Münzen-Classe dem durch Wein- und Metallreichthum gleich aus- gezeichneten Thasos gehören. In demselben Jahre (1822) sah der Vf. im Cabinet du Roi zu Paris eine Münze der Art, welche die deutliche Inschrift ThA hatte. Die dadurch gesicherte Entdeckung sprach der Vf. möglichst einfach an der angegebnen Stelle der Wie- ner Jahrbücher aus, überzeugt, daß Jeder, welcher das numisma- tische Räthsel, welches diese Münzen bisher aufgegeben hatten, kennt, die Auflösung annehmen oder doch in weitre Ueberlegung ziehen würde. Daß diese Münzen nach manchen andern Benennungen neuerlich der Stadt Lete in Thracien zugeschrieben worden sind, er- wähnte der Vf. als eine in den neuern Münzbüchern überall an- gegebne Sache gar nicht, geschweige daß er eine Meinung zu wi- derlegen sich bemüht hätte, die eine lange Reihe herrlicher Silber- münzen, in denen die Kunst von den bizarresten Versuchen zu der zierlichsten Ausbildung des alten Styls emporsteigt (Beweis genug, daß sie einem Sitze Hellenischer Kunstübung angehören), einem ob- scuren Thrakischen oder Makedonischen Orte, den wir ohne einige spätre Geographen gar nicht kennen würden, zueignet. Auch wußte er, daß die Münzen mit der Inschrift Letaion, wie die eben so zahlreichen, worauf Oreskion oder Orreskion steht, einen pfer- defüßigen kentaurenartigen Satyr darstellen (während der auf je- nen Münzen menschlich gebildet ist), und in der Zeichnung der Figuren nicht sowohl das Gepräge des Alterthums als einer halb- barbarischen Fabrik zeigen (was auch durch Mionnets Descr. Plan- ches 50. n. 2. 3. anschaulich wird). Wie befremdet muß sich nun der Vf. fühlen, wenn ihn Herr Thiersch (über die Epochen der Kunst, der neuen Ausg. S. 79.) umständlich belehrt, daß diese Münzen nach Sestini von Lete seien (warum nicht eben so gut von dem noch unbekannteren Orrheskos, dessen Name dem von Drabeskos und zahlreichen andern Thrakischen Orten gemäß gebil- det ist), und ein Stillschweigen dessen Grund doch nicht so schwer zu errathen war, in eine Unwissenheitssünde umwandelt, die dem Vf., wenn er ihrer wirklich schuldig wäre das Recht nehmen
Münzen-Claſſe dem durch Wein- und Metallreichthum gleich aus- gezeichneten Thaſos gehören. In demſelben Jahre (1822) ſah der Vf. im Cabinet du Roi zu Paris eine Münze der Art, welche die deutliche Inſchrift ΘΑ hatte. Die dadurch geſicherte Entdeckung ſprach der Vf. möglichſt einfach an der angegebnen Stelle der Wie- ner Jahrbücher aus, überzeugt, daß Jeder, welcher das numisma- tiſche Räthſel, welches dieſe Münzen bisher aufgegeben hatten, kennt, die Auflöſung annehmen oder doch in weitre Ueberlegung ziehen würde. Daß dieſe Münzen nach manchen andern Benennungen neuerlich der Stadt Lete in Thracien zugeſchrieben worden ſind, er- wähnte der Vf. als eine in den neuern Münzbüchern überall an- gegebne Sache gar nicht, geſchweige daß er eine Meinung zu wi- derlegen ſich bemüht hätte, die eine lange Reihe herrlicher Silber- münzen, in denen die Kunſt von den bizarreſten Verſuchen zu der zierlichſten Ausbildung des alten Styls emporſteigt (Beweis genug, daß ſie einem Sitze Helleniſcher Kunſtübung angehören), einem ob- ſcuren Thrakiſchen oder Makedoniſchen Orte, den wir ohne einige ſpätre Geographen gar nicht kennen würden, zueignet. Auch wußte er, daß die Münzen mit der Inſchrift Λεταιον, wie die eben ſo zahlreichen, worauf Ωρησκιων oder Ορρησκιων ſteht, einen pfer- defüßigen kentaurenartigen Satyr darſtellen (während der auf je- nen Münzen menſchlich gebildet iſt), und in der Zeichnung der Figuren nicht ſowohl das Gepräge des Alterthums als einer halb- barbariſchen Fabrik zeigen (was auch durch Mionnets Descr. Plan- ches 50. n. 2. 