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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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Endzweck angewendet werden, die moralischen großen
Handlungen hervorbringen. Die Fähigkeiten des Men-
schen erlauben ihm nicht, sich jene gleich deutlich auf ein-
mahl vorzustellen. Er verliert das Ganze aus dem Gesicht,
wenn er sich zu viel mit dem Einzelnen beschäfftigt. Daher
ist er genöthigt seine Aufmerksamkeit allein auf die nächsten
und würksamsten Ursachen zu richten, und die entferntern
dem Zufälligen zu überlassen, oder, welches damit überein
kommt, vorauszusetzen, daß solche nicht fehlen werden, ob
er sie gleich nicht in seiner Gewalt hat. Jedoch lassen Sie
uns hiebey nicht stehen bleiben. Derjenige, welcher die
meisten und entferntesten Mittel zugleich übersehen, jedes
nach seinem Endzweck bestimmen und anwenden, und alle
Schwierigkeiten leicht und geschwinde zuvorkommen und
abwenden könnte, der würde mit Recht den Nahmen eines
großen Mannes verdienen. Je mehr Ordnung und Ueber-
einstimmung er jedem Theile geben kann, desto sicherer ist
der Erfolg. Misvergnügen muß es ihm erwecken, wenn er
es nicht überall kann. Verschiedene fehlerhafte Bewegun-
gen einzelner Soldaten können im Treffen einem General
kein Vergnügen machen, wenn er sie bemerken kann, und
er wird jede einzeln empfinden. Viele kleine Unordnungen
machen das Ganze unvollkommner. Müssen wir solche
übersehen, weil unsre Fähigkeiten es nicht anders erlau-
ben, und pflegen wir zu verachten, was wir aus Mangel
der Kräfte nicht erreichen können: so ist doch ungereimt,
diesen Begriff auf Gott anzuwenden, und zu glauben, daß
er unserm Beyspiel folge und sich mit dem Ganzen, ohne auf
die einzelnen Fehler zu sehen, beschäfftigte. Der Satz, daß
Gott die Einrichtung des Ganzen so gemacht, daß die ein-
zelnen Fehler der Menschen nichts dabey schaden, und sie
ihm daher gleichgültig wären, kommt beständig darauf hin-
aus, ich mag ihn betrachten, von welcher Seite ich will,
wenn ich nicht annehme, daß der Mensch nach einer festge-
setzten Nothwendigkeit handeln müsse. Gott wird daher

