Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

würde, über Griechische Münzen noch ein Wort zu sagen. Frei-
lich sind Herrn Thiersch diese Münzen unbequem, und vermöchten
ihn, unbefangen betrachtet, durch den sichtlichen Fortschritt, den sie
darlegen, vielleicht allein schon in der Meinung eines seit uralten Zei-
ten bestehenden unwandelbaren Kunststyls irre zu machen. Indeß ist
es jetzt nicht mehr möglich, diese Satyr-Münzen, die so lebhaft
an die Bacchanale der ältesten Vasen erinnern, für ein barbari-
sches Werk zu erklären. Denn, wie der Vf. zu seiner ungemei-
nen Freude neulich gewahr geworden ist, hat auch Mionnet, in
dem schon 1822 herausgegebenen zweiten Supplementbande seiner
Description de Medailles p. i u. 455., den Thasischen Ur-
sprung dieser Münzen eingesehn, und theils durch die berührte Auf-
schrift ThA, theils durch Zusammenstellung mit andern un-
zweifelhaft Thasischen völlig erhärtet. Ihm gebührt der ganze Ruhm
der Entdeckung, u. der Vf. hat nur das Vergnügen (wie bei den
Schildkröten-Münzen von Aegina), das, was er mehr aus histori-
schen Gründen für sich als nothwendig gefunden hatte, von den
Numismatikern auf ihre Weise bewiesen zu sehn. Nur bemerkt
der Vf., daß von den Münzen, wo der Satyr knieend die Nymphe
auf dem Schooße hat, diejenigen, wo er schreitend die fliehende fest-
hält (Mionnet Descr. Planches 40. Suppl. iii. pl. 6), welche
Mionnet (Suppl. iii. p. 80.) ebenfalls Lete zueignet, schwerlich zu
trennen sind, und wohl keinem andern Orte mit solcher Wahr-
scheinlichkeit wie Thasos zugeeignet werden können, da auf keiner
von diesen Lete mit Sicherheit gelesen worden ist.

Bei diesem Anlaß kann es aber nicht unerwähnt bleiben, daß
dieselbe Raschheit, mit welcher Herr Thiersch in dieser Sache Andre
in handgreiflichen Irrthümern befangen voraussetzt, wohl auch man-
chen andern Stellen der neuen Ausgabe seiner Schrift über die
Kunstepochen zum Schaden gereicht hat. Der Vf. ehrt jene offen-
herzige und kein Ding mit einem zu milden Namen benennende
Polemik, wie sie sich in den Nachträgen zu den einzelnen Abhand-
lungen auf eine so heitre Weise ausbreitet; doch dürfte auch unter

würde, über Griechiſche Münzen noch ein Wort zu ſagen. Frei-
lich ſind Herrn Thierſch dieſe Münzen unbequem, und vermöchten
ihn, unbefangen betrachtet, durch den ſichtlichen Fortſchritt, den ſie
darlegen, vielleicht allein ſchon in der Meinung eines ſeit uralten Zei-
ten beſtehenden unwandelbaren Kunſtſtyls irre zu machen. Indeß iſt
es jetzt nicht mehr möglich, dieſe Satyr-Münzen, die ſo lebhaft
an die Bacchanale der älteſten Vaſen erinnern, für ein barbari-
ſches Werk zu erklären. Denn, wie der Vf. zu ſeiner ungemei-
nen Freude neulich gewahr geworden iſt, hat auch Mionnet, in
dem ſchon 1822 herausgegebenen zweiten Supplementbande ſeiner
Description de Médailles p. i u. 455., den Thaſiſchen Ur-
ſprung dieſer Münzen eingeſehn, und theils durch die berührte Auf-
ſchrift ΘΑ, theils durch Zuſammenſtellung mit andern un-
zweifelhaft Thaſiſchen völlig erhärtet. Ihm gebührt der ganze Ruhm
der Entdeckung, u. der Vf. hat nur das Vergnügen (wie bei den
Schildkröten-Münzen von Aegina), das, was er mehr aus hiſtori-
ſchen Gründen für ſich als nothwendig gefunden hatte, von den
Numismatikern auf ihre Weiſe bewieſen zu ſehn. Nur bemerkt
der Vf., daß von den Münzen, wo der Satyr knieend die Nymphe
auf dem Schooße hat, diejenigen, wo er ſchreitend die fliehende feſt-
hält (Mionnet Descr. Planches 40. Suppl. iii. pl. 6), welche
Mionnet (Suppl. iii. p. 80.) ebenfalls Lete zueignet, ſchwerlich zu
trennen ſind, und wohl keinem andern Orte mit ſolcher Wahr-
ſcheinlichkeit wie Thaſos zugeeignet werden können, da auf keiner
von dieſen Lete mit Sicherheit geleſen worden iſt.