3. anſchaulich wird). Wie befremdet muß ſich nun der Vf. fühlen, wenn ihn Herr Thierſch (über die Epochen der Kunſt, der neuen Ausg. S. 79.) umſtändlich belehrt, daß dieſe Münzen nach Seſtini von Lete ſeien (warum nicht eben ſo gut von dem noch unbekannteren Orrheskos, deſſen Name dem von Drabeskos und zahlreichen andern Thrakiſchen Orten gemäß gebil- det iſt), und ein Stillſchweigen deſſen Grund doch nicht ſo ſchwer zu errathen war, in eine Unwiſſenheitsſünde umwandelt, die dem Vf., wenn er ihrer wirklich ſchuldig wäre das Recht nehmen
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Münzen-Claſſe dem durch Wein- und Metallreichthum gleich aus-
gezeichneten Thaſos gehören. In demſelben Jahre (1822) ſah der
Vf. im Cabinet du Roi zu Paris eine Münze der Art, welche
die deutliche Inſchrift ΘΑ hatte. Die dadurch geſicherte Entdeckung
ſprach der Vf. möglichſt einfach an der angegebnen Stelle der Wie-
ner Jahrbücher aus, überzeugt, daß Jeder, welcher das numisma-
tiſche Räthſel, welches dieſe Münzen bisher aufgegeben hatten, kennt,
die Auflöſung annehmen oder doch in weitre Ueberlegung ziehen
würde. Daß dieſe Münzen nach manchen andern Benennungen
neuerlich der Stadt Lete in Thracien zugeſchrieben worden ſind, er-
wähnte der Vf. als eine in den neuern Münzbüchern überall an-
gegebne Sache gar nicht, geſchweige daß er eine Meinung zu wi-
derlegen ſich bemüht hätte, die eine lange Reihe herrlicher Silber-
münzen, in denen die Kunſt von den bizarreſten Verſuchen zu der
zierlichſten Ausbildung des alten Styls emporſteigt (Beweis genug,
daß ſie einem Sitze Helleniſcher Kunſtübung angehören), einem ob-
ſcuren Thrakiſchen oder Makedoniſchen Orte, den wir ohne einige
ſpätre Geographen gar nicht kennen würden, zueignet. Auch wußte
er, daß die Münzen mit der Inſchrift Λεταιον, wie die eben ſo
zahlreichen, worauf Ωρησκιων oder Ορρησκιων ſteht, einen pfer-
defüßigen kentaurenartigen Satyr darſtellen (während der auf je-
nen Münzen menſchlich gebildet iſt), und in der Zeichnung der
Figuren nicht ſowohl das Gepräge des Alterthums als einer halb-
barbariſchen Fabrik zeigen (was auch durch Mionnets Descr. Plan-
ches 50. n. 2. 3. anſchaulich wird). Wie befremdet muß ſich
nun der Vf. fühlen, wenn ihn Herr Thierſch (über die Epochen
der Kunſt, der neuen Ausg. S. 79.) umſtändlich belehrt, daß dieſe
Münzen nach Seſtini von Lete ſeien (warum nicht eben ſo gut
von dem noch unbekannteren Orrheskos, deſſen Name dem von
Drabeskos und zahlreichen andern Thrakiſchen Orten gemäß gebil-
det iſt), und ein Stillſchweigen deſſen Grund doch nicht ſo
ſchwer zu errathen war, in eine Unwiſſenheitsſünde umwandelt, die
dem Vf., wenn er ihrer wirklich ſchuldig wäre das Recht nehmen
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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 612. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/634>, abgerufen am 24.11.2024.
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