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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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aber müssen es schon besondere Gründe sein, die sie zum
o miya hinaufführen.

Ist der Pilger am o miya angelangt, so zieht er
seine Sandalen oder Holzschuhe (geta) aus und steigt
die Treppen empor. Auf einer oben befindlichen Platt-
form vor dem Haiden bleibt er stehen, denn in den
Tempel hineinzugehen ist ihm nicht erlaubt. Es ist
kein unrichtiger Vergleich, wenn man diese Plattform
den Vorhof, das Haiden das Heilige und das Honden
das Allerheiligste nennt, wie sich denn auch mit Bezug
auf Speiseopfer, Reinigungen, Hohepriesteramt, Tempel-
dienst, geistige Gottesvorstellung etc. Berührungen mit
der alten israelitischen Religion finden lassen.

Bei den Tempeln, wo keine wachehabenden Priester
sind, die den Gott auf den Gläubigen aufmerksam machen,
ist eine Schelle angebracht, die der Gläubige zieht, oder
ein Gong, das er anschlägt. Darnach verneigt er sich,
klatscht in die Hände und bleibt eine Viertelminute wie
in tiefer Ehrerbietung und Andacht stehen. Darnach
ein abermaliges Händeklatschen und der ganze Gottes-
dienst ist zu Ende. Mit Worten betet er dabei nicht;
es kommt ihm nur darauf an, durch seinen Be-
such und den Erweis seiner Ehrerbietung die Gunst der
Gottheit zu gewinnen. Länger als eine halbe Minute
währt der Gottesdienst nicht, und eine andere Art des
Gottesdienstes, etwa mit Predigt und Liturgie, ist dem
Shintoisten nicht bekannt. Predigten werden nicht ge-
halten, und im allgemeinen ist der Gläubige zufrieden,
daß der Kaiser und die Priester für ihn beten. Das
ist ja doch unendlich viel wirksamer als alle Verehrung
eines einfachen Mannes, der vor dem Angesichte des
Kami wenig gilt.

Welches sind nun die Anliegen, derentwegen die

aber müſſen es ſchon beſondere Gründe ſein, die ſie zum
o miya hinaufführen.

Iſt der Pilger am o miya angelangt, ſo zieht er
ſeine Sandalen oder Holzſchuhe (geta) aus und ſteigt
die Treppen empor. Auf einer oben befindlichen Platt-
form vor dem Haiden bleibt er ſtehen, denn in den
Tempel hineinzugehen iſt ihm nicht erlaubt. Es iſt
kein unrichtiger Vergleich, wenn man dieſe Plattform
den Vorhof, das Haiden das Heilige und das Honden
das Allerheiligſte nennt, wie ſich denn auch mit Bezug
auf Speiſeopfer, Reinigungen, Hoheprieſteramt, Tempel-
dienſt, geiſtige Gottesvorſtellung ꝛc. Berührungen mit
der alten israelitiſchen Religion finden laſſen.

Bei den Tempeln, wo keine wachehabenden Prieſter
ſind, die den Gott auf den Gläubigen aufmerkſam machen,
iſt eine Schelle angebracht, die der Gläubige zieht, oder
ein Gong, das er anſchlägt. Darnach verneigt er ſich,
klatſcht in die Hände und bleibt eine Viertelminute wie
in tiefer Ehrerbietung und Andacht ſtehen. Darnach
ein abermaliges Händeklatſchen und der ganze Gottes-
dienſt iſt zu Ende. Mit Worten betet er dabei nicht;
es kommt ihm nur darauf an, durch ſeinen Be-
ſuch und den Erweis ſeiner Ehrerbietung die Gunſt der
Gottheit zu gewinnen. Länger als eine halbe Minute
währt der Gottesdienſt nicht, und eine andere Art des
Gottesdienſtes, etwa mit Predigt und Liturgie, iſt dem
Shintoiſten nicht bekannt. Predigten werden nicht ge-
halten, und im allgemeinen iſt der Gläubige zufrieden,
daß der Kaiſer und die Prieſter für ihn beten. Das
iſt ja doch unendlich viel wirkſamer als alle Verehrung
eines einfachen Mannes, der vor dem Angeſichte des
Kami wenig gilt.

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[205/0219] aber müſſen es ſchon beſondere Gründe ſein, die ſie zum o miya hinaufführen. Iſt der Pilger am o miya angelangt, ſo zieht er ſeine Sandalen oder Holzſchuhe (geta) aus und ſteigt die Treppen empor. Auf einer oben befindlichen Platt- form vor dem Haiden bleibt er ſtehen, denn in den Tempel hineinzugehen iſt ihm nicht erlaubt. Es iſt kein unrichtiger Vergleich, wenn man dieſe Plattform den Vorhof, das Haiden das Heilige und das Honden das Allerheiligſte nennt, wie ſich denn auch mit Bezug auf Speiſeopfer, Reinigungen, Hoheprieſteramt, Tempel- dienſt, geiſtige Gottesvorſtellung ꝛc. Berührungen mit der alten israelitiſchen Religion finden laſſen. Bei den Tempeln, wo keine wachehabenden Prieſter ſind, die den Gott auf den Gläubigen aufmerkſam machen, iſt eine Schelle angebracht, die der Gläubige zieht, oder ein Gong, das er anſchlägt. Darnach verneigt er ſich, klatſcht in die Hände und bleibt eine Viertelminute wie in tiefer Ehrerbietung und Andacht ſtehen. Darnach ein abermaliges Händeklatſchen und der ganze Gottes- dienſt iſt zu Ende. Mit Worten betet er dabei nicht; es kommt ihm nur darauf an, durch ſeinen Be- ſuch und den Erweis ſeiner Ehrerbietung die Gunſt der Gottheit zu gewinnen. Länger als eine halbe Minute währt der Gottesdienſt nicht, und eine andere Art des Gottesdienſtes, etwa mit Predigt und Liturgie, iſt dem Shintoiſten nicht bekannt. Predigten werden nicht ge- halten, und im allgemeinen iſt der Gläubige zufrieden, daß der Kaiſer und die Prieſter für ihn beten. Das iſt ja doch unendlich viel wirkſamer als alle Verehrung eines einfachen Mannes, der vor dem Angeſichte des Kami wenig gilt. Welches ſind nun die Anliegen, derentwegen die

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/219>, abgerufen am 22.11.2024.