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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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verändert. Mit jenem Falle sind lebhafte und kurze Schmer-
zen, mit diesem Einförmigkeit und anhaltende unangeneh-
me Empfindungen verknüpft. Jch würde aber nur allein
gelitten haben. Und wie viel Zufriedenheit hat mir der Ge-
nuß alles dessen, was ich vom Glück erwarten konnte, gege-
ben? -- Die Befriedigung von Begierden, die eine un-
vermeidliche Leere nach sich zieht; die Erfüllung von Wün-
schen, deren Reiz durch die unruhige Geschäfftigkeit sich
darin zu erhalten vermindert wird; vervielfältigte Vergnü-
gungen, die ihrer Natur nach sich unter einander zerstören,
und endlich nichts als höchstens Zerstreuungen sind; die
Unempfindlichkeit, eine natürliche Folge des Besitzes alles
dessen, was das Leben geschwind und leicht angenehm ma-
chen kann. -- Das Vergnügen der Freundschaft und der
Geselligkeit wird man mir doch nicht absprechen können?
Nein, wenn eine Situation voller Zerstreuungen, voller
Aufmerksamkeit auf hundert Kleinigkeiten, mit der Unmög-
lichkeit den Gedanken von ihrer Unsicherheit zu entfernen,
solches geben konnte, und es nicht vielleicht seiner Natur
widerspräche. Gesetzt aber, ich sey mir bloß guter Absich-
ten und erlaubter Mittel bewußt, und meine moralischen
Vergehungen wären die Folgen des Leichtsinns und der
Schwachheit? So raubten mir doch itzt die Vorwürfe von
diesen alle Beruhigung über jene. Vermieden würde ich sie
haben, wenn ich ihre Folgen nach allen Verhältnissen über-
dacht hätte. War dieser Entschluß aber möglich, wenn auf
der andern Seite die Leidenschaft mir, die Glückseeligkeit
meiner und andrer, die Verachtung der Gefahr, die Unge-
wißheit der entfernten Folgen, und die Sicherheit die näch-
sten in der Gewalt zu haben, so lebhaft vorstellen? Der
Ausschlag mußte nothwendig auf die Seite fallen, wo das
Vergnügen nahe und der Schmerz entfernt und ungewiß
war: der Fall aber, wo Vernunft und lebhafte Begierden
streiten, und der Verstand entscheiden soll, kann nicht anders
gedacht werden. Die Ehre und Selbstliebe, der Einfluß so

eine



veraͤndert. Mit jenem Falle ſind lebhafte und kurze Schmer-
zen, mit dieſem Einfoͤrmigkeit und anhaltende unangeneh-
me Empfindungen verknuͤpft. Jch wuͤrde aber nur allein
gelitten haben. Und wie viel Zufriedenheit hat mir der Ge-
nuß alles deſſen, was ich vom Gluͤck erwarten konnte, gege-
ben? — Die Befriedigung von Begierden, die eine un-
vermeidliche Leere nach ſich zieht; die Erfuͤllung von Wuͤn-
ſchen, deren Reiz durch die unruhige Geſchaͤfftigkeit ſich
darin zu erhalten vermindert wird; vervielfaͤltigte Vergnuͤ-
gungen, die ihrer Natur nach ſich unter einander zerſtoͤren,
und endlich nichts als hoͤchſtens Zerſtreuungen ſind; die
Unempfindlichkeit, eine natuͤrliche Folge des Beſitzes alles
deſſen, was das Leben geſchwind und leicht angenehm ma-
chen kann. — Das Vergnuͤgen der Freundſchaft und der
Geſelligkeit wird man mir doch nicht abſprechen koͤnnen?
Nein, wenn eine Situation voller Zerſtreuungen, voller
Aufmerkſamkeit auf hundert Kleinigkeiten, mit der Unmoͤg-
lichkeit den Gedanken von ihrer Unſicherheit zu entfernen,
ſolches geben konnte, und es nicht vielleicht ſeiner Natur
widerſpraͤche. Geſetzt aber, ich ſey mir bloß guter Abſich-
ten und erlaubter Mittel bewußt, und meine moraliſchen
Vergehungen waͤren die Folgen des Leichtſinns und der
Schwachheit? So raubten mir doch itzt die Vorwuͤrfe von
dieſen alle Beruhigung uͤber jene. Vermieden wuͤrde ich ſie
haben, wenn ich ihre Folgen nach allen Verhaͤltniſſen uͤber-
dacht haͤtte. War dieſer Entſchluß aber moͤglich, wenn auf
der andern Seite die Leidenſchaft mir, die Gluͤckſeeligkeit
meiner und andrer, die Verachtung der Gefahr, die Unge-
wißheit der entfernten Folgen, und die Sicherheit die naͤch-
ſten in der Gewalt zu haben, ſo lebhaft vorſtellen? Der
Ausſchlag mußte nothwendig auf die Seite fallen, wo das
Vergnuͤgen nahe und der Schmerz entfernt und ungewiß
war: der Fall aber, wo Vernunft und lebhafte Begierden
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gedacht werden. Die Ehre und Selbſtliebe, der Einfluß ſo

