Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

und Geistern hat, sind von kindlicher Naivetät. Man
denkt sie sich nach Art von Menschen. Darum bringt
man ihnen Opfer dar, darum sucht man sie durch Tänze
und Prozessionen zu unterhalten; darum auch muß man
durch starkes Geräusch, Trommelwirbel und Schellen-
geklingel, -- viel Spektakel ist immer das Kennzeichen
niedrig stehender Kulte -- ihre Aufmerksamkeit zu er-
wecken suchen; denn es wäre ja möglich, daß sie wie
die Götter Homers gerade zufällig über Land gegangen
wären oder ein Schläfchen hielten. So wurde ich
während der Zeit meines Aufenthaltes regelmäßig
zwischen fünf und sechs Uhr morgens geweckt; dann
war die Zeit des Morgengebets für den Priester ge-
kommen, und um dem Kami die Ohren für dasselbe
zu öffnen, klopfte er erst tüchtig auf seiner großen
Trommel herum. Auch wenn sich Pilger zum o miya
nähern, ist das erste, daß die dienstthuenden Priester
den Kami durch lauten Trommelwirbel davon in Kenntnis
setzen, daß ihm wieder einmal eine Ehre widerfahren
soll. Zu gewöhnlichen Zeiten passiert ihm das selten
genug. Sind doch selbst Wochen darüber hingegangen,
bis Beter kamen, und auch dann waren es nicht mehr
als zwei oder drei. Dagegen pilgern sie im Frühling
an einigen bestimmten Wallfahrtstagen zu Hunderten
und Tausenden hinauf, lassen sich als Gegenleistung
für ihre kleinen Gaben einen Tag oder zwei in den
Priesterhäusern bewirten und ziehen dann, nachdem sie
alle im Umgrenzungsgebiet des Kami gelegenen kleinen
Schreine und heiligen Plätze besucht haben, wieder in
die Ebene hinab mit dem frohen Bewußtsein, für ein
Jahr wieder einmal ihrer religiösen Pflicht gegenüber
dem Kami genügt zu haben. Für besondere Zeiten

und Geiſtern hat, ſind von kindlicher Naivetät. Man
denkt ſie ſich nach Art von Menſchen. Darum bringt
man ihnen Opfer dar, darum ſucht man ſie durch Tänze
und Prozeſſionen zu unterhalten; darum auch muß man
durch ſtarkes Geräuſch, Trommelwirbel und Schellen-
geklingel, — viel Spektakel iſt immer das Kennzeichen
niedrig ſtehender Kulte — ihre Aufmerkſamkeit zu er-
wecken ſuchen; denn es wäre ja möglich, daß ſie wie
die Götter Homers gerade zufällig über Land gegangen
wären oder ein Schläfchen hielten. So wurde ich
während der Zeit meines Aufenthaltes regelmäßig
zwiſchen fünf und ſechs Uhr morgens geweckt; dann
war die Zeit des Morgengebets für den Prieſter ge-
kommen, und um dem Kami die Ohren für dasſelbe
zu öffnen, klopfte er erſt tüchtig auf ſeiner großen
Trommel herum. Auch wenn ſich Pilger zum o miya
nähern, iſt das erſte, daß die dienſtthuenden Prieſter
den Kami durch lauten Trommelwirbel davon in Kenntnis
ſetzen, daß ihm wieder einmal eine Ehre widerfahren
ſoll. Zu gewöhnlichen Zeiten paſſiert ihm das ſelten
genug. Sind doch ſelbſt Wochen darüber hingegangen,
bis Beter kamen, und auch dann waren es nicht mehr
als zwei oder drei. Dagegen pilgern ſie im Frühling
an einigen beſtimmten Wallfahrtstagen zu Hunderten
und Tauſenden hinauf, laſſen ſich als Gegenleiſtung
für ihre kleinen Gaben einen Tag oder zwei in den
Prieſterhäuſern bewirten und ziehen dann, nachdem ſie
alle im Umgrenzungsgebiet des Kami gelegenen kleinen
Schreine und heiligen Plätze beſucht haben, wieder in
die Ebene hinab mit dem frohen Bewußtſein, für ein
Jahr wieder einmal ihrer religiöſen Pflicht gegenüber
dem Kami genügt zu haben. Für beſondere Zeiten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0218" n="204"/>
und Gei&#x017F;tern hat, &#x017F;ind von kindlicher Naivetät. Man<lb/>
denkt &#x017F;ie &#x017F;ich nach Art von Men&#x017F;chen. Darum bringt<lb/>
man ihnen Opfer dar, darum &#x017F;ucht man &#x017F;ie durch Tänze<lb/>
und Proze&#x017F;&#x017F;ionen zu unterhalten; darum auch muß man<lb/>
