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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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liche Verkehr, welcher mit den Staaten eigent-
lich nichts zu schaffen habe. Ja, den Krieg ab-
gerechnet, scheint der Umgang zwischen Staa-
ten ein stiller Umgang: er ist so laut, daß er
dem gemeinen sterblichen Ohre wieder still wird,
-- gleich der Harmonie der Sphären, nach der
Idee einiger Alten. --

Alle diese Staaten, die wir als große Men-
schen, menschlich an Körperbau, Gemüths- und
Denkart, Bewegung und Leben dargestellt haben,
sollen unabhängig und frei seyn, wie das Indi-
viduum im einzelnen Staate oben beschrieben
wurde. In ihrer eigenthümlichen, nationalen
Form und Manier sollen sie wachsen und leben,
und sich einander geltend und fühlbar machen.
Warum? Weil nur aus recht entgegengesetzten
Partheien ein Gesetz hervorgehen kann. Wie
vollständig auch die Staaten innerlich ausgebil-
det seyn mögen -- sie behalten, als Individuen,
immer wieder einen Geschlechts-Charakter, und
so bedürfen sie eines andern politischen Individu-
ums von entgegengesetztem Geschlechts-Charak-
ter. Staaten von bürgerlichem Geschlecht, wie
die Handels-Republiken des Mittelalters, bedür-
fen des innigen Umganges mit Staaten von
mehr adeligem Geschlecht, wie Oestreich und
Frankreich. Hier und dort wird die Rechts-Idee

liche Verkehr, welcher mit den Staaten eigent-
lich nichts zu ſchaffen habe. Ja, den Krieg ab-
gerechnet, ſcheint der Umgang zwiſchen Staa-
ten ein ſtiller Umgang: er iſt ſo laut, daß er
dem gemeinen ſterblichen Ohre wieder ſtill wird,
— gleich der Harmonie der Sphaͤren, nach der
Idee einiger Alten. —

Alle dieſe Staaten, die wir als große Men-
ſchen, menſchlich an Koͤrperbau, Gemuͤths- und
Denkart, Bewegung und Leben dargeſtellt haben,
ſollen unabhaͤngig und frei ſeyn, wie das Indi-
viduum im einzelnen Staate oben beſchrieben
wurde. In ihrer eigenthuͤmlichen, nationalen
Form und Manier ſollen ſie wachſen und leben,
und ſich einander geltend und fuͤhlbar machen.
Warum? Weil nur aus recht entgegengeſetzten
Partheien ein Geſetz hervorgehen kann. Wie
vollſtaͤndig auch die Staaten innerlich ausgebil-
det ſeyn moͤgen — ſie behalten, als Individuen,
immer wieder einen Geſchlechts-Charakter, und
ſo beduͤrfen ſie eines andern politiſchen Individu-
ums von entgegengeſetztem Geſchlechts-Charak-
ter. Staaten von buͤrgerlichem Geſchlecht, wie
die Handels-Republiken des Mittelalters, beduͤr-
fen des innigen Umganges mit Staaten von
mehr adeligem Geſchlecht, wie Oeſtreich und
Frankreich. Hier und dort wird die Rechts-Idee

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[285/0319] liche Verkehr, welcher mit den Staaten eigent- lich nichts zu ſchaffen habe. Ja, den Krieg ab- gerechnet, ſcheint der Umgang zwiſchen Staa- ten ein ſtiller Umgang: er iſt ſo laut, daß er dem gemeinen ſterblichen Ohre wieder ſtill wird, — gleich der Harmonie der Sphaͤren, nach der Idee einiger Alten. — Alle dieſe Staaten, die wir als große Men- ſchen, menſchlich an Koͤrperbau, Gemuͤths- und Denkart, Bewegung und Leben dargeſtellt haben, ſollen unabhaͤngig und frei ſeyn, wie das Indi- viduum im einzelnen Staate oben beſchrieben wurde. In ihrer eigenthuͤmlichen, nationalen Form und Manier ſollen ſie wachſen und leben, und ſich einander geltend und fuͤhlbar machen. Warum? Weil nur aus recht entgegengeſetzten Partheien ein Geſetz hervorgehen kann. Wie vollſtaͤndig auch die Staaten innerlich ausgebil- det ſeyn moͤgen — ſie behalten, als Individuen, immer wieder einen Geſchlechts-Charakter, und ſo beduͤrfen ſie eines andern politiſchen Individu- ums von entgegengeſetztem Geſchlechts-Charak- ter. Staaten von buͤrgerlichem Geſchlecht, wie die Handels-Republiken des Mittelalters, beduͤr- fen des innigen Umganges mit Staaten von mehr adeligem Geſchlecht, wie Oeſtreich und Frankreich. Hier und dort wird die Rechts-Idee

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/319>, abgerufen am 28.04.2024.