mehr beunruhigen. Was Sie mir von Anfang an gesagt haben, das habe ich nun erfahren. Es fällt mir kein Zweifel mehr ein, den ich mir nicht selbst zu meiner völli- gen Beruhigung sollte heben können.
Die christliche Religion, sagte er bey einer andern Gelegenheit, hat so viel einnehmendes, daß sie nothwen- dig einem jeden gefallen muß, der sie nur recht kennen lernt. Sie würde selbst bey dem gemeinen Volke die vor- trefflichsten Würkungen hervorbringen, und die Welt auf das vortheilhafteste verändern, wenn sie immer von der rechten Seite vorgetragen würde, und man es den Leuten nach ihrer Fassung begreiflich genug machte, daß sie selbst für dieß Leben nicht glücklicher werden könnten, als wenn sie die Vorschriften des Christenthums erfüllten; Jeder- mann würde es bald einsehen, daß, wenn es auch mög- lich wäre, daß diese Religion ein Jrrthum seyn könnte, sie ein solcher Jrrthum seyn müßte, der der Natur des Jrrthums ganz widerspräche, indem er der beste und wahre Weg zur Glückseeligkeit wäre. Jedermann würde dann finden, daß es der Mühe wehrt sey, diesen Jrrthum sorgfältig zu ernähren und auszubreiten.
Jch wünschte, fuhr er fort, daß Sie und andre Geistliche allerley kleine fliegende Blätter schrieben, um den Leuten die Vortheile des Christenthums bekannter zu machen, als es, wie ich glaube, durch das bloße Predi- gen möglich ist. Man könnte, z. Ex. die Kalender zu die- ser Absicht brauchen, und anstatt der vielen abergläubi- schen Dinge, womit sie gewöhnlich angefüllt sind, nach der Fassung des gemeinen Haufens Religion und Tugend darin lehren. Der Bauer würde dann diese Sachen täg- lich lesen, und wenn sie ihm denn immer wieder in einer andern Gestalt unter die Augen kämen, so müßte er doch nothwendig zuletzt besser denken und handeln lernen. Auf die Art schreibt Voltaire, wie Sie wissen, unzählige kleine Piecen gegen die Religion, die immer unter veränderten
Nahmen
mehr beunruhigen. Was Sie mir von Anfang an geſagt haben, das habe ich nun erfahren. Es faͤllt mir kein Zweifel mehr ein, den ich mir nicht ſelbſt zu meiner voͤlli- gen Beruhigung ſollte heben koͤnnen.
Die chriſtliche Religion, ſagte er bey einer andern Gelegenheit, hat ſo viel einnehmendes, daß ſie nothwen- dig einem jeden gefallen muß, der ſie nur recht kennen lernt. Sie wuͤrde ſelbſt bey dem gemeinen Volke die vor- trefflichſten Wuͤrkungen hervorbringen, und die Welt auf das vortheilhafteſte veraͤndern, wenn ſie immer von der rechten Seite vorgetragen wuͤrde, und man es den Leuten nach ihrer Faſſung begreiflich genug machte, daß ſie ſelbſt fuͤr dieß Leben nicht gluͤcklicher werden koͤnnten, als wenn ſie die Vorſchriften des Chriſtenthums erfuͤllten; Jeder- mann wuͤrde es bald einſehen, daß, wenn es auch moͤg- lich waͤre, daß dieſe Religion ein Jrrthum ſeyn koͤnnte, ſie ein ſolcher Jrrthum ſeyn muͤßte, der der Natur des Jrrthums ganz widerſpraͤche, indem er der beſte und wahre Weg zur Gluͤckſeeligkeit waͤre. Jedermann wuͤrde dann finden, daß es der Muͤhe wehrt ſey, dieſen Jrrthum ſorgfaͤltig zu ernaͤhren und auszubreiten.
Jch wuͤnſchte, fuhr er fort, daß Sie und andre Geiſtliche allerley kleine fliegende Blaͤtter ſchrieben, um den Leuten die Vortheile des Chriſtenthums bekannter zu machen, als es, wie ich glaube, durch das bloße Predi- gen moͤglich iſt. Man koͤnnte, z. Ex. die Kalender zu die- ſer Abſicht brauchen, und anſtatt der vielen aberglaͤubi- ſchen Dinge, womit ſie gewoͤhnlich angefuͤllt ſind, nach der Faſſung des gemeinen Haufens Religion und Tugend darin lehren. Der Bauer wuͤrde dann dieſe Sachen taͤg- lich leſen, und wenn ſie ihm denn immer wieder in einer andern Geſtalt unter die Augen kaͤmen, ſo muͤßte er doch nothwendig zuletzt beſſer denken und handeln lernen. Auf die Art ſchreibt Voltaire, wie Sie wiſſen, unzaͤhlige kleine Piecen gegen die Religion, die immer unter veraͤnderten
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mehr beunruhigen. Was Sie mir von Anfang an geſagt
haben, das habe ich nun erfahren. Es faͤllt mir kein
Zweifel mehr ein, den ich mir nicht ſelbſt zu meiner voͤlli-
gen Beruhigung ſollte heben koͤnnen.
Die chriſtliche Religion, ſagte er bey einer andern
Gelegenheit, hat ſo viel einnehmendes, daß ſie nothwen-
dig einem jeden gefallen muß, der ſie nur recht kennen
lernt. Sie wuͤrde ſelbſt bey dem gemeinen Volke die vor-
trefflichſten Wuͤrkungen hervorbringen, und die Welt auf
das vortheilhafteſte veraͤndern, wenn ſie immer von der
rechten Seite vorgetragen wuͤrde, und man es den Leuten
nach ihrer Faſſung begreiflich genug machte, daß ſie ſelbſt
fuͤr dieß Leben nicht gluͤcklicher werden koͤnnten, als wenn
ſie die Vorſchriften des Chriſtenthums erfuͤllten; Jeder-
mann wuͤrde es bald einſehen, daß, wenn es auch moͤg-
lich waͤre, daß dieſe Religion ein Jrrthum ſeyn koͤnnte,
ſie ein ſolcher Jrrthum ſeyn muͤßte, der der Natur des
Jrrthums ganz widerſpraͤche, indem er der beſte und
wahre Weg zur Gluͤckſeeligkeit waͤre. Jedermann wuͤrde
dann finden, daß es der Muͤhe wehrt ſey, dieſen Jrrthum
ſorgfaͤltig zu ernaͤhren und auszubreiten.
Jch wuͤnſchte, fuhr er fort, daß Sie und andre
Geiſtliche allerley kleine fliegende Blaͤtter ſchrieben, um
den Leuten die Vortheile des Chriſtenthums bekannter zu
machen, als es, wie ich glaube, durch das bloße Predi-
gen moͤglich iſt. Man koͤnnte, z. Ex. die Kalender zu die-
ſer Abſicht brauchen, und anſtatt der vielen aberglaͤubi-
ſchen Dinge, womit ſie gewoͤhnlich angefuͤllt ſind, nach
der Faſſung des gemeinen Haufens Religion und Tugend
darin lehren. Der Bauer wuͤrde dann dieſe Sachen taͤg-
lich leſen, und wenn ſie ihm denn immer wieder in einer
andern Geſtalt unter die Augen kaͤmen, ſo muͤßte er doch
nothwendig zuletzt beſſer denken und handeln lernen. Auf
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/242>, abgerufen am 06.07.2024.
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