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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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und Europäern hörte ich eine Rede aus dem Munde
eines hervorragenden japanischen Christen, welche als
ein mustergiltiger Beleg für diese Charaktereigenschaft
betrachtet werden darf. Unter den Fremden in Japan
ist diese Eigenschaft allgemein bekannt, aber diese Aus-
führungen haben sie doch noch überrascht. Sagte doch
der Redner den anwesenden Missionaren mit dürren
Worten nichts Geringeres, als daß die großen Gedanken
des Christentums schon von alters her im japanischen
Volk gelebt hätten; und die fremden Gelehrten, die sich
immer wieder darüber beklagen, daß ihre Studenten
die wissenschaftliche Methode nicht begreifen wollen, be-
kamen zu hören, daß diese selbige Methode nicht ein
abendländischer Importartikel, sondern ein echt japa-
nisches Erbstück sei. Das ist eine bombastische Weise,
die nicht weniger als eine tiefgehende Schwäche der
Selbsterkenntnis beweist.

Es ist ja freilich möglich, daß der fremde Be-
obachter hier zu scharf urteilt. Es ist nicht unwahr-
scheinlich, daß der Japaner gerade dem Fremden gegen-
über, eben weil er sich innerlich ihm noch unterlegen
fühlt und für seine Unabhängigkeit fürchtet, aus einem
gewissen trotzigen Selbständigkeitsgefühl heraus äußerlich
um so mehr aus sich zu machen sucht. Dann wäre es
nicht viel mehr als eine zeitweilige Überspannung des
Bestrebens nach Selbstbehauptung, die sich je mehr
verlieren müßte, je mehr er sich mit dem Abendländer
auf gleiche Stufe gehoben weiß.

Mit dem eben erwähnten mangelhaften Gefühl der
Dankbarkeit stehen wir schon mitten in dem Gefühls-
leben des Japaners und im Grunde haben wir das
ganze Wesen seines Gefühlslebens damit schon vorweg
genommen. Alles was eitel ist, ist aufgeblasen und

und Europäern hörte ich eine Rede aus dem Munde
eines hervorragenden japaniſchen Chriſten, welche als
ein muſtergiltiger Beleg für dieſe Charaktereigenſchaft
betrachtet werden darf. Unter den Fremden in Japan
iſt dieſe Eigenſchaft allgemein bekannt, aber dieſe Aus-
führungen haben ſie doch noch überraſcht. Sagte doch
der Redner den anweſenden Miſſionaren mit dürren
Worten nichts Geringeres, als daß die großen Gedanken
des Chriſtentums ſchon von alters her im japaniſchen
Volk gelebt hätten; und die fremden Gelehrten, die ſich
immer wieder darüber beklagen, daß ihre Studenten
die wiſſenſchaftliche Methode nicht begreifen wollen, be-
kamen zu hören, daß dieſe ſelbige Methode nicht ein
abendländiſcher Importartikel, ſondern ein echt japa-
niſches Erbſtück ſei. Das iſt eine bombaſtiſche Weiſe,
die nicht weniger als eine tiefgehende Schwäche der
Selbſterkenntnis beweiſt.

Es iſt ja freilich möglich, daß der fremde Be-
obachter hier zu ſcharf urteilt. Es iſt nicht unwahr-
ſcheinlich, daß der Japaner gerade dem Fremden gegen-
über, eben weil er ſich innerlich ihm noch unterlegen
fühlt und für ſeine Unabhängigkeit fürchtet, aus einem
gewiſſen trotzigen Selbſtändigkeitsgefühl heraus äußerlich
um ſo mehr aus ſich zu machen ſucht. Dann wäre es
nicht viel mehr als eine zeitweilige Überſpannung des
Beſtrebens nach Selbſtbehauptung, die ſich je mehr
verlieren müßte, je mehr er ſich mit dem Abendländer
auf gleiche Stufe gehoben weiß.

Mit dem eben erwähnten mangelhaften Gefühl der
Dankbarkeit ſtehen wir ſchon mitten in dem Gefühls-
leben des Japaners und im Grunde haben wir das
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[117/0131] und Europäern hörte ich eine Rede aus dem Munde eines hervorragenden japaniſchen Chriſten, welche als ein muſtergiltiger Beleg für dieſe Charaktereigenſchaft betrachtet werden darf. Unter den Fremden in Japan iſt dieſe Eigenſchaft allgemein bekannt, aber dieſe Aus- führungen haben ſie doch noch überraſcht. Sagte doch der Redner den anweſenden Miſſionaren mit dürren Worten nichts Geringeres, als daß die großen Gedanken des Chriſtentums ſchon von alters her im japaniſchen Volk gelebt hätten; und die fremden Gelehrten, die ſich immer wieder darüber beklagen, daß ihre Studenten die wiſſenſchaftliche Methode nicht begreifen wollen, be- kamen zu hören, daß dieſe ſelbige Methode nicht ein abendländiſcher Importartikel, ſondern ein echt japa- niſches Erbſtück ſei. Das iſt eine bombaſtiſche Weiſe, die nicht weniger als eine tiefgehende Schwäche der Selbſterkenntnis beweiſt. Es iſt ja freilich möglich, daß der fremde Be- obachter hier zu ſcharf urteilt. Es iſt nicht unwahr- ſcheinlich, daß der Japaner gerade dem Fremden gegen- über, eben weil er ſich innerlich ihm noch unterlegen fühlt und für ſeine Unabhängigkeit fürchtet, aus einem gewiſſen trotzigen Selbſtändigkeitsgefühl heraus äußerlich um ſo mehr aus ſich zu machen ſucht. Dann wäre es nicht viel mehr als eine zeitweilige Überſpannung des Beſtrebens nach Selbſtbehauptung, die ſich je mehr verlieren müßte, je mehr er ſich mit dem Abendländer auf gleiche Stufe gehoben weiß. Mit dem eben erwähnten mangelhaften Gefühl der Dankbarkeit ſtehen wir ſchon mitten in dem Gefühls- leben des Japaners und im Grunde haben wir das ganze Weſen ſeines Gefühlslebens damit ſchon vorweg genommen. Alles was eitel iſt, iſt aufgeblaſen und

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/131>, abgerufen am 24.11.2024.