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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Korea in Japan eindrang und in raschem Siegeslauf
ein Volk roher, unwissender Barbaren in ein Kultur-
volk umwandelte. Kaum aber war die Wandlung ge-
schehen, als völliger Stillstand eintrat. Statt weiter
zu arbeiten und sich zu einer höheren Stufe der Kultur
emporzuarbeiten, war man zufrieden mit dem, was
man bekommen hatte. Man paßte es dem Bestehenden
an, weiter geschah nichts. Japan ruhte aus auf seinen
Lorbeeren, die es billig genug erworben hatte; der
Hof sank in Weichlichkeit und das Volk in geistigen
Schlaf. Der Mikado wurde zum Schattenbild, welt-
liche Herrscher, Schogune genannt, führten an seiner
Statt die Zügel der Regierung. Unter beständigen
Kämpfen verschiedener Adelsfamilien um das Schogunat
verflossen die Jahrhunderte; und als das 16. Jahrhundert
heraufdämmerte, da war die Frucht eines halben Jahr-
tausends gleich Null. Da, mit einem Mal, schien ein
neues Zeitalter anzubrechen, die zweite Epoche der
japanischen Geschichte begann.

Wie zuvor mit der chinesischen, so kam Japan
jetzt in Berührung mit der europäischen Kultur. Um
die Mitte des 16. Jahrhunderts, nachdem der Portugiese
Mendez Pinto kurz zuvor Japan "entdeckt" hatte, er-
schienen die Jesuiten und Franziskaner im Land. Von
mehreren Daimio (Fürsten) und dem Schogun Nobunaga
begünstigt, war ihr Erfolg beispiellos. Nach Verlauf
von wenigen Jahrzehnten zählten ihre Anhänger nach
Hunderttausenden. In raschem Siegeslauf schien die
europäisch-christliche Kultur Herr zu werden über die
asiatisch-buddhistische. Da verbündete sich mit dieser
ein gewaltiger Mann, Iyeyasu, trotz Saigo, dem Helden
der Revolution von 1868, der größte Mann der japa-
nischen Geschichte, der Begründer der letzten Schogun-

Korea in Japan eindrang und in raſchem Siegeslauf
ein Volk roher, unwiſſender Barbaren in ein Kultur-
volk umwandelte. Kaum aber war die Wandlung ge-
ſchehen, als völliger Stillſtand eintrat. Statt weiter
zu arbeiten und ſich zu einer höheren Stufe der Kultur
emporzuarbeiten, war man zufrieden mit dem, was
man bekommen hatte. Man paßte es dem Beſtehenden
an, weiter geſchah nichts. Japan ruhte aus auf ſeinen
Lorbeeren, die es billig genug erworben hatte; der
Hof ſank in Weichlichkeit und das Volk in geiſtigen
Schlaf. Der Mikado wurde zum Schattenbild, welt-
liche Herrſcher, Schogune genannt, führten an ſeiner
Statt die Zügel der Regierung. Unter beſtändigen
Kämpfen verſchiedener Adelsfamilien um das Schogunat
verfloſſen die Jahrhunderte; und als das 16. Jahrhundert
heraufdämmerte, da war die Frucht eines halben Jahr-
tauſends gleich Null. Da, mit einem Mal, ſchien ein
neues Zeitalter anzubrechen, die zweite Epoche der
japaniſchen Geſchichte begann.

Wie zuvor mit der chineſiſchen, ſo kam Japan
jetzt in Berührung mit der europäiſchen Kultur. Um
die Mitte des 16. Jahrhunderts, nachdem der Portugieſe
Mendez Pinto kurz zuvor Japan „entdeckt“ hatte, er-
ſchienen die Jeſuiten und Franziskaner im Land. Von
mehreren Daimio (Fürſten) und dem Schogun Nobunaga
begünſtigt, war ihr Erfolg beiſpiellos. Nach Verlauf
von wenigen Jahrzehnten zählten ihre Anhänger nach
Hunderttauſenden. In raſchem Siegeslauf ſchien die
europäiſch-chriſtliche Kultur Herr zu werden über die
aſiatiſch-buddhiſtiſche. Da verbündete ſich mit dieſer
ein gewaltiger Mann, Iyeyaſu, trotz Saigo, dem Helden
der Revolution von 1868, der größte Mann der japa-
niſchen Geſchichte, der Begründer der letzten Schogun-

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[108/0122] Korea in Japan eindrang und in raſchem Siegeslauf ein Volk roher, unwiſſender Barbaren in ein Kultur- volk umwandelte. Kaum aber war die Wandlung ge- ſchehen, als völliger Stillſtand eintrat. Statt weiter zu arbeiten und ſich zu einer höheren Stufe der Kultur emporzuarbeiten, war man zufrieden mit dem, was man bekommen hatte. Man paßte es dem Beſtehenden an, weiter geſchah nichts. Japan ruhte aus auf ſeinen Lorbeeren, die es billig genug erworben hatte; der Hof ſank in Weichlichkeit und das Volk in geiſtigen Schlaf. Der Mikado wurde zum Schattenbild, welt- liche Herrſcher, Schogune genannt, führten an ſeiner Statt die Zügel der Regierung. Unter beſtändigen Kämpfen verſchiedener Adelsfamilien um das Schogunat verfloſſen die Jahrhunderte; und als das 16. Jahrhundert heraufdämmerte, da war die Frucht eines halben Jahr- tauſends gleich Null. Da, mit einem Mal, ſchien ein neues Zeitalter anzubrechen, die zweite Epoche der japaniſchen Geſchichte begann. Wie zuvor mit der chineſiſchen, ſo kam Japan jetzt in Berührung mit der europäiſchen Kultur. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts, nachdem der Portugieſe Mendez Pinto kurz zuvor Japan „entdeckt“ hatte, er- ſchienen die Jeſuiten und Franziskaner im Land. Von mehreren Daimio (Fürſten) und dem Schogun Nobunaga begünſtigt, war ihr Erfolg beiſpiellos. Nach Verlauf von wenigen Jahrzehnten zählten ihre Anhänger nach Hunderttauſenden. In raſchem Siegeslauf ſchien die europäiſch-chriſtliche Kultur Herr zu werden über die aſiatiſch-buddhiſtiſche. Da verbündete ſich mit dieſer ein gewaltiger Mann, Iyeyaſu, trotz Saigo, dem Helden der Revolution von 1868, der größte Mann der japa- niſchen Geſchichte, der Begründer der letzten Schogun-

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/122>, abgerufen am 17.05.2024.