. Die vertrauensvolle Hin-
gabe an Amida fällt dem gemeinen Volk — inwieweit
es wohl auch bei dem Stifter der Fall geweſen ſein
mag? — zuſammen mit dem Spruch: „Namu Amida
Butſu“, „ich vertraue auf Amida Buddha“, und als
eine Art Zauberſpruch gebraucht und in der Regel in
vielfacher Wiederholung hintereinander geſprochen, wird
dieſe ganze „vertrauensvolle Hingabe“ ſchließlich zum
äußerlichen Lippenwerk und Zauberwahn. Kluge Shin-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0243" n="229"/>
Da&#x017F;eins gönnte und in mancher Beziehung doch auch<lb/>
wieder zur Verweltlichung des Buddhismus beitrug, im<lb/>
Gegen&#x017F;atz zu Shaka: Die Lehre von der Weltent&#x017F;agung<lb/>
paßte ihm nicht. Die einfache Anrufung Amidas war<lb/>
auch für ihn die Haupt&#x017F;ache. Nicht äußeres Werk,<lb/>
&#x017F;ondern die vertrauensvolle Hingabe an Amida But&#x017F;u,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Anbetung von allen Göttern allein vonnöten i&#x017F;t,<lb/>
macht &#x017F;elig. Es klingt wie aus einer monothei&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Erlö&#x017F;ungsreligion heraus, wie das &#x017F;tammelnde Be-<lb/>
kenntnis der Wahrheit im Munde eines unmündigen<lb/>
Kindes. In der That &#x017F;ind heute noch gegenüber Amida<lb/>
die übrigen <hi rendition="#aq">hotoke</hi> in den Tempeln der Shin-&#x017F;h<hi rendition="#aq">&#x016B;</hi> in<lb/>
den Hintergrund ge&#x017F;choben, wenn nicht gar völlig hin-<lb/>
ausgedrängt. Aber ein Monotheismus i&#x017F;t es doch nicht,<lb/>
nicht einmal ein Henotheismus, in dem Bewußt&#x017F;ein der<lb/>
modernen Shin&#x017F;h<hi rendition="#aq">&#x016B;</hi>leute noch weniger als in dem des<lb/>
Stifters. Der gewöhnliche Shin&#x017F;h<hi rendition="#aq">&#x016B;</hi>gläubige zollt gern<lb/>
auch anderen <hi rendition="#aq">hotoke</hi> &#x017F;eine Verehrung, und das äußerliche<lb/>
Ritual, das Shinran bekämpfte, hat auch über ihn<lb/>
wieder volle Gewalt. Die Prie&#x017F;ter &#x017F;ind &#x017F;ich der Sekten-<lb/>
unter&#x017F;chiede mehr oder weniger bewußt, aber von<lb/>
dem Volke gilt das nur in &#x017F;ehr be&#x017F;cheidenem Maße.<lb/>
Noch vor&#x017F;ichtiger als mit Bezug auf den angeblichen<lb/>
Monotheismus der Shin&#x017F;h<hi rendition="#aq">&#x016B;</hi> gilt es ihrem &#x201E;evangeli&#x017F;chen&#x201C;<lb/>
Charakter gegenüber zu &#x017F;ein. Die vertrauensvolle Hin-<lb/>
gabe an Amida fällt dem gemeinen Volk &#x2014; inwieweit<lb/>
es wohl auch bei dem Stifter der Fall gewe&#x017F;en &#x017F;ein<lb/>
mag? &#x2014; zu&#x017F;ammen mit dem Spruch: &#x201E;Namu Amida<lb/>
But&#x017F;u&#x201C;, &#x201E;ich vertraue auf Amida Buddha&#x201C;, und als<lb/>
eine Art Zauber&#x017F;pruch gebraucht und in der Regel in<lb/>
vielfacher Wiederholung hintereinander ge&#x017F;prochen, wird<lb/>
die&#x017F;e ganze &#x201E;vertrauensvolle Hingabe&#x201C; &#x017F;chließlich zum<lb/>
äußerlichen Lippenwerk und Zauberwahn. Kluge Shin-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0243] Daſeins gönnte und in mancher Beziehung doch auch wieder zur Verweltlichung des Buddhismus beitrug, im Gegenſatz zu Shaka: Die Lehre von der Weltentſagung paßte ihm nicht. Die einfache Anrufung Amidas war auch für ihn die Hauptſache. Nicht äußeres Werk, ſondern die vertrauensvolle Hingabe an Amida Butſu, deſſen Anbetung von allen Göttern allein vonnöten iſt, macht ſelig. Es klingt wie aus einer monotheiſtiſchen Erlöſungsreligion heraus, wie das ſtammelnde Be- kenntnis der Wahrheit im Munde eines unmündigen Kindes. In der That ſind heute noch gegenüber Amida die übrigen hotoke in den Tempeln der Shin-ſhū in den Hintergrund geſchoben, wenn nicht gar völlig hin- ausgedrängt. Aber ein Monotheismus iſt es doch nicht, nicht einmal ein Henotheismus, in dem Bewußtſein der modernen Shinſhūleute noch weniger als in dem des Stifters. Der gewöhnliche Shinſhūgläubige zollt gern auch anderen hotoke ſeine Verehrung, und das äußerliche Ritual, das Shinran bekämpfte, hat auch über ihn wieder volle Gewalt. Die Prieſter ſind ſich der Sekten- unterſchiede mehr oder weniger bewußt, aber von dem Volke gilt das nur in ſehr beſcheidenem Maße. Noch vorſichtiger als mit Bezug auf den angeblichen Monotheismus der Shinſhū gilt es ihrem „evangeliſchen“ Charakter gegenüber zu ſein. Die vertrauensvolle Hin- gabe an Amida fällt dem gemeinen Volk — inwieweit es wohl auch bei dem Stifter der Fall geweſen ſein mag? — zuſammen mit dem Spruch: „Namu Amida Butſu“, „ich vertraue auf Amida Buddha“, und als eine Art Zauberſpruch gebraucht und in der Regel in vielfacher Wiederholung hintereinander geſprochen, wird dieſe ganze „vertrauensvolle Hingabe“ ſchließlich zum äußerlichen Lippenwerk und Zauberwahn. Kluge Shin-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/243
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/243>, abgerufen am 17.05.2024.