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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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Der Gehorsam, die Disciplin bei den älteren Rö-
mern hatte einen edlen, ritterlichen Charakter,
indem er vielmehr der Idee der Freiheit und der
Republik, als den jeweiligen Befehlshabern der
letzteren -- diesen wenigstens nur mittelbar, um der
Freiheit willen -- gewidmet war. Damals waren
Gehorsam und gebietende Macht nur verschie-
dene Formen von dem Dienste der Republik, der
ewigen Stadt und ihres Ruhmes. Durch die
herrschende, allen Gemüthern eingeprägte Idee
der Römischen Freiheit erhielt das härteste Sub-
ordinations-Gesetz einen Charakter der Gegen-
seitigkeit; es war keine Unterwerfung an sich,
sondern eine Unterwerfung um der Freiheit wil-
len. -- Die Gesetze über die persönlichen Ver-
hältnisse athmeten durchaus den Geist der unbe-
dingten Abhängigkeit des physisch-Schwächeren
von dem Stärkeren. Mit der Errichtung einer
despotischen Macht in Rom verschwand dieses
unsichtbare Gefühl der Gegenseitigkeit und der
Freiheit, und es blieb nichts als der sichtbare
Buchstab der Disciplin und des unbedingten
Besitzes zurück.

Ich fordere jeden Kenner des Römischen Rech-
tes auf, mir außer der Lehre von dem Contracte ir-
gend eine Spur wahrer Gegenseitigkeit der Rechts-
verhältnisse darin zu zeigen. Und dennoch sind

Der Gehorſam, die Disciplin bei den aͤlteren Roͤ-
mern hatte einen edlen, ritterlichen Charakter,
indem er vielmehr der Idee der Freiheit und der
Republik, als den jeweiligen Befehlshabern der
letzteren — dieſen wenigſtens nur mittelbar, um der
Freiheit willen — gewidmet war. Damals waren
Gehorſam und gebietende Macht nur verſchie-
dene Formen von dem Dienſte der Republik, der
ewigen Stadt und ihres Ruhmes. Durch die
herrſchende, allen Gemuͤthern eingepraͤgte Idee
der Roͤmiſchen Freiheit erhielt das haͤrteſte Sub-
ordinations-Geſetz einen Charakter der Gegen-
ſeitigkeit; es war keine Unterwerfung an ſich,
ſondern eine Unterwerfung um der Freiheit wil-
len. — Die Geſetze uͤber die perſoͤnlichen Ver-
haͤltniſſe athmeten durchaus den Geiſt der unbe-
dingten Abhaͤngigkeit des phyſiſch-Schwaͤcheren
von dem Staͤrkeren. Mit der Errichtung einer
despotiſchen Macht in Rom verſchwand dieſes
unſichtbare Gefuͤhl der Gegenſeitigkeit und der
Freiheit, und es blieb nichts als der ſichtbare
Buchſtab der Disciplin und des unbedingten
Beſitzes zuruͤck.

Ich fordere jeden Kenner des Roͤmiſchen Rech-
tes auf, mir außer der Lehre von dem Contracte ir-
gend eine Spur wahrer Gegenſeitigkeit der Rechts-
verhaͤltniſſe darin zu zeigen. Und dennoch ſind

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[61/0069] Der Gehorſam, die Disciplin bei den aͤlteren Roͤ- mern hatte einen edlen, ritterlichen Charakter, indem er vielmehr der Idee der Freiheit und der Republik, als den jeweiligen Befehlshabern der letzteren — dieſen wenigſtens nur mittelbar, um der Freiheit willen — gewidmet war. Damals waren Gehorſam und gebietende Macht nur verſchie- dene Formen von dem Dienſte der Republik, der ewigen Stadt und ihres Ruhmes. Durch die herrſchende, allen Gemuͤthern eingepraͤgte Idee der Roͤmiſchen Freiheit erhielt das haͤrteſte Sub- ordinations-Geſetz einen Charakter der Gegen- ſeitigkeit; es war keine Unterwerfung an ſich, ſondern eine Unterwerfung um der Freiheit wil- len. — Die Geſetze uͤber die perſoͤnlichen Ver- haͤltniſſe athmeten durchaus den Geiſt der unbe- dingten Abhaͤngigkeit des phyſiſch-Schwaͤcheren von dem Staͤrkeren. Mit der Errichtung einer despotiſchen Macht in Rom verſchwand dieſes unſichtbare Gefuͤhl der Gegenſeitigkeit und der Freiheit, und es blieb nichts als der ſichtbare Buchſtab der Disciplin und des unbedingten Beſitzes zuruͤck. Ich fordere jeden Kenner des Roͤmiſchen Rech- tes auf, mir außer der Lehre von dem Contracte ir- gend eine Spur wahrer Gegenſeitigkeit der Rechts- verhaͤltniſſe darin zu zeigen. Und dennoch ſind

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/69>, abgerufen am 23.11.2024.