Bei dieſem Anlaß kann es aber nicht unerwähnt bleiben, daß
dieſelbe Raſchheit, mit welcher Herr Thierſch in dieſer Sache Andre
in handgreiflichen Irrthümern befangen vorausſetzt, wohl auch man-
chen andern Stellen der neuen Ausgabe ſeiner Schrift über die
Kunſtepochen zum Schaden gereicht hat. Der Vf. ehrt jene offen-
herzige und kein Ding mit einem zu milden Namen benennende
Polemik, wie ſie ſich in den Nachträgen zu den einzelnen Abhand-
lungen auf eine ſo heitre Weiſe ausbreitet; doch dürfte auch unter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0635" n="613"/>
würde, über Griechi&#x017F;che Münzen noch ein Wort zu &#x017F;agen. Frei-<lb/>
lich &#x017F;ind Herrn Thier&#x017F;ch die&#x017F;e Münzen unbequem, und vermöchten<lb/>
ihn, unbefangen betrachtet, durch den &#x017F;ichtlichen Fort&#x017F;chritt, den &#x017F;ie<lb/>
darlegen, vielleicht allein &#x017F;chon in der Meinung eines &#x017F;eit uralten Zei-<lb/>
ten be&#x017F;tehenden unwandelbaren Kun&#x017F;t&#x017F;tyls irre zu machen. Indeß i&#x017F;t<lb/>
es jetzt nicht mehr möglich, die&#x017F;e Satyr-Münzen, die &#x017F;o lebhaft<lb/>
an die Bacchanale der älte&#x017F;ten Va&#x017F;en erinnern, für ein barbari-<lb/>
&#x017F;ches Werk zu erklären. Denn, wie der Vf. zu &#x017F;einer ungemei-<lb/>
nen Freude neulich gewahr geworden i&#x017F;t, hat auch Mionnet, in<lb/>
dem &#x017F;chon 1822 herausgegebenen zweiten Supplementbande &#x017F;einer<lb/><hi rendition="#aq">Description de Médailles p. <hi rendition="#k">i</hi></hi> u. 455., den Tha&#x017F;i&#x017F;chen Ur-<lb/>
&#x017F;prung die&#x017F;er Münzen einge&#x017F;ehn, und theils durch die berührte Auf-<lb/>
&#x017F;chrift &#x0398;&#x0391;, theils durch Zu&#x017F;ammen&#x017F;tellung mit andern un-<lb/>
zweifelhaft Tha&#x017F;i&#x017F;chen völlig erhärtet. Ihm gebührt der ganze Ruhm<lb/>
der Entdeckung, u. der Vf. hat nur das Vergnügen (wie bei den<lb/>
Schildkröten-Münzen von Aegina), das, was er mehr aus hi&#x017F;tori-<lb/>
&#x017F;chen Gründen für &#x017F;ich als nothwendig gefunden hatte, von den<lb/>
Numismatikern auf ihre Wei&#x017F;e bewie&#x017F;en zu &#x017F;ehn. Nur bemerkt<lb/>
der Vf., daß von den Münzen, wo der Satyr knieend die Nymphe<lb/>
auf dem Schooße hat, diejenigen, wo er &#x017F;chreitend die fliehende fe&#x017F;t-<lb/>
hält (Mionnet <hi rendition="#aq">Descr. Planches 40. Suppl. <hi rendition="#k">iii.</hi> pl.</hi> 6), welche<lb/>
Mionnet (<hi rendition="#aq">Suppl. <hi rendition="#k">iii.</hi> p.</hi> 80.) ebenfalls Lete zueignet, &#x017F;chwerlich zu<lb/>
trennen &#x017F;ind, und wohl keinem andern Orte mit &#x017F;olcher Wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlichkeit wie Tha&#x017F;os zugeeignet werden können, da auf keiner<lb/>
von die&#x017F;en Lete mit Sicherheit gele&#x017F;en worden i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Bei die&#x017F;em Anlaß kann es aber nicht unerwähnt bleiben, daß<lb/>
