374. Der Syrische Cultus der Astarte scheint, in-1 dem er in Griechenland einheimischen Anfängen begeg- nete, den weit verbreiteten und angesehnen Cultus der Aphrodite hervorgebracht zu haben. Die Grundvorstel-2 lung der großen Naturgöttin verlor sich nie ganz; das feuchte Element, im Orient das eigne Reich jener Gott- heit (§. 241, 2.), blieb immer unter dem Obwalten dieser an Küsten und Häfen verehrten Gottheit, deren Natur besonders das windstille und im glatten Wogen- spiegel den Himmel abbildende Meer auszudrücken schien. Als die Kunst im Kreise der Aphrodite über die rohen3 Steine und formlosen Idole hinweg war, bewegte sie die Idee einer überall waltenden, mächtig herrschenden Göt- tin; man stellte sie gern thronend dar, mit Symbolen blühender Natur und üppiger Fruchtbarkeit in den Hän- den; die Bekleidung vollständig (nur daß etwa der4 Chiton die linke Brust zum Theil frei ließ) und zierlich, indem grade bei der Aphrodite eine affektirte Grazie in Draperie und Bewegung zum Charakter gehörte. Auch5 die Kunst der Phidiassischen Zeit stellt in Aphrodite das Geschlechtsverhältniß in seiner Heiligkeit und Ehrwürdig- keit dar, und denkt dabei mehr an dauernde für die Zwecke des allgemeinen Wohls, als an vorübergehende, für sinnlichen Genuß geschlossene Verbindungen. Erst6 die neuere Attische Kunst (§. 127.) behandelt die Vorstel- lung der Aphrodite mit einem rein sinnlichen Enthusias- mus, und vergöttert in ihr nicht mehr eine weltbeherr- schende Macht, sondern die individuelle Erscheinung der reizendsten Weiblichkeit; ja sie setzt dies von ethischen Beziehungen gelöste Ideal auch selbst in einen entschied- nen Gegensatz damit.
1. Vgl. Larcher Memoire sur Venus. Paris 1775. Manso Versuche über einige Gegenstände der Mythol. Lpz. 1794. De la Chau sur les Attributs de Venus. Par. 1776. -- Ueber den Paphischen Dienst §. 66 am Ende, 239, 2., 240, 1.
II. Bildende Kunſt. Gegenſtaͤnde.
10. Aphrodite.
374. Der Syriſche Cultus der Aſtarte ſcheint, in-1 dem er in Griechenland einheimiſchen Anfaͤngen begeg- nete, den weit verbreiteten und angeſehnen Cultus der Aphrodite hervorgebracht zu haben. Die Grundvorſtel-2 lung der großen Naturgoͤttin verlor ſich nie ganz; das feuchte Element, im Orient das eigne Reich jener Gott- heit (§. 241, 2.), blieb immer unter dem Obwalten dieſer an Kuͤſten und Haͤfen verehrten Gottheit, deren Natur beſonders das windſtille und im glatten Wogen- ſpiegel den Himmel abbildende Meer auszudruͤcken ſchien. Als die Kunſt im Kreiſe der Aphrodite uͤber die rohen3 Steine und formloſen Idole hinweg war, bewegte ſie die Idee einer uͤberall waltenden, maͤchtig herrſchenden Goͤt- tin; man ſtellte ſie gern thronend dar, mit Symbolen bluͤhender Natur und uͤppiger Fruchtbarkeit in den Haͤn- den; die Bekleidung vollſtaͤndig (nur daß etwa der4 Chiton die linke Bruſt zum Theil frei ließ) und zierlich, indem grade bei der Aphrodite eine affektirte Grazie in Draperie und Bewegung zum Charakter gehoͤrte. Auch5 die Kunſt der Phidiaſſiſchen Zeit ſtellt in Aphrodite das Geſchlechtsverhaͤltniß in ſeiner Heiligkeit und Ehrwuͤrdig- keit dar, und denkt dabei mehr an dauernde fuͤr die Zwecke des allgemeinen Wohls, als an voruͤbergehende, fuͤr ſinnlichen Genuß geſchloſſene Verbindungen. Erſt6 die neuere Attiſche Kunſt (§. 127.) behandelt die Vorſtel- lung der Aphrodite mit einem rein ſinnlichen Enthuſias- mus, und vergoͤttert in ihr nicht mehr eine weltbeherr- ſchende Macht, ſondern die individuelle Erſcheinung der reizendſten Weiblichkeit; ja ſie ſetzt dies von ethiſchen Beziehungen geloͤſte Ideal auch ſelbſt in einen entſchied- nen Gegenſatz damit.
1. Vgl. Larcher Mémoire sur Vénus. Paris 1775. Manſo Verſuche über einige Gegenſtände der Mythol. Lpz. 1794. De la Chau sur les Attributs de Venus. Par. 1776. — Ueber den Paphiſchen Dienſt §. 66 am Ende, 239, 2., 240, 1.
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II. Bildende Kunſt. Gegenſtaͤnde.
10. Aphrodite.
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nete, den weit verbreiteten und angeſehnen Cultus der
Aphrodite hervorgebracht zu haben. Die Grundvorſtel-
lung der großen Naturgoͤttin verlor ſich nie ganz; das
feuchte Element, im Orient das eigne Reich jener Gott-
heit (§. 241, 2.), blieb immer unter dem Obwalten
dieſer an Kuͤſten und Haͤfen verehrten Gottheit, deren
Natur beſonders das windſtille und im glatten Wogen-
ſpiegel den Himmel abbildende Meer auszudruͤcken ſchien.
Als die Kunſt im Kreiſe der Aphrodite uͤber die rohen
Steine und formloſen Idole hinweg war, bewegte ſie die
Idee einer uͤberall waltenden, maͤchtig herrſchenden Goͤt-
tin; man ſtellte ſie gern thronend dar, mit Symbolen
bluͤhender Natur und uͤppiger Fruchtbarkeit in den Haͤn-
den; die Bekleidung vollſtaͤndig (nur daß etwa der
Chiton die linke Bruſt zum Theil frei ließ) und zierlich,
indem grade bei der Aphrodite eine affektirte Grazie in
Draperie und Bewegung zum Charakter gehoͤrte. Auch
die Kunſt der Phidiaſſiſchen Zeit ſtellt in Aphrodite das
Geſchlechtsverhaͤltniß in ſeiner Heiligkeit und Ehrwuͤrdig-
keit dar, und denkt dabei mehr an dauernde fuͤr die
Zwecke des allgemeinen Wohls, als an voruͤbergehende,
fuͤr ſinnlichen Genuß geſchloſſene Verbindungen. Erſt
die neuere Attiſche Kunſt (§. 127.) behandelt die Vorſtel-
lung der Aphrodite mit einem rein ſinnlichen Enthuſias-
mus, und vergoͤttert in ihr nicht mehr eine weltbeherr-
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Beziehungen geloͤſte Ideal auch ſelbſt in einen entſchied-
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Manſo Verſuche über einige Gegenſtände der Mythol. Lpz. 1794.
De la Chau sur les Attributs de Venus. Par. 1776. —
Ueber den Paphiſchen Dienſt §. 66 am Ende, 239, 2., 240, 1.
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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/515>, abgerufen am 22.11.2024.
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