gewiß
T 2



Endzweck angewendet werden, die moraliſchen großen
Handlungen hervorbringen. Die Faͤhigkeiten des Men-
ſchen erlauben ihm nicht, ſich jene gleich deutlich auf ein-
mahl vorzuſtellen. Er verliert das Ganze aus dem Geſicht,
wenn er ſich zu viel mit dem Einzelnen beſchaͤfftigt. Daher
iſt er genoͤthigt ſeine Aufmerkſamkeit allein auf die naͤchſten
und wuͤrkſamſten Urſachen zu richten, und die entferntern
dem Zufaͤlligen zu uͤberlaſſen, oder, welches damit uͤberein
kommt, vorauszuſetzen, daß ſolche nicht fehlen werden, ob
er ſie gleich nicht in ſeiner Gewalt hat. Jedoch laſſen Sie
uns hiebey nicht ſtehen bleiben. Derjenige, welcher die
meiſten und entfernteſten Mittel zugleich uͤberſehen, jedes
nach ſeinem Endzweck beſtimmen und anwenden, und alle
Schwierigkeiten leicht und geſchwinde zuvorkommen und
abwenden koͤnnte, der wuͤrde mit Recht den Nahmen eines
großen Mannes verdienen. Je mehr Ordnung und Ueber-
einſtimmung er jedem Theile geben kann, deſto ſicherer iſt
der Erfolg. Misvergnuͤgen muß es ihm erwecken, wenn er
es nicht uͤberall kann. Verſchiedene fehlerhafte Bewegun-
gen einzelner Soldaten koͤnnen im Treffen einem General
kein Vergnuͤgen machen, wenn er ſie bemerken kann, und
er wird jede einzeln empfinden. Viele kleine Unordnungen
machen das Ganze unvollkommner. Muͤſſen wir ſolche
uͤberſehen, weil unſre Faͤhigkeiten es nicht anders erlau-
ben, und pflegen wir zu verachten, was wir aus Mangel
der Kraͤfte nicht erreichen koͤnnen: ſo iſt doch ungereimt,
dieſen Begriff auf Gott anzuwenden, und zu glauben, daß
er unſerm Beyſpiel folge und ſich mit dem Ganzen, ohne auf
die einzelnen Fehler zu ſehen, beſchaͤfftigte. Der Satz, daß
Gott die Einrichtung des Ganzen ſo gemacht, daß die ein-
zelnen Fehler der Menſchen nichts dabey ſchaden, und ſie
ihm daher gleichguͤltig waͤren, kommt beſtaͤndig darauf hin-
aus, ich mag ihn betrachten, von welcher Seite ich will,
wenn ich nicht annehme, daß der Menſch nach einer feſtge-
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gewiß
T 2
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[291/0303] Endzweck angewendet werden, die moraliſchen großen Handlungen hervorbringen. Die Faͤhigkeiten des Men- ſchen erlauben ihm nicht, ſich jene gleich deutlich auf ein- mahl vorzuſtellen. Er verliert das Ganze aus dem Geſicht, wenn er ſich zu viel mit dem Einzelnen beſchaͤfftigt. Daher iſt er genoͤthigt ſeine Aufmerkſamkeit allein auf die naͤchſten und wuͤrkſamſten Urſachen zu richten, und die entferntern dem Zufaͤlligen zu uͤberlaſſen, oder, welches damit uͤberein kommt, vorauszuſetzen, daß ſolche nicht fehlen werden, ob er ſie gleich nicht in ſeiner Gewalt hat. Jedoch laſſen Sie uns hiebey nicht ſtehen bleiben. Derjenige, welcher die meiſten und entfernteſten Mittel zugleich uͤberſehen, jedes nach ſeinem Endzweck beſtimmen und anwenden, und alle Schwierigkeiten leicht und geſchwinde zuvorkommen und abwenden koͤnnte, der wuͤrde mit Recht den Nahmen eines großen Mannes verdienen. Je mehr Ordnung und Ueber- einſtimmung er jedem Theile geben kann, deſto ſicherer iſt der Erfolg. Misvergnuͤgen muß es ihm erwecken, wenn er es nicht uͤberall kann. Verſchiedene fehlerhafte Bewegun- gen einzelner Soldaten koͤnnen im Treffen einem General kein Vergnuͤgen machen, wenn er ſie bemerken kann, und er wird jede einzeln empfinden. Viele kleine Unordnungen machen das Ganze unvollkommner. Muͤſſen wir ſolche uͤberſehen, weil unſre Faͤhigkeiten es nicht anders erlau- ben, und pflegen wir zu verachten, was wir aus Mangel der Kraͤfte nicht erreichen koͤnnen: ſo iſt doch ungereimt, dieſen Begriff auf Gott anzuwenden, und zu glauben, daß er unſerm Beyſpiel folge und ſich mit dem Ganzen, ohne auf die einzelnen Fehler zu ſehen, beſchaͤfftigte. Der Satz, daß Gott die Einrichtung des Ganzen ſo gemacht, daß die ein- zelnen Fehler der Menſchen nichts dabey ſchaden, und ſie ihm daher gleichguͤltig waͤren, kommt beſtaͤndig darauf hin- aus, ich mag ihn betrachten, von welcher Seite ich will, wenn ich nicht annehme, daß der Menſch nach einer feſtge- ſetzten Nothwendigkeit handeln muͤſſe. Gott wird daher gewiß T 2

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/303>, abgerufen am 30.04.2024.