Wie die letzten Sprößlinge einer ehemals blühenden adeligen Familie, die mit dem ihnen tief eingeprägten Glauben an Würde und Aus- erwähltheit (in einer Zeit, in welcher nichts so sehr gilt, als Reichthum, Besitz und die Macht des Augenblickes) nun auch nichts wei- ter anzufangen wissen: sie pochen auf einen per- sönlichen Vorzug, wie auf einen weltlichen Be- sitz, mit dem er nichts gemein hat; der Wider- spruch des heiligen Wesens, das behauptet werden soll, mit dem weltlichen Sinn, in wel- chem es behauptet wird, macht sie unerträg- lich.
So das adelige Geschlecht der alten Welt, die Israeliten, als der Geist der Erzväter von ihnen gewichen war: sie können sich den Vorzug, den alten verheißenen, und durch Moses erfüllten, nicht mehr persönlich denken; sie begreifen ihren National-Adel bürgerlich, Römisch; sie erwarten immer sehnsuchtsvoller einen weltlichen Retter, einen König, der ihnen Befreiung und die Welt- herrschaft mitbringen soll, die sie nun für eine nothwendige Mitgift der verheißenen Auserwählt- heit halten. Einzelne große Gemüther, die Pro- pheten, rufen den alten Mosaischen Geist zurück, zeigen, wie der alte Adel der Schmerzen, der Stolz der Leiden, und demnach die Idee des Na-
Wie die letzten Sproͤßlinge einer ehemals bluͤhenden adeligen Familie, die mit dem ihnen tief eingepraͤgten Glauben an Wuͤrde und Aus- erwaͤhltheit (in einer Zeit, in welcher nichts ſo ſehr gilt, als Reichthum, Beſitz und die Macht des Augenblickes) nun auch nichts wei- ter anzufangen wiſſen: ſie pochen auf einen per- ſoͤnlichen Vorzug, wie auf einen weltlichen Be- ſitz, mit dem er nichts gemein hat; der Wider- ſpruch des heiligen Weſens, das behauptet werden ſoll, mit dem weltlichen Sinn, in wel- chem es behauptet wird, macht ſie unertraͤg- lich.
So das adelige Geſchlecht der alten Welt, die Iſraeliten, als der Geiſt der Erzvaͤter von ihnen gewichen war: ſie koͤnnen ſich den Vorzug, den alten verheißenen, und durch Moſes erfuͤllten, nicht mehr perſoͤnlich denken; ſie begreifen ihren National-Adel buͤrgerlich, Roͤmiſch; ſie erwarten immer ſehnſuchtsvoller einen weltlichen Retter, einen Koͤnig, der ihnen Befreiung und die Welt- herrſchaft mitbringen ſoll, die ſie nun fuͤr eine nothwendige Mitgift der verheißenen Auserwaͤhlt- heit halten. Einzelne große Gemuͤther, die Pro- pheten, rufen den alten Moſaiſchen Geiſt zuruͤck, zeigen, wie der alte Adel der Schmerzen, der Stolz der Leiden, und demnach die Idee des Na-
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Wie die letzten Sproͤßlinge einer ehemals
bluͤhenden adeligen Familie, die mit dem ihnen
tief eingepraͤgten Glauben an Wuͤrde und Aus-
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Macht des Augenblickes) nun auch nichts wei-
ter anzufangen wiſſen: ſie pochen auf einen per-
ſoͤnlichen Vorzug, wie auf einen weltlichen Be-
ſitz, mit dem er nichts gemein hat; der Wider-
ſpruch des heiligen Weſens, das behauptet
werden ſoll, mit dem weltlichen Sinn, in wel-
chem es behauptet wird, macht ſie unertraͤg-
lich.
So das adelige Geſchlecht der alten Welt, die
Iſraeliten, als der Geiſt der Erzvaͤter von ihnen
gewichen war: ſie koͤnnen ſich den Vorzug, den
alten verheißenen, und durch Moſes erfuͤllten,
nicht mehr perſoͤnlich denken; ſie begreifen ihren
National-Adel buͤrgerlich, Roͤmiſch; ſie erwarten
immer ſehnſuchtsvoller einen weltlichen Retter,
einen Koͤnig, der ihnen Befreiung und die Welt-
herrſchaft mitbringen ſoll, die ſie nun fuͤr eine
nothwendige Mitgift der verheißenen Auserwaͤhlt-
heit halten. Einzelne große Gemuͤther, die Pro-
pheten, rufen den alten Moſaiſchen Geiſt zuruͤck,
zeigen, wie der alte Adel der Schmerzen, der
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/33>, abgerufen am 23.11.2024.
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