durch &#x017F;tarkes Geräu&#x017F;ch, Trommelwirbel und Schellen-<lb/>
geklingel, &#x2014; viel Spektakel i&#x017F;t immer das Kennzeichen<lb/>
niedrig &#x017F;tehender Kulte &#x2014; ihre Aufmerk&#x017F;amkeit zu er-<lb/>
wecken &#x017F;uchen; denn es wäre ja möglich, daß &#x017F;ie wie<lb/>
die Götter Homers gerade zufällig über Land gegangen<lb/>
wären oder ein Schläfchen hielten. So wurde ich<lb/>
während der Zeit meines Aufenthaltes regelmäßig<lb/>
zwi&#x017F;chen fünf und &#x017F;echs Uhr morgens geweckt; dann<lb/>
war die Zeit des Morgengebets für den Prie&#x017F;ter ge-<lb/>
kommen, und um dem Kami die Ohren für das&#x017F;elbe<lb/>
zu öffnen, klopfte er er&#x017F;t tüchtig auf &#x017F;einer großen<lb/>
Trommel herum. Auch wenn &#x017F;ich Pilger zum <hi rendition="#aq">o miya</hi><lb/>
nähern, i&#x017F;t das er&#x017F;te, daß die dien&#x017F;tthuenden Prie&#x017F;ter<lb/>
den Kami durch lauten Trommelwirbel davon in Kenntnis<lb/>
&#x017F;etzen, daß ihm wieder einmal eine Ehre widerfahren<lb/>
&#x017F;oll. Zu gewöhnlichen Zeiten pa&#x017F;&#x017F;iert ihm das &#x017F;elten<lb/>
genug. Sind doch &#x017F;elb&#x017F;t Wochen darüber hingegangen,<lb/>
bis Beter kamen, und auch dann waren es nicht mehr<lb/>
als zwei oder drei. Dagegen pilgern &#x017F;ie im Frühling<lb/>
an einigen be&#x017F;timmten Wallfahrtstagen zu Hunderten<lb/>
und Tau&#x017F;enden hinauf, la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich als Gegenlei&#x017F;tung<lb/>
für ihre kleinen Gaben einen Tag oder zwei in den<lb/>
Prie&#x017F;terhäu&#x017F;ern bewirten und ziehen dann, nachdem &#x017F;ie<lb/>
alle im Umgrenzungsgebiet des Kami gelegenen kleinen<lb/>
Schreine und heiligen Plätze be&#x017F;ucht haben, wieder in<lb/>
die Ebene hinab mit dem frohen Bewußt&#x017F;ein, für ein<lb/>
Jahr wieder einmal ihrer religiö&#x017F;en Pflicht gegenüber<lb/>
dem Kami genügt zu haben. Für be&#x017F;ondere Zeiten<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0218] und Geiſtern hat, ſind von kindlicher Naivetät. Man denkt ſie ſich nach Art von Menſchen. Darum bringt man ihnen Opfer dar, darum ſucht man ſie durch Tänze und Prozeſſionen zu unterhalten; darum auch muß man durch ſtarkes Geräuſch, Trommelwirbel und Schellen- geklingel, — viel Spektakel iſt immer das Kennzeichen niedrig ſtehender Kulte — ihre Aufmerkſamkeit zu er- wecken ſuchen; denn es wäre ja möglich, daß ſie wie die Götter Homers gerade zufällig über Land gegangen wären oder ein Schläfchen hielten. So wurde ich während der Zeit meines Aufenthaltes regelmäßig zwiſchen fünf und ſechs Uhr morgens geweckt; dann war die Zeit des Morgengebets für den Prieſter ge- kommen, und um dem Kami die Ohren für dasſelbe zu öffnen, klopfte er erſt tüchtig auf ſeiner großen Trommel herum. Auch wenn ſich Pilger zum o miya nähern, iſt das erſte, daß die dienſtthuenden Prieſter den Kami durch lauten Trommelwirbel davon in Kenntnis ſetzen, daß ihm wieder einmal eine Ehre widerfahren ſoll. Zu gewöhnlichen Zeiten paſſiert ihm das ſelten genug. Sind doch ſelbſt Wochen darüber hingegangen, bis Beter kamen, und auch dann waren es nicht mehr als zwei oder drei. Dagegen pilgern ſie im Frühling an einigen beſtimmten Wallfahrtstagen zu Hunderten und Tauſenden hinauf, laſſen ſich als Gegenleiſtung für ihre kleinen Gaben einen Tag oder zwei in den Prieſterhäuſern bewirten und ziehen dann, nachdem ſie alle im Umgrenzungsgebiet des Kami gelegenen kleinen Schreine und heiligen Plätze beſucht haben, wieder in die Ebene hinab mit dem frohen Bewußtſein, für ein Jahr wieder einmal ihrer religiöſen Pflicht gegenüber dem Kami genügt zu haben. Für beſondere Zeiten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/218
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/218>, abgerufen am 25.11.2024.