selbe in flehenden Tönen, klingelte dazu mit Handschellen und begleitete diese Gebetsceremonie oft mit Tanz.
Durch die Anrufungsformel hat die Jodosekte dem religiösen Leben ein ganz neues Moment eingefügt, das ihm bis heute im höchsten Grade verblieben ist. Die Gebetsformel geht dem modernen Buddhisten über alles. Wo immer er anbetet, im Tempel, vor dem hotoke, gebraucht er seine Formel. Sie ist ihm wie ein Zauberspruch, der auch verschlossene Thüren öffnet und das Herz des hotoke in Wohlwollen ihm zuneigt. Sie ist in Wirklichkeit das einzige Gebet der meisten Be- kenner des Buddhismus, deren ganzes Gebetsleben in dem Hersagen des Zauberspruches aufgeht.
Die Gebetsformel hat eine allgemeine Verbreitung erlangt durch die Shin- oder Montosekte, eine Tochter der Jodo, die aber ihre Mutter bald überragte und bis zum heutigen Tag an Einfluß und Zahl ihrer Bekenner unbestritten den ersten Platz behauptet. Ihr Begründer ist Honens größerer Schüler Shinran. Die Shin-shu (shu-Sekte) hat man den protestantischen Zweig des japanischen Buddhismus genannt. Nicht ohne ein ge- wisses Recht. Wie Luther, so verwarf auch Shinran die äußeren Werke wie Fasten, Wallfahrten und Re- liquienverehrung. Er widersprach dem Mönchtum und der Ehelosigkeit der Priester. Er verheiratete sich selbst und den Priestern seiner Sekte ist es gestattet, dasselbe zu thun. Verwirft er auch die Meditation, so hat er doch seiner Sekte philosophische Neigungen eingeimpft. Mehr aber noch hat er versucht, aus dem Schutt eines veräußerlichten Rituals die hochstehende Sittenlehre seiner Religion hervorzugraben. Aber freilich, schon mit Bezug auf die Grundlage dieser Moral stand er, der selbst den Priestern die Freude und Genüsse des
ſelbe in flehenden Tönen, klingelte dazu mit Handſchellen und begleitete dieſe Gebetsceremonie oft mit Tanz.
Durch die Anrufungsformel hat die Jōdōſekte dem religiöſen Leben ein ganz neues Moment eingefügt, das ihm bis heute im höchſten Grade verblieben iſt. Die Gebetsformel geht dem modernen Buddhiſten über alles. Wo immer er anbetet, im Tempel, vor dem hotoke, gebraucht er ſeine Formel. Sie iſt ihm wie ein Zauberſpruch, der auch verſchloſſene Thüren öffnet und das Herz des hotoke in Wohlwollen ihm zuneigt. Sie iſt in Wirklichkeit das einzige Gebet der meiſten Be- kenner des Buddhismus, deren ganzes Gebetsleben in dem Herſagen des Zauberſpruches aufgeht.
Die Gebetsformel hat eine allgemeine Verbreitung erlangt durch die Shin- oder Montoſekte, eine Tochter der Jōdō, die aber ihre Mutter bald überragte und bis zum heutigen Tag an Einfluß und Zahl ihrer Bekenner unbeſtritten den erſten Platz behauptet. Ihr Begründer iſt Hōnens größerer Schüler Shinran. Die Shin-ſhū (shū-Sekte) hat man den proteſtantiſchen Zweig des japaniſchen Buddhismus genannt. Nicht ohne ein ge- wiſſes Recht. Wie Luther, ſo verwarf auch Shinran die äußeren Werke wie Faſten, Wallfahrten und Re- liquienverehrung. Er widerſprach dem Mönchtum und der Eheloſigkeit der Prieſter. Er verheiratete ſich ſelbſt und den Prieſtern ſeiner Sekte iſt es geſtattet, dasſelbe zu thun. Verwirft er auch die Meditation, ſo hat er doch ſeiner Sekte philoſophiſche Neigungen eingeimpft. Mehr aber noch hat er verſucht, aus dem Schutt eines veräußerlichten Rituals die hochſtehende Sittenlehre ſeiner Religion hervorzugraben. Aber freilich, ſchon mit Bezug auf die Grundlage dieſer Moral ſtand er, der ſelbſt den Prieſtern die Freude und Genüſſe des
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ſelbe in flehenden Tönen, klingelte dazu mit Handſchellen
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religiöſen Leben ein ganz neues Moment eingefügt, das
ihm bis heute im höchſten Grade verblieben iſt. Die
Gebetsformel geht dem modernen Buddhiſten über
alles. Wo immer er anbetet, im Tempel, vor dem
hotoke, gebraucht er ſeine Formel. Sie iſt ihm wie ein
Zauberſpruch, der auch verſchloſſene Thüren öffnet und
das Herz des hotoke in Wohlwollen ihm zuneigt. Sie
iſt in Wirklichkeit das einzige Gebet der meiſten Be-
kenner des Buddhismus, deren ganzes Gebetsleben in
dem Herſagen des Zauberſpruches aufgeht.
Die Gebetsformel hat eine allgemeine Verbreitung
erlangt durch die Shin- oder Montoſekte, eine Tochter
der Jōdō, die aber ihre Mutter bald überragte und bis
zum heutigen Tag an Einfluß und Zahl ihrer Bekenner
unbeſtritten den erſten Platz behauptet. Ihr Begründer
iſt Hōnens größerer Schüler Shinran. Die Shin-ſhū
(shū-Sekte) hat man den proteſtantiſchen Zweig des
japaniſchen Buddhismus genannt. Nicht ohne ein ge-
wiſſes Recht. Wie Luther, ſo verwarf auch Shinran
die äußeren Werke wie Faſten, Wallfahrten und Re-
liquienverehrung. Er widerſprach dem Mönchtum und
der Eheloſigkeit der Prieſter. Er verheiratete ſich ſelbſt
und den Prieſtern ſeiner Sekte iſt es geſtattet, dasſelbe
zu thun. Verwirft er auch die Meditation, ſo hat er
doch ſeiner Sekte philoſophiſche Neigungen eingeimpft.
Mehr aber noch hat er verſucht, aus dem Schutt eines
veräußerlichten Rituals die hochſtehende Sittenlehre
ſeiner Religion hervorzugraben. Aber freilich, ſchon
mit Bezug auf die Grundlage dieſer Moral ſtand er,
der ſelbſt den Prieſtern die Freude und Genüſſe des
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/242>, abgerufen am 25.11.2024.
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