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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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leitete eine Mosaikfabrik, die sich durch geschmackvolle Arbeit vor allen übrigen auszeichnete, und erwarb sich durch diese vielseitige Betriebsamkeit nicht nur ein ansehnliches Vermögen, sondern auch den Titel eines Professors von der Akademie des heiligen Lukas. Seine Lebensverhältnisse hatten ihn ganz romanisirt, und er hielt sich wenig zu den jüngern deutschen Künstlern, deren kopfhängerische Frömmigkeit und alterthümlichen Geschmack er mit seinem fröhlichen Sinne und seiner gemeinnützigen Geschicklichkeit nicht zu würdigen verstand.

Signor Bernardino -- so hieß der Professor in Rom -- war eben nach seiner Werkstatt gegangen, als Arthur ihn in seiner Wohnung suchte. Ein schöner Knabe von ungefähr zwölf Jahren saß lesend vor einer antiken Lampe in einem großen Zimmer, welches zugleich als Gewölbe diente, worin die fertigen Arbeiten des Professors ausgestellt waren. Er empfing den Fremden mit unbefangener Höflichkeit und ließ sich den Brief einhändigen. Ich will den Vater sogleich rufen, sprach er nach kurzem Besinnen und sprang mit dem Briefe hinaus, ohne auf Arthur's Widerrede zu achten.

Dieser ließ sich auf den Stuhl nieder, welchen der Knabe verlassen hatte, und da er es niemals über sich gewinnen konnte, ein Buch liegen zu sehn, ohne es aufzuschlagen, so fing er an, das kleine Heftchen zu durchblättern, in welchem jener gelesen hatte. Es

leitete eine Mosaikfabrik, die sich durch geschmackvolle Arbeit vor allen übrigen auszeichnete, und erwarb sich durch diese vielseitige Betriebsamkeit nicht nur ein ansehnliches Vermögen, sondern auch den Titel eines Professors von der Akademie des heiligen Lukas. Seine Lebensverhältnisse hatten ihn ganz romanisirt, und er hielt sich wenig zu den jüngern deutschen Künstlern, deren kopfhängerische Frömmigkeit und alterthümlichen Geschmack er mit seinem fröhlichen Sinne und seiner gemeinnützigen Geschicklichkeit nicht zu würdigen verstand.

Signor Bernardino — so hieß der Professor in Rom — war eben nach seiner Werkstatt gegangen, als Arthur ihn in seiner Wohnung suchte. Ein schöner Knabe von ungefähr zwölf Jahren saß lesend vor einer antiken Lampe in einem großen Zimmer, welches zugleich als Gewölbe diente, worin die fertigen Arbeiten des Professors ausgestellt waren. Er empfing den Fremden mit unbefangener Höflichkeit und ließ sich den Brief einhändigen. Ich will den Vater sogleich rufen, sprach er nach kurzem Besinnen und sprang mit dem Briefe hinaus, ohne auf Arthur's Widerrede zu achten.

Dieser ließ sich auf den Stuhl nieder, welchen der Knabe verlassen hatte, und da er es niemals über sich gewinnen konnte, ein Buch liegen zu sehn, ohne es aufzuschlagen, so fing er an, das kleine Heftchen zu durchblättern, in welchem jener gelesen hatte. Es

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/60>, abgerufen am 06.05.2024.