Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756.

Bild:
<< vorherige Seite

Des ersten Hauptstücks, erster Abschnitt.
dadurch in dem Weg stehet zu einem vollkommenen Grad der musikalischen Wis-
senschaften zu gelangen.

§. 2.

Alle unsere Erkenntniß entstehet von dem Gebrauche der äusserli-
chen Sinnen.
Es müssen also nothwendig gewisse Zeichen seyn, welche durch
unsere Sehungskraft den Willen augenblicklich dahin antreiben, oder mit der na-
türlichen Menschenstimme, oder auf unterschiedlichen Klingzeugen nach dem Un-
terscheid der Zeichen auch verschiedene Töne hervorzubringen.

§. 3.

Die Griechen sangen über ihre Buchstaben, welche sie bald liegend, bald
stehend, bald nach der Seite, und auch umgekehrt hinsetzten. Sie hatten der-
selben bey 48., und bedienten sich keiner Linien; sondern iede Singart hatte ihre
besondere Buchstaben, neben welche sie Puncte setzten, um dadurch das Zeitmaas
anzuzeigen. (a) Diese Puncten gaben den Alten viel zu schaffen; und sie hat-
ten hauptsächlich zu 3. bis 4. Bedeutungen, nämlich: Punctum Perfectionis,
Divisionis, Incrementi, et Alterationis.
(b)

§. 4.

Der heil. Pabst Gregor hat die Buchstaben abgekürzet. Er hat die fol-
gende sieben erwählet: A, B, C, D, E, F, G, und hat sie auf 7. Linien
gesetzet, aus deren Höhe und Tiefe man die Verschiedenheit der Töne erkennen
konnte. Jede Linie hatte folglich ihren Buchstaben: und man sang auch über
diese Buchstaben.

§. 5.

Bey 500. Jahre hernach kam Guido und nahm eine merkliche Verände-
rung vor. Er bemerkte, daß es sehr beschwerlich fiel, die Buchstaben auszu-
sprechen: er veränderte sie also in 6. Syllben; die er aus der ersten Strofe des

auf
(a) Gaffurius in seiner Practica Musicae, Lib. 2. C. 2. Man lese auch den Mar-
cum Meibomum.
(b) Zarlin. P. 3. C. 70. Glarean. L. 3. C. 4. Artusi l'Arte del Contrapunto. p. 71.

Des erſten Hauptſtuͤcks, erſter Abſchnitt.
dadurch in dem Weg ſtehet zu einem vollkommenen Grad der muſikaliſchen Wiſ-
ſenſchaften zu gelangen.

§. 2.

Alle unſere Erkenntniß entſtehet von dem Gebrauche der aͤuſſerli-
chen Sinnen.
Es muͤſſen alſo nothwendig gewiſſe Zeichen ſeyn, welche durch
unſere Sehungskraft den Willen augenblicklich dahin antreiben, oder mit der na-
tuͤrlichen Menſchenſtimme, oder auf unterſchiedlichen Klingzeugen nach dem Un-
terſcheid der Zeichen auch verſchiedene Toͤne hervorzubringen.

§. 3.

Die Griechen ſangen uͤber ihre Buchſtaben, welche ſie bald liegend, bald
ſtehend, bald nach der Seite, und auch umgekehrt hinſetzten. Sie hatten der-
ſelben bey 48., und bedienten ſich keiner Linien; ſondern iede Singart hatte ihre
beſondere Buchſtaben, neben welche ſie Puncte ſetzten, um dadurch das Zeitmaas
anzuzeigen. (a) Dieſe Puncten gaben den Alten viel zu ſchaffen; und ſie hat-
ten hauptſaͤchlich zu 3. bis 4. Bedeutungen, naͤmlich: Punctum Perfectionis,
Diviſionis, Incrementi, et Alterationis.
(b)

§. 4.

