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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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murmel ihm entgegenzog, da schwebten jene abenteuerlichen Bilder des Kerkers, in welchem die heimlich bekehrte Jüdin schmachtete, mit dem versteckten Crucifix und dem fanatischen Alten, wieder an seinem innern Auge vorüber und machten ihn so befangen, daß er eine Weile stehen blieb und sich mehr als einmal von dem Professor einladen ließ, ihm zu folgen. Es war ihm, als ob der Geist des ermordeten Spaniers neben ihm her ginge und ihn bald vorwärts, bald zurück zöge.

Das kreischende Geschrei der zerlumpten Kinder, welche vor den Thüren der schwarzgerauchten Hütten einander die Köpfe kratzten und ihn mit ihren zigeunerartigen Gesichtern angrinsten, durchkreuzte diese poetischen Träumereien und riß ihn in die ekelhafteste Wirklichkeit herab. Ein paar gelbe, zusammengeschrumpfte Sibyllen kauerten an einem Brunnen und zupften Goldfäden aus zerrissenen Tressen, und ein alter Weißbart in einem schwarzen Kaftan ging mit feierlichen Schritten unter Absingung eines hebräischen Gebetes an den Häusern entlang und schlug mit einer Klapper gegen jedes Fenster. Der Professor bog in einen halb verdeckten Durchgang ein, welcher von Lumpen und anderm Kehricht fast verstopft war. Arthur ließ sich nachziehen, und sein Führer ermuthigte ihn durch die Versicherung, daß sie jetzt ihrem Ziele ganz nahe wären. Da vor uns, in dem Hause mit der niedrigen Thüre, da wohnt die schöne Debora,

murmel ihm entgegenzog, da schwebten jene abenteuerlichen Bilder des Kerkers, in welchem die heimlich bekehrte Jüdin schmachtete, mit dem versteckten Crucifix und dem fanatischen Alten, wieder an seinem innern Auge vorüber und machten ihn so befangen, daß er eine Weile stehen blieb und sich mehr als einmal von dem Professor einladen ließ, ihm zu folgen. Es war ihm, als ob der Geist des ermordeten Spaniers neben ihm her ginge und ihn bald vorwärts, bald zurück zöge.

Das kreischende Geschrei der zerlumpten Kinder, welche vor den Thüren der schwarzgerauchten Hütten einander die Köpfe kratzten und ihn mit ihren zigeunerartigen Gesichtern angrinsten, durchkreuzte diese poetischen Träumereien und riß ihn in die ekelhafteste Wirklichkeit herab. Ein paar gelbe, zusammengeschrumpfte Sibyllen kauerten an einem Brunnen und zupften Goldfäden aus zerrissenen Tressen, und ein alter Weißbart in einem schwarzen Kaftan ging mit feierlichen Schritten unter Absingung eines hebräischen Gebetes an den Häusern entlang und schlug mit einer Klapper gegen jedes Fenster. Der Professor bog in einen halb verdeckten Durchgang ein, welcher von Lumpen und anderm Kehricht fast verstopft war. Arthur ließ sich nachziehen, und sein Führer ermuthigte ihn durch die Versicherung, daß sie jetzt ihrem Ziele ganz nahe wären. Da vor uns, in dem Hause mit der niedrigen Thüre, da wohnt die schöne Debora,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/129>, abgerufen am 06.05.2024.