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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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Das ganze Geheimniß der Zeitgenossen von
Friedrich dem Zweiten, an welchem er selbst, die-
ser auch in seinen Irrthümern außerordentliche
und genialische Kopf, wohl den entschiedensten An-
theil nehmen mußte, war Vergrößerung der
Massen
. Wenn das Europäische Gleichgewicht
nichts anderes war, als ein Garantiren, Stüt-
zen und Aufheben der Masse durch die Masse,
so hatte diese Schule vollkommen Recht. In
den völkerrechtlichen Prozessen war nichts weiter
zu thun, als zu entscheiden. Deshalb mußte,
um der im Laufe der Jahre beständig wechselnden
Gestalt dieser Massen zu begegnen, jeder einzelne
Staat zum Wächter über diese arithmetischen
Massen werden, und dadurch, daß er mit seinem
Gewichte beständig zwischen den beiden Schalen
schwankte, den jeden Augenblick nothwendigen
Ausschlag geben helfen. Der große Zweck, wel-
chen alle Europäischen Staaten im Auge hatten,
wenn sie ihr Interesse im Cabinet betrachteten,
war unendliche Vergrößerung; der Zweck, den
sie vorgaben, wenn sie ihre Schritte öffentlich
rechtfertigten, war jene große arithmetische *,
die das Resultat von dem Neben-einander-Leben
dieser herrlichen Staaten seyn sollte. Was war
in den Augen dieser calculirenden Weisheit ein

Müllers Elemente. I. [19]

Das ganze Geheimniß der Zeitgenoſſen von
Friedrich dem Zweiten, an welchem er ſelbſt, die-
ſer auch in ſeinen Irrthuͤmern außerordentliche
und genialiſche Kopf, wohl den entſchiedenſten An-
theil nehmen mußte, war Vergroͤßerung der
Maſſen
. Wenn das Europaͤiſche Gleichgewicht
nichts anderes war, als ein Garantiren, Stuͤt-
zen und Aufheben der Maſſe durch die Maſſe,
ſo hatte dieſe Schule vollkommen Recht. In
den voͤlkerrechtlichen Prozeſſen war nichts weiter
zu thun, als zu entſcheiden. Deshalb mußte,
um der im Laufe der Jahre beſtaͤndig wechſelnden
Geſtalt dieſer Maſſen zu begegnen, jeder einzelne
Staat zum Waͤchter uͤber dieſe arithmetiſchen
Maſſen werden, und dadurch, daß er mit ſeinem
Gewichte beſtaͤndig zwiſchen den beiden Schalen
ſchwankte, den jeden Augenblick nothwendigen
Ausſchlag geben helfen. Der große Zweck, wel-
chen alle Europaͤiſchen Staaten im Auge hatten,
wenn ſie ihr Intereſſe im Cabinet betrachteten,
war unendliche Vergroͤßerung; der Zweck, den
ſie vorgaben, wenn ſie ihre Schritte oͤffentlich
rechtfertigten, war jene große arithmetiſche ○,
die das Reſultat von dem Neben-einander-Leben
dieſer herrlichen Staaten ſeyn ſollte. Was war
in den Augen dieſer calculirenden Weisheit ein

Müllers Elemente. I. [19]
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[289/0323] Das ganze Geheimniß der Zeitgenoſſen von Friedrich dem Zweiten, an welchem er ſelbſt, die- ſer auch in ſeinen Irrthuͤmern außerordentliche und genialiſche Kopf, wohl den entſchiedenſten An- theil nehmen mußte, war Vergroͤßerung der Maſſen. Wenn das Europaͤiſche Gleichgewicht nichts anderes war, als ein Garantiren, Stuͤt- zen und Aufheben der Maſſe durch die Maſſe, ſo hatte dieſe Schule vollkommen Recht. In den voͤlkerrechtlichen Prozeſſen war nichts weiter zu thun, als zu entſcheiden. Deshalb mußte, um der im Laufe der Jahre beſtaͤndig wechſelnden Geſtalt dieſer Maſſen zu begegnen, jeder einzelne Staat zum Waͤchter uͤber dieſe arithmetiſchen Maſſen werden, und dadurch, daß er mit ſeinem Gewichte beſtaͤndig zwiſchen den beiden Schalen ſchwankte, den jeden Augenblick nothwendigen Ausſchlag geben helfen. Der große Zweck, wel- chen alle Europaͤiſchen Staaten im Auge hatten, wenn ſie ihr Intereſſe im Cabinet betrachteten, war unendliche Vergroͤßerung; der Zweck, den ſie vorgaben, wenn ſie ihre Schritte oͤffentlich rechtfertigten, war jene große arithmetiſche ○, die das Reſultat von dem Neben-einander-Leben dieſer herrlichen Staaten ſeyn ſollte. Was war in den Augen dieſer calculirenden Weisheit ein Müllers Elemente. I. [19]

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/323>, abgerufen am 28.04.2024.