die&#x017F;elbe Ra&#x017F;chheit, mit welcher Herr Thier&#x017F;ch in die&#x017F;er Sache Andre<lb/>
in handgreiflichen Irrthümern befangen voraus&#x017F;etzt, wohl auch man-<lb/>
chen andern Stellen der neuen Ausgabe &#x017F;einer Schrift über die<lb/>
Kun&#x017F;tepochen zum Schaden gereicht hat. Der Vf. ehrt jene offen-<lb/>
herzige und kein Ding mit einem zu milden Namen benennende<lb/>
Polemik, wie &#x017F;ie &#x017F;ich in den Nachträgen zu den einzelnen Abhand-<lb/>
lungen auf eine &#x017F;o heitre Wei&#x017F;e ausbreitet; doch dürfte auch unter<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[613/0635] würde, über Griechiſche Münzen noch ein Wort zu ſagen. Frei- lich ſind Herrn Thierſch dieſe Münzen unbequem, und vermöchten ihn, unbefangen betrachtet, durch den ſichtlichen Fortſchritt, den ſie darlegen, vielleicht allein ſchon in der Meinung eines ſeit uralten Zei- ten beſtehenden unwandelbaren Kunſtſtyls irre zu machen. Indeß iſt es jetzt nicht mehr möglich, dieſe Satyr-Münzen, die ſo lebhaft an die Bacchanale der älteſten Vaſen erinnern, für ein barbari- ſches Werk zu erklären. Denn, wie der Vf. zu ſeiner ungemei- nen Freude neulich gewahr geworden iſt, hat auch Mionnet, in dem ſchon 1822 herausgegebenen zweiten Supplementbande ſeiner Description de Médailles p. i u. 455., den Thaſiſchen Ur- ſprung dieſer Münzen eingeſehn, und theils durch die berührte Auf- ſchrift ΘΑ, theils durch Zuſammenſtellung mit andern un- zweifelhaft Thaſiſchen völlig erhärtet. Ihm gebührt der ganze Ruhm der Entdeckung, u. der Vf. hat nur das Vergnügen (wie bei den Schildkröten-Münzen von Aegina), das, was er mehr aus hiſtori- ſchen Gründen für ſich als nothwendig gefunden hatte, von den Numismatikern auf ihre Weiſe bewieſen zu ſehn. Nur bemerkt der Vf., daß von den Münzen, wo der Satyr knieend die Nymphe auf dem Schooße hat, diejenigen, wo er ſchreitend die fliehende feſt- hält (Mionnet Descr. Planches 40. Suppl. iii. pl. 6), welche Mionnet (Suppl. iii. p. 80.) ebenfalls Lete zueignet, ſchwerlich zu trennen ſind, und wohl keinem andern Orte mit ſolcher Wahr- ſcheinlichkeit wie Thaſos zugeeignet werden können, da auf keiner von dieſen Lete mit Sicherheit geleſen worden iſt. Bei dieſem Anlaß kann es aber nicht unerwähnt bleiben, daß dieſelbe Raſchheit, mit welcher Herr Thierſch in dieſer Sache Andre in handgreiflichen Irrthümern befangen vorausſetzt, wohl auch man- chen andern Stellen der neuen Ausgabe ſeiner Schrift über die Kunſtepochen zum Schaden gereicht hat. Der Vf. ehrt jene offen- herzige und kein Ding mit einem zu milden Namen benennende Polemik, wie ſie ſich in den Nachträgen zu den einzelnen Abhand- lungen auf eine ſo heitre Weiſe ausbreitet; doch dürfte auch unter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/635
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/635>, abgerufen am 24.11.2024.