gewiß bemerken, in wie fern jeder einzeln nach seinem freyen Willen sich dessen Bestimmung gemäß verhält. Die Ab- sicht der allgemeinen Glückseeligkeit kann nicht erreicht wer- den, wenn nicht alle darin übereinstimmen.
Gott habe so viele Güter in die Natur, und so man- nichfaltige Triebe in den Menschen gelegt, daß jeder glücklich werden könne: ist ein Scheingrund. Ein größerer Besitz und mehrere Befriedigung geschicht allezeit auf Unkosten und zum Misvergnügen anderer. Die Begierde darin einen größern Zuwachs zu erhalten, ist daher schon eine Abweichung von meiner Bestimmung. Nur die Erweite- rung der moralischen Vollkommenheit kann ohne Schaden und zum Vortheil des Ganzen geschehen. Die geringste Ausweichung hierin kann nicht anders als Gott misfällig seyn. Was können wir uns für eine Entschuldigung deswe- gen machen? Diejenige, so dem Hofmann erlaubt, seinen Herrn zu hintergehn um seinen Freunden zu dienen, und dem Minister, den Vortheil des Ganzen aus persönlichen Absichten aus den Augen zu verlieren.
Jst es nicht Stolz und Einbildung von unsrer innern Stärke, wenn wir durch unsre eigenen Kräfte tugendhaft zu werden hoffen? Wenn wir in den Gegenständen gemei- niglich sehen, was wir wollen; wenn es unendlich schwer ist, alle Begriffe im Gedächtniß gegenwärtig zu haben, die zu einem richtigen Schluß erforderlich sind; wenn wir die- jenigen am leichtesten finden, die zu unserm Endzweck die- nen; wenn der kalte Weltweise öfters dasjenige findet, was er vor der Untersuchung als wahr angenommen: so kann man leicht überzeugt werden, wie unsicher die Vernunft- schlüsse seyn müssen, die uns den Genuß einer Sache, die wir heftig begehren, erlauben oder verbieten sollen. Nur ein lebhafter Eindruck, der uns gegenseitige Vorstellungen gleich gegenwärtig macht, kann uns vom Jrrthum zurück- halten. Jst aber einer, der bey allen Gemühtsverfassungen gleich stark würken kann, als das Andenken an Gott?
Wie
gewiß bemerken, in wie fern jeder einzeln nach ſeinem freyen Willen ſich deſſen Beſtimmung gemaͤß verhaͤlt. Die Ab- ſicht der allgemeinen Gluͤckſeeligkeit kann nicht erreicht wer- den, wenn nicht alle darin uͤbereinſtimmen.
Gott habe ſo viele Guͤter in die Natur, und ſo man- nichfaltige Triebe in den Menſchen gelegt, daß jeder gluͤcklich werden koͤnne: iſt ein Scheingrund. Ein groͤßerer Beſitz und mehrere Befriedigung geſchicht allezeit auf Unkoſten und zum Misvergnuͤgen anderer. Die Begierde darin einen groͤßern Zuwachſ zu erhalten, iſt daher ſchon eine Abweichung von meiner Beſtimmung. Nur die Erweite- rung der moraliſchen Vollkommenheit kann ohne Schaden und zum Vortheil des Ganzen geſchehen. Die geringſte Ausweichung hierin kann nicht anders als Gott misfaͤllig ſeyn. Was koͤnnen wir uns fuͤr eine Entſchuldigung deswe- gen machen? Diejenige, ſo dem Hofmann erlaubt, ſeinen Herrn zu hintergehn um ſeinen Freunden zu dienen, und dem Miniſter, den Vortheil des Ganzen aus perſoͤnlichen Abſichten aus den Augen zu verlieren.
Jſt es nicht Stolz und Einbildung von unſrer innern Staͤrke, wenn wir durch unſre eigenen Kraͤfte tugendhaft zu werden hoffen? Wenn wir in den Gegenſtaͤnden gemei- niglich ſehen, was wir wollen; wenn es unendlich ſchwer iſt, alle Begriffe im Gedaͤchtniß gegenwaͤrtig zu haben, die zu einem richtigen Schluß erforderlich ſind; wenn wir die- jenigen am leichteſten finden, die zu unſerm Endzweck die- nen; wenn der kalte Weltweiſe oͤfters dasjenige findet, was er vor der Unterſuchung als wahr angenommen: ſo kann man leicht uͤberzeugt werden, wie unſicher die Vernunft- ſchluͤſſe ſeyn muͤſſen, die uns den Genuß einer Sache, die wir heftig begehren, erlauben oder verbieten ſollen. Nur ein lebhafter Eindruck, der uns gegenſeitige Vorſtellungen gleich gegenwaͤrtig macht, kann uns vom Jrrthum zuruͤck- halten. Jſt aber einer, der bey allen Gemuͤhtsverfaſſungen gleich ſtark wuͤrken kann, als das Andenken an Gott?
Wie
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gewiß bemerken, in wie fern jeder einzeln nach ſeinem freyen
Willen ſich deſſen Beſtimmung gemaͤß verhaͤlt. Die Ab-
ſicht der allgemeinen Gluͤckſeeligkeit kann nicht erreicht wer-
den, wenn nicht alle darin uͤbereinſtimmen.
Gott habe ſo viele Guͤter in die Natur, und ſo man-
nichfaltige Triebe in den Menſchen gelegt, daß jeder gluͤcklich
werden koͤnne: iſt ein Scheingrund. Ein groͤßerer Beſitz
und mehrere Befriedigung geſchicht allezeit auf Unkoſten
und zum Misvergnuͤgen anderer. Die Begierde darin
einen groͤßern Zuwachſ zu erhalten, iſt daher ſchon eine
Abweichung von meiner Beſtimmung. Nur die Erweite-
rung der moraliſchen Vollkommenheit kann ohne Schaden
und zum Vortheil des Ganzen geſchehen. Die geringſte
Ausweichung hierin kann nicht anders als Gott misfaͤllig
ſeyn. Was koͤnnen wir uns fuͤr eine Entſchuldigung deswe-
gen machen? Diejenige, ſo dem Hofmann erlaubt, ſeinen
Herrn zu hintergehn um ſeinen Freunden zu dienen, und
dem Miniſter, den Vortheil des Ganzen aus perſoͤnlichen
Abſichten aus den Augen zu verlieren.
Jſt es nicht Stolz und Einbildung von unſrer innern
Staͤrke, wenn wir durch unſre eigenen Kraͤfte tugendhaft
zu werden hoffen? Wenn wir in den Gegenſtaͤnden gemei-
niglich ſehen, was wir wollen; wenn es unendlich ſchwer
iſt, alle Begriffe im Gedaͤchtniß gegenwaͤrtig zu haben, die
zu einem richtigen Schluß erforderlich ſind; wenn wir die-
jenigen am leichteſten finden, die zu unſerm Endzweck die-
nen; wenn der kalte Weltweiſe oͤfters dasjenige findet, was
er vor der Unterſuchung als wahr angenommen: ſo kann
man leicht uͤberzeugt werden, wie unſicher die Vernunft-
ſchluͤſſe ſeyn muͤſſen, die uns den Genuß einer Sache, die
wir heftig begehren, erlauben oder verbieten ſollen. Nur
ein lebhafter Eindruck, der uns gegenſeitige Vorſtellungen
gleich gegenwaͤrtig macht, kann uns vom Jrrthum zuruͤck-
halten. Jſt aber einer, der bey allen Gemuͤhtsverfaſſungen
gleich ſtark wuͤrken kann, als das Andenken an Gott?
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/304>, abgerufen am 16.02.2025.
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