Der Jrrthum war klar, daß ich die Tugend in die Handlungen und nicht in die Gesinnungen gesetzt, und da- durch meines Endzwecks, der innern Beruhigung verfehlt hätte. Gellert zeigte mir die Regeln, nach welchen ich ihn hätte vermeiden können; Jerusalem überführte mich von der Kraft und Stärke, so die wahre Verehrung Gottes giebt, solche zu beobachten, und Reimarus bewies mir die Nichtigkeit der Zweifel, so der Verstand findet, den An- theil Gottes an den einzelnen moralischen Handlungen zu läugnen. Jch will nicht die Reihe der Betrachtungen wie- derholen, die mich von den Wahrheiten, so diese vortreffli- chen Schriftsteller lehren, überzeugten. Es wird genug seyn, mir einige in Erinnerung zu bringen, die sich mir am lebhaftesten darstellten.
War es nicht die Sinnlichkeit, so mich Wahrheiten, die mein Verstand kannte, verläugnen, und mir andre Ge- genstände und falsche Begriffe wichtig machte? -- Jst Sicherheit und Weisheit da, wo ich einfache Grundsätze finde, die in allen Fällen ohne Ausnahme mit Deutlichkeit anzuwenden sind, oder dort, wo die mannichfaltigen Mey- nungen, und Bedingungen ohne Zahl, mehr Zeit zum Un- tersuchen als zum Handeln erfordern? -- Jst der morali- sche Unterschied von Tugend und Laster nicht wirklich in den Gesinnungen, so kann niemand auf Tugend Anspruch ma- chen, wenigstens hängt sie nicht von seinem Willen ab. Der Kluge, der Vorsichtige, der Listige, der Heuchler ist recht- schaffen: der Einfältige, der Leichtsinnige, der Unglückli- che, der Aufrichtige wird lasterhaft seyn. -- Die innere Beruhigung hängt von der Meynung anderer und dem Zu- fälligen ab, wenn ich nicht meine Gesinnungen nach festge- setzten Regeln beurtheilen kann.
Jst der Begriff nicht sehr eingeschränkt, wenn ich das Ganze bloß Gottes Aufmerksamkeit würdig finde? Wir wissen, daß die Kenntniß und Combinaison vieler einzelnen Mittel und würkenden Ursachen, in so ferne solche zu Einem
Endzweck
Der Jrrthum war klar, daß ich die Tugend in die Handlungen und nicht in die Geſinnungen geſetzt, und da- durch meines Endzwecks, der innern Beruhigung verfehlt haͤtte. Gellert zeigte mir die Regeln, nach welchen ich ihn haͤtte vermeiden koͤnnen; Jeruſalem uͤberfuͤhrte mich von der Kraft und Staͤrke, ſo die wahre Verehrung Gottes giebt, ſolche zu beobachten, und Reimarus bewies mir die Nichtigkeit der Zweifel, ſo der Verſtand findet, den An- theil Gottes an den einzelnen moraliſchen Handlungen zu laͤugnen. Jch will nicht die Reihe der Betrachtungen wie- derholen, die mich von den Wahrheiten, ſo dieſe vortreffli- chen Schriftſteller lehren, uͤberzeugten. Es wird genug ſeyn, mir einige in Erinnerung zu bringen, die ſich mir am lebhafteſten darſtellten.
War es nicht die Sinnlichkeit, ſo mich Wahrheiten, die mein Verſtand kannte, verlaͤugnen, und mir andre Ge- genſtaͤnde und falſche Begriffe wichtig machte? — Jſt Sicherheit und Weisheit da, wo ich einfache Grundſaͤtze finde, die in allen Faͤllen ohne Ausnahme mit Deutlichkeit anzuwenden ſind, oder dort, wo die mannichfaltigen Mey- nungen, und Bedingungen ohne Zahl, mehr Zeit zum Un- terſuchen als zum Handeln erfordern? — Jſt der morali- ſche Unterſchied von Tugend und Laſter nicht wirklich in den Geſinnungen, ſo kann niemand auf Tugend Anſpruch ma- chen, wenigſtens haͤngt ſie nicht von ſeinem Willen ab. Der Kluge, der Vorſichtige, der Liſtige, der Heuchler iſt recht- ſchaffen: der Einfaͤltige, der Leichtſinnige, der Ungluͤckli- che, der Aufrichtige wird laſterhaft ſeyn. — Die innere Beruhigung haͤngt von der Meynung anderer und dem Zu- faͤlligen ab, wenn ich nicht meine Geſinnungen nach feſtge- ſetzten Regeln beurtheilen kann.
Jſt der Begriff nicht ſehr eingeſchraͤnkt, wenn ich das Ganze bloß Gottes Aufmerkſamkeit wuͤrdig finde? Wir wiſſen, daß die Kenntniß und Combinaiſon vieler einzelnen Mittel und wuͤrkenden Urſachen, in ſo ferne ſolche zu Einem
Endzweck
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Der Jrrthum war klar, daß ich die Tugend in die
Handlungen und nicht in die Geſinnungen geſetzt, und da-
durch meines Endzwecks, der innern Beruhigung verfehlt
haͤtte. Gellert zeigte mir die Regeln, nach welchen ich ihn
haͤtte vermeiden koͤnnen; Jeruſalem uͤberfuͤhrte mich von
der Kraft und Staͤrke, ſo die wahre Verehrung Gottes
giebt, ſolche zu beobachten, und Reimarus bewies mir die
Nichtigkeit der Zweifel, ſo der Verſtand findet, den An-
theil Gottes an den einzelnen moraliſchen Handlungen zu
laͤugnen. Jch will nicht die Reihe der Betrachtungen wie-
derholen, die mich von den Wahrheiten, ſo dieſe vortreffli-
chen Schriftſteller lehren, uͤberzeugten. Es wird genug
ſeyn, mir einige in Erinnerung zu bringen, die ſich mir am
lebhafteſten darſtellten.
War es nicht die Sinnlichkeit, ſo mich Wahrheiten,
die mein Verſtand kannte, verlaͤugnen, und mir andre Ge-
genſtaͤnde und falſche Begriffe wichtig machte? — Jſt
Sicherheit und Weisheit da, wo ich einfache Grundſaͤtze
finde, die in allen Faͤllen ohne Ausnahme mit Deutlichkeit
anzuwenden ſind, oder dort, wo die mannichfaltigen Mey-
nungen, und Bedingungen ohne Zahl, mehr Zeit zum Un-
terſuchen als zum Handeln erfordern? — Jſt der morali-
ſche Unterſchied von Tugend und Laſter nicht wirklich in den
Geſinnungen, ſo kann niemand auf Tugend Anſpruch ma-
chen, wenigſtens haͤngt ſie nicht von ſeinem Willen ab. Der
Kluge, der Vorſichtige, der Liſtige, der Heuchler iſt recht-
ſchaffen: der Einfaͤltige, der Leichtſinnige, der Ungluͤckli-
che, der Aufrichtige wird laſterhaft ſeyn. — Die innere
Beruhigung haͤngt von der Meynung anderer und dem Zu-
faͤlligen ab, wenn ich nicht meine Geſinnungen nach feſtge-
ſetzten Regeln beurtheilen kann.
Jſt der Begriff nicht ſehr eingeſchraͤnkt, wenn ich das
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/302>, abgerufen am 28.07.2024.
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