gesagt, und da ich wußte, daß eine anhaltende Vorstellung und beständiges Nachdenken über den nemlichen Vorwurf den Eindruck desselben nur um so viel lebhafter auf uns macht, so suchte ich durch Zerstreuung und Beschäfftigung meiner Gedanken mit andern Vorwürfen, mein Unglück mir weniger fühlbar zu machen, und meine natürliche Ge- mühtsverfassung dadurch zu unterstützen.
Jn diesem Zustande fanden Sie mich, mein wehrte- ster Freund, und wir fiengen unsre Unterredungen an. Sie erinnern sich, wie sehr ich von meinen Grundsätzen über- zeugt zu seyn glaubte, wie fest ich mir sie eingeprägt, und wie sehr ich gegen alle Leidenschaften, die in mir erregt wer- den konnten, auf meiner Hut war. Dieß fand ich billig, daß eine Sache, so meine Glückseeligkeit beträfe, die noch einen Einfluß auf die Zukunft haben könnte, eine Untersu- chung verdiene; eine Meynung, darin die größte Wahr- scheinlichkeit die Gewißheit sey, erhalte neue Stärke durch die Prüfung der entgegengesetzten, und die Widerlegung der Zweifel erfordre wenigstens so viel Aufmerksamkeit, als auf die Ueberlegung der Gründe bey ihrer Annehmung sey gewandt worden.
Bey der Betrachtung meiner moralischen Grundsätze und ihrer Folgen erregte sich gar bald der Zweifel, ob ich nicht durch jene meines Zwecks, der innern Beruhigung und Zufriedenheit über meine Handlungen, verfehlt hätte. Jch konnte mir nicht verbergen, daß ich Vorwürfe von mir selbst und andern verdiente, wenn es auch nur von der Seite meiner mit mir unglücklichen Freunde sey, welche mich am lebhaftesten rührte. Würde es nicht sichrer gewesen seyn, dachte ich, wenn ich meine Handlungen mehr nach ihrem Ursprung, als nach den Verhältnissen und Folgen beurtheilt hätte? -- Wie wenig Vergnügen und Thätigkeit wäre alsdann in meinem Leben gewesen! Jetzt weniger Reue und Misvergnügen, aber vorhin mehr Kampf und Wider- stand gegen mich selbst. Die Zeit des Leidens ward bloß
verän-
geſagt, und da ich wußte, daß eine anhaltende Vorſtellung und beſtaͤndiges Nachdenken uͤber den nemlichen Vorwurf den Eindruck deſſelben nur um ſo viel lebhafter auf uns macht, ſo ſuchte ich durch Zerſtreuung und Beſchaͤfftigung meiner Gedanken mit andern Vorwuͤrfen, mein Ungluͤck mir weniger fuͤhlbar zu machen, und meine natuͤrliche Ge- muͤhtsverfaſſung dadurch zu unterſtuͤtzen.
Jn dieſem Zuſtande fanden Sie mich, mein wehrte- ſter Freund, und wir fiengen unſre Unterredungen an. Sie erinnern ſich, wie ſehr ich von meinen Grundſaͤtzen uͤber- zeugt zu ſeyn glaubte, wie feſt ich mir ſie eingepraͤgt, und wie ſehr ich gegen alle Leidenſchaften, die in mir erregt wer- den konnten, auf meiner Hut war. Dieß fand ich billig, daß eine Sache, ſo meine Gluͤckſeeligkeit betraͤfe, die noch einen Einfluß auf die Zukunft haben koͤnnte, eine Unterſu- chung verdiene; eine Meynung, darin die groͤßte Wahr- ſcheinlichkeit die Gewißheit ſey, erhalte neue Staͤrke durch die Pruͤfung der entgegengeſetzten, und die Widerlegung der Zweifel erfordre wenigſtens ſo viel Aufmerkſamkeit, als auf die Ueberlegung der Gruͤnde bey ihrer Annehmung ſey gewandt worden.
