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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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dynastie der Tokugawa. Mit eiserner Faust wurden
die neuen Gedanken unterdrückt. Durch lange und ent-
setzliche Martern gereizt erhoben sich die Anhänger der
neuen Lehre unter Iyeyasus Enkel Iyemitsu zum Ent-
scheidungskampf. Auf der Halbinsel Schiobara kam es
im Jahre 1637 zum letzten Kampf. Die katholische
Idee unterlag. Das Christentum wurde bei Todes-
strafe verboten, kein Europäer durfte hinfort das Innere
des Landes betreten, kein Japaner das Land verlassen.
Nur den Holländern ward es erlaubt, jährlich einmal
zum Austausch von Waren auf der Insel Deshima bei
Nagasaki zu landen. Das Land war abgeschlossen, die
gespannten Muskeln erschlafften, das Alte ward vergessen
und das Volk fiel wieder in seinen Schlaf.

Nun schlief es ununterbrochen durch mehr als zwei
Jahrhunderte hindurch. Endlich im Jahre 1854 erschien
der amerikanische Admiral Perry am Eingang der Bay
von Tokyo und verlangte im Namen der Vereinigten
Staaten einen Handesvertrag. Man wollte nicht auf
ihn hören, man gedachte weiter zu schlafen. Da ließ
Perry seine Kanonen spielen, und als der nie zuvor
gehörte Donner der großen Geschütze durch das Land
hallte, erwachten die Schläfer vom Schlaf: Die dritte
Epoche der japanischen Geschichte war da.

Wenn man die Geschichte Japans betrachtet, wird
man lebhaft erinnert an das Märchen vom Dornröschen.
Wie in diesem mit einem Schlag alle Bewegung in
Ruhe, alles Leben in Schlaf sich wandelte, so auch
dort; und wie im Märchen mit einem Schlag das
Leben von neuem erwachte aus tiefem, totenstillem
Schlaf, so in Japans Geschichte. Jedesmal war es
wie der gewaltige Ausbruch eines Vulkans, der vorher
geruht; und jedesmal war es, wie wenn die vulkanische
Glut plötzlich in sich selbst zurücksinkt.

dynaſtie der Tokugawa. Mit eiſerner Fauſt wurden
die neuen Gedanken unterdrückt. Durch lange und ent-
ſetzliche Martern gereizt erhoben ſich die Anhänger der
neuen Lehre unter Iyeyaſus Enkel Iyemitſu zum Ent-
ſcheidungskampf. Auf der Halbinſel Schiobara kam es
im Jahre 1637 zum letzten Kampf. Die katholiſche
Idee unterlag. Das Chriſtentum wurde bei Todes-
ſtrafe verboten, kein Europäer durfte hinfort das Innere
des Landes betreten, kein Japaner das Land verlaſſen.
Nur den Holländern ward es erlaubt, jährlich einmal
zum Austauſch von Waren auf der Inſel Deſhima bei
Nagaſaki zu landen. Das Land war abgeſchloſſen, die
geſpannten Muskeln erſchlafften, das Alte ward vergeſſen
und das Volk fiel wieder in ſeinen Schlaf.

Nun ſchlief es ununterbrochen durch mehr als zwei
Jahrhunderte hindurch. Endlich im Jahre 1854 erſchien
der amerikaniſche Admiral Perry am Eingang der Bay
von Tokyo und verlangte im Namen der Vereinigten
Staaten einen Handesvertrag. Man wollte nicht auf
ihn hören, man gedachte weiter zu ſchlafen. Da ließ
Perry ſeine Kanonen ſpielen, und als der nie zuvor
gehörte Donner der großen Geſchütze durch das Land
hallte, erwachten die Schläfer vom Schlaf: Die dritte
Epoche der japaniſchen Geſchichte war da.

Wenn man die Geſchichte Japans betrachtet, wird
man lebhaft erinnert an das Märchen vom Dornröschen.
Wie in dieſem mit einem Schlag alle Bewegung in
Ruhe, alles Leben in Schlaf ſich wandelte, ſo auch
dort; und wie im Märchen mit einem Schlag das
Leben von neuem erwachte aus tiefem, totenſtillem
Schlaf, ſo in Japans Geſchichte. Jedesmal war es
wie der gewaltige Ausbruch eines Vulkans, der vorher
geruht; und jedesmal war es, wie wenn die vulkaniſche
Glut plötzlich in ſich ſelbſt zurückſinkt.

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[109/0123] dynaſtie der Tokugawa. Mit eiſerner Fauſt wurden die neuen Gedanken unterdrückt. Durch lange und ent- ſetzliche Martern gereizt erhoben ſich die Anhänger der neuen Lehre unter Iyeyaſus Enkel Iyemitſu zum Ent- ſcheidungskampf. Auf der Halbinſel Schiobara kam es im Jahre 1637 zum letzten Kampf. Die katholiſche Idee unterlag. Das Chriſtentum wurde bei Todes- ſtrafe verboten, kein Europäer durfte hinfort das Innere des Landes betreten, kein Japaner das Land verlaſſen. Nur den Holländern ward es erlaubt, jährlich einmal zum Austauſch von Waren auf der Inſel Deſhima bei Nagaſaki zu landen. Das Land war abgeſchloſſen, die geſpannten Muskeln erſchlafften, das Alte ward vergeſſen und das Volk fiel wieder in ſeinen Schlaf. Nun ſchlief es ununterbrochen durch mehr als zwei Jahrhunderte hindurch. Endlich im Jahre 1854 erſchien der amerikaniſche Admiral Perry am Eingang der Bay von Tokyo und verlangte im Namen der Vereinigten Staaten einen Handesvertrag. Man wollte nicht auf ihn hören, man gedachte weiter zu ſchlafen. Da ließ Perry ſeine Kanonen ſpielen, und als der nie zuvor gehörte Donner der großen Geſchütze durch das Land hallte, erwachten die Schläfer vom Schlaf: Die dritte Epoche der japaniſchen Geſchichte war da. Wenn man die Geſchichte Japans betrachtet, wird man lebhaft erinnert an das Märchen vom Dornröschen. Wie in dieſem mit einem Schlag alle Bewegung in Ruhe, alles Leben in Schlaf ſich wandelte, ſo auch dort; und wie im Märchen mit einem Schlag das Leben von neuem erwachte aus tiefem, totenſtillem Schlaf, ſo in Japans Geſchichte. Jedesmal war es wie der gewaltige Ausbruch eines Vulkans, der vorher geruht; und jedesmal war es, wie wenn die vulkaniſche Glut plötzlich in ſich ſelbſt zurückſinkt.

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/123>, abgerufen am 24.11.2024.