Der heil. Pabſt Gregor hat die Buchſtaben abgekuͤrzet. Er hat die fol-
gende ſieben erwaͤhlet: A, B, C, D, E, F, G, und hat ſie auf 7. Linien
geſetzet, aus deren Hoͤhe und Tiefe man die Verſchiedenheit der Toͤne erkennen
konnte. Jede Linie hatte folglich ihren Buchſtaben: und man ſang auch uͤber
dieſe Buchſtaben.

§. 5.

Bey 500. Jahre hernach kam Guido und nahm eine merkliche Veraͤnde-
rung vor. Er bemerkte, daß es ſehr beſchwerlich fiel, die Buchſtaben auszu-
ſprechen: er veraͤnderte ſie alſo in 6. Syllben; die er aus der erſten Strofe des

auf
(a) Gaffurius in ſeiner Practica Muſicæ, Lib. 2. C. 2. Man leſe auch den Mar-
cum Meibomum.
(b) Zarlin. P. 3. C. 70. Glarean. L. 3. C. 4. Artuſi l'Arte del Contrapunto. p. 71.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0043" n="21"/><fw type="header" place="top">Des er&#x017F;ten Haupt&#x017F;tu&#x0364;cks, er&#x017F;ter Ab&#x017F;chnitt. </fw><lb/>
dadurch in dem Weg &#x017F;tehet zu einem vollkommenen Grad der mu&#x017F;ikali&#x017F;chen Wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaften zu gelangen.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 2.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#b">Alle un&#x017F;ere Erkenntniß ent&#x017F;tehet von dem Gebrauche der a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erli-<lb/>
chen Sinnen.</hi> Es mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en al&#x017F;o nothwendig gewi&#x017F;&#x017F;e Zeichen &#x017F;eyn, welche durch<lb/>
un&#x017F;ere Sehungskraft den Willen augenblicklich dahin antreiben, oder mit der na-<lb/>
tu&#x0364;rlichen Men&#x017F;chen&#x017F;timme, oder auf unter&#x017F;chiedlichen Klingzeugen nach dem Un-<lb/>
ter&#x017F;cheid der Zeichen auch ver&#x017F;chiedene To&#x0364;ne hervorzubringen.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 3.</head><lb/>
            <p>Die Griechen &#x017F;angen u&#x0364;ber ihre Buch&#x017F;taben, welche &#x017F;ie bald liegend, bald<lb/>
&#x017F;tehend, bald nach der Seite, und auch umgekehrt hin&#x017F;etzten. Sie hatten der-<lb/>
&#x017F;elben bey 48., und bedienten &#x017F;ich keiner Linien; &#x017F;ondern iede Singart hatte ihre<lb/>
be&#x017F;ondere Buch&#x017F;taben, neben welche &#x017F;ie Puncte &#x017F;etzten, um dadurch das Zeitmaas<lb/>
anzuzeigen. <note place="foot" n="(a)"><hi rendition="#aq">Gaffurius</hi> in &#x017F;einer <hi rendition="#aq">Practica Mu&#x017F;icæ, Lib. 2. C.</hi> 2. Man le&#x017F;e auch den <hi rendition="#aq">Mar-<lb/>
cum Meibomum.</hi></note> Die&#x017F;e Puncten gaben den Alten viel zu &#x017F;chaffen; und &#x017F;ie hat-<lb/>
ten haupt&#x017F;a&#x0364;chlich zu 3. bis 4. Bedeutungen, na&#x0364;mlich: <hi rendition="#aq">Punctum Perfectionis,<lb/>
Divi&#x017F;ionis, Incrementi, et Alterationis.</hi> <note place="foot" n="(b)"><hi rendition="#aq">Zarlin. P. 3. C. 70. Glarean. L. 3. C. 4. Artu&#x017F;i l'Arte del Contrapunto. p. 71.</hi></note></p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 4.</head><lb/>
