Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Adresse. Ende Februar erhielt ich den Brief zurück,
beklebt mit zweiunddreißig Zettelchen. Die Postver-
waltung hatte sich die Mühe genommen, den Brief an
zweiunddreißig Adressen zu schicken. Die Arbeitskräfte
sind billig, sodaß der japanische Generalpostmeister nicht
so zu sparen braucht wie der deutsche.

In dem Staatswesen ist nichts vergessen, was bei
uns zur öffentlichen Wohlfahrt gerechnet wird. Das
Polizeiwesen, um welches sich deutsche Ratgeber verdient
gemacht haben, darf als mustergiltig bezeichnet werden.
Selbst der Fremde, der nach Japan kommt, vielleicht in
dem Gedanken, hier noch uncivilisierte Verhältnisse an-
zutreffen, fühlt sich beruhigt, wenn er die Polizisten
sieht, schmuck und sauber gekleidet, freundlich und ent-
gegenkommend in dem Bewußtsein, daß sie die Diener
und nicht die Herren der Gesellschaft sind. Die Feuer-
polizei darf sich auch großstädtischen europäischen Ein-
richtungen dieser Art getrost an die Seite stellen. Wenn
die Feuerwehr in Tokyo auch nicht zu jeder Zeit auf-
geschirrte Pferde bereitstehen hat, so ist sie mit ihren
selbstgezogenen Spritzen doch nicht weniger prompt zur
Stelle. Auch die Gesundheitspolizei vervollkommnet
sich mehr und mehr. Um der Gesundheit der Bewohner
willen scheut der Staat auch die größten Summen nicht.
Für Krankenhäuser ist gut gesorgt. Ich hatte eine
Schutzbefohlene, eine Ausländerin, die bald nach ihrer
Ankunft in Japan, von schwerer Geisteskrankheit be-
fallen, in die städtische Anstalt für Irrsinnige in Tokyo
untergebracht worden war. Ich kam infolgedessen oft
dahin, und wenn auch in Anbetracht der japanischen
Lebensweise die Anstalt kein wünschenswerter Aufent-
halt für mein Mündel war, so daß ich Sorge trug,
daß sie in die Heimat verbracht wurde, so machte das,

12*

Adreſſe. Ende Februar erhielt ich den Brief zurück,
beklebt mit zweiunddreißig Zettelchen. Die Poſtver-
waltung hatte ſich die Mühe genommen, den Brief an
zweiunddreißig Adreſſen zu ſchicken. Die Arbeitskräfte
ſind billig, ſodaß der japaniſche Generalpoſtmeiſter nicht
ſo zu ſparen braucht wie der deutſche.

In dem Staatsweſen iſt nichts vergeſſen, was bei
uns zur öffentlichen Wohlfahrt gerechnet wird. Das
Polizeiweſen, um welches ſich deutſche Ratgeber verdient
gemacht haben, darf als muſtergiltig bezeichnet werden.
Selbſt der Fremde, der nach Japan kommt, vielleicht in
dem Gedanken, hier noch unciviliſierte Verhältniſſe an-
zutreffen, fühlt ſich beruhigt, wenn er die Poliziſten
ſieht, ſchmuck und ſauber gekleidet, freundlich und ent-
gegenkommend in dem Bewußtſein, daß ſie die Diener
und nicht die Herren der Geſellſchaft ſind. Die Feuer-
polizei darf ſich auch großſtädtiſchen europäiſchen Ein-
richtungen dieſer Art getroſt an die Seite ſtellen. Wenn
die Feuerwehr in Tokyo auch nicht zu jeder Zeit auf-
geſchirrte Pferde bereitſtehen hat, ſo iſt ſie mit ihren
ſelbſtgezogenen Spritzen doch nicht weniger prompt zur
Stelle. Auch die Geſundheitspolizei vervollkommnet
ſich mehr und mehr. Um der Geſundheit der Bewohner
willen ſcheut der Staat auch die größten Summen nicht.
Für Krankenhäuſer iſt gut geſorgt. Ich hatte eine
Schutzbefohlene, eine Ausländerin, die bald nach ihrer
Ankunft in Japan, von ſchwerer Geiſteskrankheit be-
fallen, in die ſtädtiſche Anſtalt für Irrſinnige in Tokyo
untergebracht worden war. Ich kam infolgedeſſen oft
dahin, und wenn auch in Anbetracht der japaniſchen
Lebensweiſe die Anſtalt kein wünſchenswerter Aufent-
halt für mein Mündel war, ſo daß ich Sorge trug,
daß ſie in die Heimat verbracht wurde, ſo machte das,