Bey der Betrachtung meiner moraliſchen Grundſaͤtze und ihrer Folgen erregte ſich gar bald der Zweifel, ob ich nicht durch jene meines Zwecks, der innern Beruhigung und Zufriedenheit uͤber meine Handlungen, verfehlt haͤtte. Jch konnte mir nicht verbergen, daß ich Vorwuͤrfe von mir ſelbſt und andern verdiente, wenn es auch nur von der Seite meiner mit mir ungluͤcklichen Freunde ſey, welche mich am lebhafteſten ruͤhrte. Wuͤrde es nicht ſichrer geweſen ſeyn, dachte ich, wenn ich meine Handlungen mehr nach ihrem Urſprung, als nach den Verhaͤltniſſen und Folgen beurtheilt haͤtte? — Wie wenig Vergnuͤgen und Thaͤtigkeit waͤre alsdann in meinem Leben geweſen! Jetzt weniger Reue und Misvergnuͤgen, aber vorhin mehr Kampf und Wider- ſtand gegen mich ſelbſt. Die Zeit des Leidens ward bloß
veraͤn-
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geſagt, und da ich wußte, daß eine anhaltende Vorſtellung
und beſtaͤndiges Nachdenken uͤber den nemlichen Vorwurf
den Eindruck deſſelben nur um ſo viel lebhafter auf uns
macht, ſo ſuchte ich durch Zerſtreuung und Beſchaͤfftigung
meiner Gedanken mit andern Vorwuͤrfen, mein Ungluͤck
mir weniger fuͤhlbar zu machen, und meine natuͤrliche Ge-
muͤhtsverfaſſung dadurch zu unterſtuͤtzen.
Jn dieſem Zuſtande fanden Sie mich, mein wehrte-
ſter Freund, und wir fiengen unſre Unterredungen an. Sie
erinnern ſich, wie ſehr ich von meinen Grundſaͤtzen uͤber-
zeugt zu ſeyn glaubte, wie feſt ich mir ſie eingepraͤgt, und
wie ſehr ich gegen alle Leidenſchaften, die in mir erregt wer-
den konnten, auf meiner Hut war. Dieß fand ich billig,
daß eine Sache, ſo meine Gluͤckſeeligkeit betraͤfe, die noch
einen Einfluß auf die Zukunft haben koͤnnte, eine Unterſu-
chung verdiene; eine Meynung, darin die groͤßte Wahr-
ſcheinlichkeit die Gewißheit ſey, erhalte neue Staͤrke durch
die Pruͤfung der entgegengeſetzten, und die Widerlegung
der Zweifel erfordre wenigſtens ſo viel Aufmerkſamkeit, als
auf die Ueberlegung der Gruͤnde bey ihrer Annehmung ſey
gewandt worden.
Bey der Betrachtung meiner moraliſchen Grundſaͤtze
und ihrer Folgen erregte ſich gar bald der Zweifel, ob ich
nicht durch jene meines Zwecks, der innern Beruhigung
und Zufriedenheit uͤber meine Handlungen, verfehlt haͤtte.
Jch konnte mir nicht verbergen, daß ich Vorwuͤrfe von mir
ſelbſt und andern verdiente, wenn es auch nur von der Seite
meiner mit mir ungluͤcklichen Freunde ſey, welche mich am
lebhafteſten ruͤhrte. Wuͤrde es nicht ſichrer geweſen ſeyn,
dachte ich, wenn ich meine Handlungen mehr nach ihrem
Urſprung, als nach den Verhaͤltniſſen und Folgen beurtheilt
haͤtte? — Wie wenig Vergnuͤgen und Thaͤtigkeit waͤre
alsdann in meinem Leben geweſen! Jetzt weniger Reue
und Misvergnuͤgen, aber vorhin mehr Kampf und Wider-
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/299>, abgerufen am 16.02.2025.
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