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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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die in den vorletzten Jahrhunderten einzelne
Staaten für ihre Vergrößerung unternommen
haben. Aber das Motiv, welches die Cabinette
im achtzehnten Jahrhundert leiten mochte, unter-
schied sich durchaus von dem Mobil, von dem
allen, ihnen unbewußt, mitgetheilten Drange nach
Wachsthum. Die Cabinette und die Völker sahen
in dem Staatenverhältnisse von Europa nichts
mehr, als das armselige Bild der schwankenden
Wage. Eine Operation, welche die Staaten,
durch neue Vertheilung der Gewichte, entwaffne-
te, zum Stillstand oder -- wie sie es nannten
-- in's Gleichgewicht brachte, schien den Cabi-
netten unbedingt rechtlich. Man zählte die Qua-
dratmeilen seines Gebietes, die Anzahl der Ein-
wohner, den Bestand der Köpfe, die man unter
Waffen bringen konnte, und die Summe der
Geld-Revenüen; und, als ob das Völkerrecht
nichts anderes wäre, als das Facit einer politi-
schen Rechenkunst, wurde das allgemeine Stre-
ben der Cabinette nun auf arithmetische Vergrö-
ßerung, auf Vermehrung der Quadratmeilen,
Einwohner, Truppen und Revenüen gerichtet.
Die ganze innere Gestalt der einzelnen Staaten
modificirte sich nach diesem traurigen Princip,
welches damals den Geist aller Administrationen,
auch der gepriesensten, ausmachte.

Das

die in den vorletzten Jahrhunderten einzelne
Staaten fuͤr ihre Vergroͤßerung unternommen
haben. Aber das Motiv, welches die Cabinette
im achtzehnten Jahrhundert leiten mochte, unter-
ſchied ſich durchaus von dem Mobil, von dem
allen, ihnen unbewußt, mitgetheilten Drange nach
Wachsthum. Die Cabinette und die Voͤlker ſahen
in dem Staatenverhaͤltniſſe von Europa nichts
mehr, als das armſelige Bild der ſchwankenden
Wage. Eine Operation, welche die Staaten,
durch neue Vertheilung der Gewichte, entwaffne-
te, zum Stillſtand oder — wie ſie es nannten
— in’s Gleichgewicht brachte, ſchien den Cabi-
netten unbedingt rechtlich. Man zaͤhlte die Qua-
dratmeilen ſeines Gebietes, die Anzahl der Ein-
wohner, den Beſtand der Koͤpfe, die man unter
Waffen bringen konnte, und die Summe der
Geld-Revenuͤen; und, als ob das Voͤlkerrecht
nichts anderes waͤre, als das Facit einer politi-
ſchen Rechenkunſt, wurde das allgemeine Stre-
ben der Cabinette nun auf arithmetiſche Vergroͤ-
ßerung, auf Vermehrung der Quadratmeilen,
Einwohner, Truppen und Revenuͤen gerichtet.
Die ganze innere Geſtalt der einzelnen Staaten
modificirte ſich nach dieſem traurigen Princip,
welches damals den Geiſt aller Adminiſtrationen,
auch der geprieſenſten, ausmachte.

Das
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[288/0322] die in den vorletzten Jahrhunderten einzelne Staaten fuͤr ihre Vergroͤßerung unternommen haben. Aber das Motiv, welches die Cabinette im achtzehnten Jahrhundert leiten mochte, unter- ſchied ſich durchaus von dem Mobil, von dem allen, ihnen unbewußt, mitgetheilten Drange nach Wachsthum. Die Cabinette und die Voͤlker ſahen in dem Staatenverhaͤltniſſe von Europa nichts mehr, als das armſelige Bild der ſchwankenden Wage. Eine Operation, welche die Staaten, durch neue Vertheilung der Gewichte, entwaffne- te, zum Stillſtand oder — wie ſie es nannten — in’s Gleichgewicht brachte, ſchien den Cabi- netten unbedingt rechtlich. Man zaͤhlte die Qua- dratmeilen ſeines Gebietes, die Anzahl der Ein- wohner, den Beſtand der Koͤpfe, die man unter Waffen bringen konnte, und die Summe der Geld-Revenuͤen; und, als ob das Voͤlkerrecht nichts anderes waͤre, als das Facit einer politi- ſchen Rechenkunſt, wurde das allgemeine Stre- ben der Cabinette nun auf arithmetiſche Vergroͤ- ßerung, auf Vermehrung der Quadratmeilen, Einwohner, Truppen und Revenuͤen gerichtet. Die ganze innere Geſtalt der einzelnen Staaten modificirte ſich nach dieſem traurigen Princip, welches damals den Geiſt aller Adminiſtrationen, auch der geprieſenſten, ausmachte. Das

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/322>, abgerufen am 24.11.2024.