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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Namen machen, man will glänzen. Es ist die "Gloire"
des Franzosen, die sich bei den Franzosen des Ostens
nicht minder ausgeprägt wiederfindet.

Die Eitelkeit ist an und für sich eine der harm-
losesten Untugenden. Der Eitle macht sich lächerlich,
aber dem andern schadet er nicht. Sobald aber die
Eitelkeit in ein praktisches Verhältnis zum Nächsten
tritt, wird sie sehr bitter. Der Selbstvergrößerung ent-
spricht als ihr Gegenstück die Verkleinerung des andern.
Ich habe von einem jungen Mann erzählt, daß er ein
Buch über Lessing schrieb. Was er schrieb, war alles
abgeschrieben. In seinem Buch aber verrät er davon
nichts. Er selbst will groß erscheinen, seine Vorlagen
aber verleugnet er. Er möchte alles selbst gethan haben,
das Verdienst des andern sucht er für sich zu übersehen,
für dritte zu verdecken. Es ist ihm eine peinliche
Empfindung, sich jemand verpflichtet zu wissen. Er
wird zu dem, was man im besten Sinne undankbar
nennt. Das Wort für Dank trägt er unendlich viel
auf seinen Lippen, aber die Sache ist seinem Herzen
nicht so vertraut. Seine Dankbarkeit ist eine formelle
Ceremonie, nicht so sehr eine Sache des Herzens; und
der gebräuchliche Ausdruck für Danksagen: "Rei wo iu"
bedeutet eigentlich: "Der Etikette genügen".

Es ist eine durchgehende Klage, daß man die
fremden Beamten und Lehrer ausnutze bis auf das
letzte, um sie dann gleich ausgepreßten Citronen acht-
los beiseite zu werfen. Man benutzt sie, solange man
noch etwas von ihnen lernen kann; aber die Aner-
kennung versagt man ihnen. von manchem, was Europa
heute an Japan abgiebt, wird schon die kommende
Generation behaupten, daß dasselbe ursprünglich japa-
nisch sei. In einer großen Versammlung von Japanern

Namen machen, man will glänzen. Es iſt die „Gloire“
des Franzoſen, die ſich bei den Franzoſen des Oſtens
nicht minder ausgeprägt wiederfindet.

Die Eitelkeit iſt an und für ſich eine der harm-
loſeſten Untugenden. Der Eitle macht ſich lächerlich,
aber dem andern ſchadet er nicht. Sobald aber die
Eitelkeit in ein praktiſches Verhältnis zum Nächſten
tritt, wird ſie ſehr bitter. Der Selbſtvergrößerung ent-
ſpricht als ihr Gegenſtück die Verkleinerung des andern.
Ich habe von einem jungen Mann erzählt, daß er ein
Buch über Leſſing ſchrieb. Was er ſchrieb, war alles
abgeſchrieben. In ſeinem Buch aber verrät er davon
nichts. Er ſelbſt will groß erſcheinen, ſeine Vorlagen
aber verleugnet er. Er möchte alles ſelbſt gethan haben,
das Verdienſt des andern ſucht er für ſich zu überſehen,
für dritte zu verdecken. Es iſt ihm eine peinliche
Empfindung, ſich jemand verpflichtet zu wiſſen. Er
wird zu dem, was man im beſten Sinne undankbar
nennt. Das Wort für Dank trägt er unendlich viel
auf ſeinen Lippen, aber die Sache iſt ſeinem Herzen
nicht ſo vertraut. Seine Dankbarkeit iſt eine formelle
Ceremonie, nicht ſo ſehr eine Sache des Herzens; und
der gebräuchliche Ausdruck für Dankſagen: „Rei wo iu“
bedeutet eigentlich: „Der Etikette genügen“.

Es iſt eine durchgehende Klage, daß man die
fremden Beamten und Lehrer ausnutze bis auf das
letzte, um ſie dann gleich ausgepreßten Citronen acht-
los beiſeite zu werfen. Man benutzt ſie, ſolange man
noch etwas von ihnen lernen kann; aber die Aner-
kennung verſagt man ihnen. von manchem, was Europa
heute an Japan abgiebt, wird ſchon die kommende
Generation behaupten, daß dasſelbe urſprünglich japa-
niſch ſei. In einer großen Verſammlung von Japanern

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[116/0130] Namen machen, man will glänzen. Es iſt die „Gloire“ des Franzoſen, die ſich bei den Franzoſen des Oſtens nicht minder ausgeprägt wiederfindet. Die Eitelkeit iſt an und für ſich eine der harm- loſeſten Untugenden. Der Eitle macht ſich lächerlich, aber dem andern ſchadet er nicht. Sobald aber die Eitelkeit in ein praktiſches Verhältnis zum Nächſten tritt, wird ſie ſehr bitter. Der Selbſtvergrößerung ent- ſpricht als ihr Gegenſtück die Verkleinerung des andern. Ich habe von einem jungen Mann erzählt, daß er ein Buch über Leſſing ſchrieb. Was er ſchrieb, war alles abgeſchrieben. In ſeinem Buch aber verrät er davon nichts. Er ſelbſt will groß erſcheinen, ſeine Vorlagen aber verleugnet er. Er möchte alles ſelbſt gethan haben, das Verdienſt des andern ſucht er für ſich zu überſehen, für dritte zu verdecken. Es iſt ihm eine peinliche Empfindung, ſich jemand verpflichtet zu wiſſen. Er wird zu dem, was man im beſten Sinne undankbar nennt. Das Wort für Dank trägt er unendlich viel auf ſeinen Lippen, aber die Sache iſt ſeinem Herzen nicht ſo vertraut. Seine Dankbarkeit iſt eine formelle Ceremonie, nicht ſo ſehr eine Sache des Herzens; und der gebräuchliche Ausdruck für Dankſagen: „Rei wo iu“ bedeutet eigentlich: „Der Etikette genügen“. Es iſt eine durchgehende Klage, daß man die fremden Beamten und Lehrer ausnutze bis auf das letzte, um ſie dann gleich ausgepreßten Citronen acht- los beiſeite zu werfen. Man benutzt ſie, ſolange man noch etwas von ihnen lernen kann; aber die Aner- kennung verſagt man ihnen. von manchem, was Europa heute an Japan abgiebt, wird ſchon die kommende Generation behaupten, daß dasſelbe urſprünglich japa- niſch ſei. In einer großen Verſammlung von Japanern

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/130>, abgerufen am 24.11.2024.