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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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chie und 2) der Wahn der politischen Neutra-
lität
.

Die Universal-Monarchie ist ein Staat ohne
Schranken; der neutrale Staat ein absolut be-
schränkter, geschlossener Staat: beides sind Extre-
me, deren jedes den vollständigsten Widerspruch
enthält. Eins der untrieglichsten Zeichen, wie
tief-greifend und wie innig die Verbindung der
Europäischen Staaten in den beiden letzten Jahr-
hundertem war, ist der Antheil aller Staaten
an jedem möglichen Streite, der unter zweien
von ihnen entstehen möchte. Daß jeder Krieg
alle Cabinette in Bewegung setzte und zum
Universal-Kriege wurde, beweist, wie innig ver-
flochten das Interesse, und wie ununterbrochen
der Umgang jedes einzelnen mit allen übrigen
war. Es waren nicht sowohl die Ansichten der
Cabinette, welche den Krieg bestimmten; es war
niemals der Eigensinn der Regierenden, wie ein
weichlicher, verderbter Pöbel sich die Sache
denken mochte: es waren immer tiefer liegende,
in der nothwendigen Construction des gesammten
Staatenverhältnisses liegende Gründe. Ein in-
nerer, der gegenwärtigen Generation völlig un-
bewußter, aus dem Anstoße früherer Generatio-
nen herrührender Drang nach lebendigem Wachs-
thum, war auch das eigentliche Mobil der Kriege,

chie und 2) der Wahn der politiſchen Neutra-
litaͤt
.

Die Univerſal-Monarchie iſt ein Staat ohne
Schranken; der neutrale Staat ein abſolut be-
ſchraͤnkter, geſchloſſener Staat: beides ſind Extre-
me, deren jedes den vollſtaͤndigſten Widerſpruch
enthaͤlt. Eins der untrieglichſten Zeichen, wie
tief-greifend und wie innig die Verbindung der
Europaͤiſchen Staaten in den beiden letzten Jahr-
hundertem war, iſt der Antheil aller Staaten
an jedem moͤglichen Streite, der unter zweien
von ihnen entſtehen moͤchte. Daß jeder Krieg
alle Cabinette in Bewegung ſetzte und zum
Univerſal-Kriege wurde, beweiſt, wie innig ver-
flochten das Intereſſe, und wie ununterbrochen
der Umgang jedes einzelnen mit allen uͤbrigen
war. Es waren nicht ſowohl die Anſichten der
Cabinette, welche den Krieg beſtimmten; es war
niemals der Eigenſinn der Regierenden, wie ein
weichlicher, verderbter Poͤbel ſich die Sache
denken mochte: es waren immer tiefer liegende,
in der nothwendigen Conſtruction des geſammten
Staatenverhaͤltniſſes liegende Gruͤnde. Ein in-
nerer, der gegenwaͤrtigen Generation voͤllig un-
bewußter, aus dem Anſtoße fruͤherer Generatio-
nen herruͤhrender Drang nach lebendigem Wachs-
thum, war auch das eigentliche Mobil der Kriege,

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[287/0321] chie und 2) der Wahn der politiſchen Neutra- litaͤt. Die Univerſal-Monarchie iſt ein Staat ohne Schranken; der neutrale Staat ein abſolut be- ſchraͤnkter, geſchloſſener Staat: beides ſind Extre- me, deren jedes den vollſtaͤndigſten Widerſpruch enthaͤlt. Eins der untrieglichſten Zeichen, wie tief-greifend und wie innig die Verbindung der Europaͤiſchen Staaten in den beiden letzten Jahr- hundertem war, iſt der Antheil aller Staaten an jedem moͤglichen Streite, der unter zweien von ihnen entſtehen moͤchte. Daß jeder Krieg alle Cabinette in Bewegung ſetzte und zum Univerſal-Kriege wurde, beweiſt, wie innig ver- flochten das Intereſſe, und wie ununterbrochen der Umgang jedes einzelnen mit allen uͤbrigen war. Es waren nicht ſowohl die Anſichten der Cabinette, welche den Krieg beſtimmten; es war niemals der Eigenſinn der Regierenden, wie ein weichlicher, verderbter Poͤbel ſich die Sache denken mochte: es waren immer tiefer liegende, in der nothwendigen Conſtruction des geſammten Staatenverhaͤltniſſes liegende Gruͤnde. Ein in- nerer, der gegenwaͤrtigen Generation voͤllig un- bewußter, aus dem Anſtoße fruͤherer Generatio- nen herruͤhrender Drang nach lebendigem Wachs- thum, war auch das eigentliche Mobil der Kriege,

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/321>, abgerufen am 24.11.2024.