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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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den Regierungen anrechnen, daß sie die alte na-
tionale Würde bei Seite setzten und meisten
Theils sich zu großen Kaufmannshäusern consti-
tuirten! Alles freie und großartige Verkehren
zwischen Regenten und Beherrschten verwandelte
sich in unedles Feilschen, Handeln und gegensei-
tiges Ueberlisten. Fragt man mich, welches die
Ursache der Finanzen-Zerrüttung und aller der
unglücklichen, schwachen und schwankenden Maß-
regeln Europäischer Regierungen in ökonomischen
Rücksichten gewesen sey; so antworte ich: die
Regierungen waren in unedlem Wetteifer mit den
großen Comptoirs ihres Landes; nach den in
großen Handelshäusern geltenden Taxen des
Reichthums und des Credits beurtheilten die Re-
gierungen sich selbst, und zogen gegen diese den
Kürzeren, weil sie, außer dem mercantilischen
Geschäfte, noch andre größere Bestimmungen zu
erfüllen hatten, und dennoch diese mit jenen nicht
in Harmonie zu setzen wußten. Die Untertha-
nen waren zu Weltbürgern geworden, abhängig
vom allgemeinen Verkehr: als solche, wollten
die alten Regenten sie noch wie Bürger eines be-
stimmten Staates behandeln, und wurden den-
noch in jedem Augenblick von dem universellen
Bestreben der Untergebenen in die allgemeine
Strömung mit fortgerissen. So wurden sie selbst

den Regierungen anrechnen, daß ſie die alte na-
tionale Wuͤrde bei Seite ſetzten und meiſten
Theils ſich zu großen Kaufmannshaͤuſern conſti-
tuirten! Alles freie und großartige Verkehren
zwiſchen Regenten und Beherrſchten verwandelte
ſich in unedles Feilſchen, Handeln und gegenſei-
tiges Ueberliſten. Fragt man mich, welches die
Urſache der Finanzen-Zerruͤttung und aller der
ungluͤcklichen, ſchwachen und ſchwankenden Maß-
regeln Europaͤiſcher Regierungen in oͤkonomiſchen
Ruͤckſichten geweſen ſey; ſo antworte ich: die
Regierungen waren in unedlem Wetteifer mit den
großen Comptoirs ihres Landes; nach den in
großen Handelshaͤuſern geltenden Taxen des
Reichthums und des Credits beurtheilten die Re-
gierungen ſich ſelbſt, und zogen gegen dieſe den
Kuͤrzeren, weil ſie, außer dem mercantiliſchen
Geſchaͤfte, noch andre groͤßere Beſtimmungen zu
erfuͤllen hatten, und dennoch dieſe mit jenen nicht
in Harmonie zu ſetzen wußten. Die Untertha-
nen waren zu Weltbuͤrgern geworden, abhaͤngig
vom allgemeinen Verkehr: als ſolche, wollten
die alten Regenten ſie noch wie Buͤrger eines be-
ſtimmten Staates behandeln, und wurden den-
noch in jedem Augenblick von dem univerſellen
Beſtreben der Untergebenen in die allgemeine
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[327/0335] den Regierungen anrechnen, daß ſie die alte na- tionale Wuͤrde bei Seite ſetzten und meiſten Theils ſich zu großen Kaufmannshaͤuſern conſti- tuirten! Alles freie und großartige Verkehren zwiſchen Regenten und Beherrſchten verwandelte ſich in unedles Feilſchen, Handeln und gegenſei- tiges Ueberliſten. Fragt man mich, welches die Urſache der Finanzen-Zerruͤttung und aller der ungluͤcklichen, ſchwachen und ſchwankenden Maß- regeln Europaͤiſcher Regierungen in oͤkonomiſchen Ruͤckſichten geweſen ſey; ſo antworte ich: die Regierungen waren in unedlem Wetteifer mit den großen Comptoirs ihres Landes; nach den in großen Handelshaͤuſern geltenden Taxen des Reichthums und des Credits beurtheilten die Re- gierungen ſich ſelbſt, und zogen gegen dieſe den Kuͤrzeren, weil ſie, außer dem mercantiliſchen Geſchaͤfte, noch andre groͤßere Beſtimmungen zu erfuͤllen hatten, und dennoch dieſe mit jenen nicht in Harmonie zu ſetzen wußten. Die Untertha- nen waren zu Weltbuͤrgern geworden, abhaͤngig vom allgemeinen Verkehr: als ſolche, wollten die alten Regenten ſie noch wie Buͤrger eines be- ſtimmten Staates behandeln, und wurden den- noch in jedem Augenblick von dem univerſellen Beſtreben der Untergebenen in die allgemeine Stroͤmung mit fortgeriſſen. So wurden ſie ſelbſt

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/335>, abgerufen am 28.11.2024.