eine
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[288/0300] veraͤndert. Mit jenem Falle ſind lebhafte und kurze Schmer- zen, mit dieſem Einfoͤrmigkeit und anhaltende unangeneh- me Empfindungen verknuͤpft. Jch wuͤrde aber nur allein gelitten haben. Und wie viel Zufriedenheit hat mir der Ge- nuß alles deſſen, was ich vom Gluͤck erwarten konnte, gege- ben? — Die Befriedigung von Begierden, die eine un- vermeidliche Leere nach ſich zieht; die Erfuͤllung von Wuͤn- ſchen, deren Reiz durch die unruhige Geſchaͤfftigkeit ſich darin zu erhalten vermindert wird; vervielfaͤltigte Vergnuͤ- gungen, die ihrer Natur nach ſich unter einander zerſtoͤren, und endlich nichts als hoͤchſtens Zerſtreuungen ſind; die Unempfindlichkeit, eine natuͤrliche Folge des Beſitzes alles deſſen, was das Leben geſchwind und leicht angenehm ma- chen kann. — Das Vergnuͤgen der Freundſchaft und der Geſelligkeit wird man mir doch nicht abſprechen koͤnnen? Nein, wenn eine Situation voller Zerſtreuungen, voller Aufmerkſamkeit auf hundert Kleinigkeiten, mit der Unmoͤg- lichkeit den Gedanken von ihrer Unſicherheit zu entfernen, ſolches geben konnte, und es nicht vielleicht ſeiner Natur widerſpraͤche. Geſetzt aber, ich ſey mir bloß guter Abſich- ten und erlaubter Mittel bewußt, und meine moraliſchen Vergehungen waͤren die Folgen des Leichtſinns und der Schwachheit? So raubten mir doch itzt die Vorwuͤrfe von dieſen alle Beruhigung uͤber jene. Vermieden wuͤrde ich ſie haben, wenn ich ihre Folgen nach allen Verhaͤltniſſen uͤber- dacht haͤtte. War dieſer Entſchluß aber moͤglich, wenn auf der andern Seite die Leidenſchaft mir, die Gluͤckſeeligkeit meiner und andrer, die Verachtung der Gefahr, die Unge- wißheit der entfernten Folgen, und die Sicherheit die naͤch- ſten in der Gewalt zu haben, ſo lebhaft vorſtellen? Der Ausſchlag mußte nothwendig auf die Seite fallen, wo das Vergnuͤgen nahe und der Schmerz entfernt und ungewiß war: der Fall aber, wo Vernunft und lebhafte Begierden ſtreiten, und der Verſtand entſcheiden ſoll, kann nicht anders gedacht werden. Die Ehre und Selbſtliebe, der Einfluß ſo eine

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/300>, abgerufen am 25.11.2024.