            <p>Der heil. Pab&#x017F;t <hi rendition="#b">Gregor</hi> hat die Buch&#x017F;taben abgeku&#x0364;rzet. Er hat die fol-<lb/>
gende &#x017F;ieben erwa&#x0364;hlet: A, B, C, D, E, F, G, und hat &#x017F;ie auf 7. Linien<lb/>
ge&#x017F;etzet, aus deren Ho&#x0364;he und Tiefe man die Ver&#x017F;chiedenheit der To&#x0364;ne erkennen<lb/>
konnte. Jede Linie hatte folglich ihren Buch&#x017F;taben: und man &#x017F;ang auch u&#x0364;ber<lb/>
die&#x017F;e Buch&#x017F;taben.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 5.</head><lb/>
            <p>Bey 500. Jahre hernach kam <hi rendition="#b">Guido</hi> und nahm eine merkliche Vera&#x0364;nde-<lb/>
rung vor. Er bemerkte, daß es &#x017F;ehr be&#x017F;chwerlich fiel, die Buch&#x017F;taben auszu-<lb/>
&#x017F;prechen: er vera&#x0364;nderte &#x017F;ie al&#x017F;o in 6. Syllben; die er aus der er&#x017F;ten Strofe des<lb/>
<fw type="catch" place="bottom">auf</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0043] Des erſten Hauptſtuͤcks, erſter Abſchnitt. dadurch in dem Weg ſtehet zu einem vollkommenen Grad der muſikaliſchen Wiſ- ſenſchaften zu gelangen. §. 2. Alle unſere Erkenntniß entſtehet von dem Gebrauche der aͤuſſerli- chen Sinnen. Es muͤſſen alſo nothwendig gewiſſe Zeichen ſeyn, welche durch unſere Sehungskraft den Willen augenblicklich dahin antreiben, oder mit der na- tuͤrlichen Menſchenſtimme, oder auf unterſchiedlichen Klingzeugen nach dem Un- terſcheid der Zeichen auch verſchiedene Toͤne hervorzubringen. §. 3. Die Griechen ſangen uͤber ihre Buchſtaben, welche ſie bald liegend, bald ſtehend, bald nach der Seite, und auch umgekehrt hinſetzten. Sie hatten der- ſelben bey 48., und bedienten ſich keiner Linien; ſondern iede Singart hatte ihre beſondere Buchſtaben, neben welche ſie Puncte ſetzten, um dadurch das Zeitmaas anzuzeigen. (a) Dieſe Puncten gaben den Alten viel zu ſchaffen; und ſie hat- ten hauptſaͤchlich zu 3. bis 4. Bedeutungen, naͤmlich: Punctum Perfectionis, Diviſionis, Incrementi, et Alterationis. (b) §. 4. Der heil. Pabſt Gregor hat die Buchſtaben abgekuͤrzet. Er hat die fol- gende ſieben erwaͤhlet: A, B, C, D, E, F, G, und hat ſie auf 7. Linien geſetzet, aus deren Hoͤhe und Tiefe man die Verſchiedenheit der Toͤne erkennen konnte. Jede Linie hatte folglich ihren Buchſtaben: und man ſang auch uͤber dieſe Buchſtaben. §. 5. Bey 500. Jahre hernach kam Guido und nahm eine merkliche Veraͤnde- rung vor. Er bemerkte, daß es ſehr beſchwerlich fiel, die Buchſtaben auszu- ſprechen: er veraͤnderte ſie alſo in 6. Syllben; die er aus der erſten Strofe des auf (a) Gaffurius in ſeiner Practica Muſicæ, Lib. 2. C. 2. Man leſe auch den Mar- cum Meibomum. (b) Zarlin. P. 3. C. 70. Glarean. L. 3. C. 4. Artuſi l'Arte del Contrapunto. p. 71.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mozart_violinschule_1756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mozart_violinschule_1756/43
Zitationshilfe: Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mozart_violinschule_1756/43>, abgerufen am 03.10.2024.