12*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0193" n="179"/>
Adre&#x017F;&#x017F;e. Ende Februar erhielt ich den Brief zurück,<lb/>
beklebt mit zweiunddreißig Zettelchen. Die Po&#x017F;tver-<lb/>
waltung hatte &#x017F;ich die Mühe genommen, den Brief an<lb/>
zweiunddreißig Adre&#x017F;&#x017F;en zu &#x017F;chicken. Die Arbeitskräfte<lb/>
&#x017F;ind billig, &#x017F;odaß der japani&#x017F;che Generalpo&#x017F;tmei&#x017F;ter nicht<lb/>
&#x017F;o zu &#x017F;paren braucht wie der deut&#x017F;che.</p><lb/>
        <p>In dem Staatswe&#x017F;en i&#x017F;t nichts verge&#x017F;&#x017F;en, was bei<lb/>
uns zur öffentlichen Wohlfahrt gerechnet wird. Das<lb/>
Polizeiwe&#x017F;en, um welches &#x017F;ich deut&#x017F;che Ratgeber verdient<lb/>
gemacht haben, darf als mu&#x017F;tergiltig bezeichnet werden.<lb/>
Selb&#x017F;t der Fremde, der nach Japan kommt, vielleicht in<lb/>
dem Gedanken, hier noch uncivili&#x017F;ierte Verhältni&#x017F;&#x017F;e an-<lb/>
zutreffen, fühlt &#x017F;ich beruhigt, wenn er die Polizi&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;ieht, &#x017F;chmuck und &#x017F;auber gekleidet, freundlich und ent-<lb/>
gegenkommend in dem Bewußt&#x017F;ein, daß &#x017F;ie die Diener<lb/>
und nicht die Herren der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;ind. Die Feuer-<lb/>
polizei darf &#x017F;ich auch groß&#x017F;tädti&#x017F;chen europäi&#x017F;chen Ein-<lb/>
richtungen die&#x017F;er Art getro&#x017F;t an die Seite &#x017F;tellen. Wenn<lb/>
die Feuerwehr in Tokyo auch nicht zu jeder Zeit auf-<lb/>
ge&#x017F;chirrte Pferde bereit&#x017F;tehen hat, &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie mit ihren<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tgezogenen Spritzen doch nicht weniger prompt zur<lb/>
Stelle. Auch die Ge&#x017F;undheitspolizei vervollkommnet<lb/>
&#x017F;ich mehr und mehr. Um der Ge&#x017F;undheit der Bewohner<lb/>
willen &#x017F;cheut der Staat auch die größten Summen nicht.<lb/>
Für Krankenhäu&#x017F;er i&#x017F;t gut ge&#x017F;orgt. Ich hatte eine<lb/>
Schutzbefohlene, eine Ausländerin, die bald nach ihrer<lb/>
Ankunft in Japan, von &#x017F;chwerer Gei&#x017F;teskrankheit be-<lb/>
fallen, in die &#x017F;tädti&#x017F;che An&#x017F;talt für Irr&#x017F;innige in Tokyo<lb/>
untergebracht worden war. Ich kam infolgede&#x017F;&#x017F;en oft<lb/>
dahin, und wenn auch in Anbetracht der japani&#x017F;chen<lb/>
Lebenswei&#x017F;e die An&#x017F;talt kein wün&#x017F;chenswerter Aufent-<lb/>
halt für mein Mündel war, &#x017F;o daß ich Sorge trug,<lb/>
daß &#x017F;ie in die Heimat verbracht wurde, &#x017F;o machte das,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">12*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0193] Adreſſe. Ende Februar erhielt ich den Brief zurück, beklebt mit zweiunddreißig Zettelchen. Die Poſtver- waltung hatte ſich die Mühe genommen, den Brief an zweiunddreißig Adreſſen zu ſchicken. Die Arbeitskräfte ſind billig, ſodaß der japaniſche Generalpoſtmeiſter nicht ſo zu ſparen braucht wie der deutſche. In dem Staatsweſen iſt nichts vergeſſen, was bei uns zur öffentlichen Wohlfahrt gerechnet wird. Das Polizeiweſen, um welches ſich deutſche Ratgeber verdient gemacht haben, darf als muſtergiltig bezeichnet werden. Selbſt der Fremde, der nach Japan kommt, vielleicht in dem Gedanken, hier noch unciviliſierte Verhältniſſe an- zutreffen, fühlt ſich beruhigt, wenn er die Poliziſten ſieht, ſchmuck und ſauber gekleidet, freundlich und ent- gegenkommend in dem Bewußtſein, daß ſie die Diener und nicht die Herren der Geſellſchaft ſind. Die Feuer- polizei darf ſich auch großſtädtiſchen europäiſchen Ein- richtungen dieſer Art getroſt an die Seite ſtellen. Wenn die Feuerwehr in Tokyo auch nicht zu jeder Zeit auf- geſchirrte Pferde bereitſtehen hat, ſo iſt ſie mit ihren ſelbſtgezogenen Spritzen doch nicht weniger prompt zur Stelle. Auch die Geſundheitspolizei vervollkommnet ſich mehr und mehr. Um der Geſundheit der Bewohner willen ſcheut der Staat auch die größten Summen nicht. Für Krankenhäuſer iſt gut geſorgt. Ich hatte eine Schutzbefohlene, eine Ausländerin, die bald nach ihrer Ankunft in Japan, von ſchwerer Geiſteskrankheit be- fallen, in die ſtädtiſche Anſtalt für Irrſinnige in Tokyo untergebracht worden war. Ich kam infolgedeſſen oft dahin, und wenn auch in Anbetracht der japaniſchen Lebensweiſe die Anſtalt kein wünſchenswerter Aufent- halt für mein Mündel war, ſo daß ich Sorge trug, daß ſie in die Heimat verbracht wurde, ſo machte das, 12*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/193
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/193>, abgerufen am 17.05.2024.