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Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756.

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Der Einleitung zweyter Abschnitt.
Merkur, Apollo, Orpheus, Amphion, und mehr andere bekannt. Und
wenn gleich einige sind, die behaupten wollen, daß z. E. niemals ein solcher
Mann, welcher Orpheus geheissen, auf der Welt gewesen sey; ja daß das
Wort Orpheus in der phönicischen Sprache so viel heisse, als ein weiser und ge-
lehrter Mann: so gehen doch die allermeisten Zeugnisse der Alten dahin, daß die-
ser Orpheus gelebt habe (ff). Daß viel fabelhaftes mit unterläuft, ist
ganz gewiß: doch liegen unter diesen Fabeln auch viele Wahrheiten (gg). Bis
auf die Zeiten des Pythagors gieng keine Veränderung in der Musik vor: er
aber war der erste, welcher der Töne Verhältniß mit dem Maaßstabe suchte. Da-
zu brachte ihn ein ungefährer Zufall. Denn als er einsmals in einer Schmiede
mit Hämmern von verschiedener Grösse auf den Ambos schlagen hörte, bemerkte
er die Verschiedenheit der Töne nach dem Unterschied der Schwere der Hämmer.
Er versuchte es mit zwo gleichen Seyten, an eine derselben hieng er ein Gewicht
von 6. Pfunden, an die andere ein Gewicht von 12. Pfunden, und fand bey dem
Anschlagen dieser zwoen Seyten, daß sich die zwote zu der ersten wie 2. zu 1. ver-
hielte: denn sie war die hohe Octav. Und so fand er auch die Quart, und Quint;
aber nicht die Terz, wie einige irrig glauben. Dieß war nun schon genug der
Musik eine andere Gestalt zu geben, und ein Jnstrument mit mehrern Seyten zu
erfinden, oder solches immer noch mit einer Seyte zu vermehren. Es kam aber
auch bald zu einem musikalischen Krieg: denn nach dem Pythagor kam Aristo-
xen
von Tarent, ein Schüler des Aristotels. Und da jener alles nach der
Ration und Proportion, dieser aber alles nach dem Ohr untersuchte, erwuchs
ein langwieriger Streit, welcher endlich durch den Vorschlag beygelegt wurde:

Daß
(ff) Seine Schriften sollen seyn: die Argonautica, Hymni und Praecepta de Lapi-
dibus.
Die neueste Ausgabe soll zu Utrecht 1689. von Andr. Christ. Eschen-
bach mit gelehrten Anmerkungen heraus gekommen seyn.
(gg) Zu jener Zeit als diese Männer lebeten, wurden die gelehrten Leute vergöttert.
Und eben dieses ist die Ursache, warum alles so fabelhaft läßt. Wer weis
es? Vielleicht haben die Poeten der künftigen Jahrhunderte Stoff genug
unsere heutigen Virtuosen als Götter zu besingen? Denn es scheint
wirklich als wenn die alten Zeiten wieder kommen möchten. Man pflegt
(wie man sagt) dermal schon an vielen Orten, die Gelehrten und Künstler,
mit lauter Bravo fast zu vergöttern, ohne sie mit einer andern gebühren-
den und nachdrücklichen Belohnung zu beehren. Allein, dergleichen mage-
re Lobeserhebungen sollten den Herrn Virtuosen auch eine Natur der Göt-
ter einflösen, und ihre Leiber verklären, damit sie von himmlischen Einbil-
dungen leben könnten, und nimmer einer zeitlichen Nothwendigkeit bedörf-
ten.

Der Einleitung zweyter Abſchnitt.
Merkur, Apollo, Orpheus, Amphion, und mehr andere bekannt. Und
wenn gleich einige ſind, die behaupten wollen, daß z. E. niemals ein ſolcher
Mann, welcher Orpheus geheiſſen, auf der Welt geweſen ſey; ja daß das
Wort Orpheus in der phoͤniciſchen Sprache ſo viel heiſſe, als ein weiſer und ge-
lehrter Mann: ſo gehen doch die allermeiſten Zeugniſſe der Alten dahin, daß die-
ſer Orpheus gelebt habe (ff). Daß viel fabelhaftes mit unterlaͤuft, iſt
ganz gewiß: doch liegen unter dieſen Fabeln auch viele Wahrheiten (gg). Bis
auf die Zeiten des Pythagors gieng keine Veraͤnderung in der Muſik vor: er
aber war der erſte, welcher der Toͤne Verhaͤltniß mit dem Maaßſtabe ſuchte. Da-
zu brachte ihn ein ungefaͤhrer Zufall. Denn als er einsmals in einer Schmiede
mit Haͤmmern von verſchiedener Groͤſſe auf den Ambos ſchlagen hoͤrte, bemerkte
er die Verſchiedenheit der Toͤne nach dem Unterſchied der Schwere der Haͤmmer.
Er verſuchte es mit zwo gleichen Seyten, an eine derſelben hieng er ein Gewicht
von 6. Pfunden, an die andere ein Gewicht von 12. Pfunden, und fand bey dem
Anſchlagen dieſer zwoen Seyten, daß ſich die zwote zu der erſten wie 2. zu 1. ver-
hielte: denn ſie war die hohe Octav. Und ſo fand er auch die Quart, und Quint;
aber nicht die Terz, wie einige irrig glauben. Dieß war nun ſchon genug der
Muſik eine andere Geſtalt zu geben, und ein Jnſtrument mit mehrern Seyten zu
erfinden, oder ſolches immer noch mit einer Seyte zu vermehren. Es kam aber
auch bald zu einem muſikaliſchen Krieg: denn nach dem Pythagor kam Ariſto-
xen
von Tarent, ein Schuͤler des Ariſtotels. Und da jener alles nach der
Ration und Proportion, dieſer aber alles nach dem Ohr unterſuchte, erwuchs
ein langwieriger Streit, welcher endlich durch den Vorſchlag beygelegt wurde:

Daß
(ff) Seine Schriften ſollen ſeyn: die Argonautica, Hymni und Præcepta de Lapi-
dibus.
Die neueſte Ausgabe ſoll zu Utrecht 1689. von Andr. Chriſt. Eſchen-
bach mit gelehrten Anmerkungen heraus gekommen ſeyn.
(gg) Zu jener Zeit als dieſe Maͤnner lebeten, wurden die gelehrten Leute vergoͤttert.
Und eben dieſes iſt die Urſache, warum alles ſo fabelhaft laͤßt. Wer weis
es? Vielleicht haben die Poeten der kuͤnftigen Jahrhunderte Stoff genug
unſere heutigen Virtuoſen als Goͤtter zu beſingen? Denn es ſcheint
wirklich als wenn die alten Zeiten wieder kommen moͤchten. Man pflegt
(wie man ſagt) dermal ſchon an vielen Orten, die Gelehrten und Kuͤnſtler,
mit lauter Bravo faſt zu vergoͤttern, ohne ſie mit einer andern gebuͤhren-
den und nachdruͤcklichen Belohnung zu beehren. Allein, dergleichen mage-
re Lobeserhebungen ſollten den Herrn Virtuoſen auch eine Natur der Goͤt-
ter einfloͤſen, und ihre Leiber verklaͤren, damit ſie von himmliſchen Einbil-
dungen leben koͤnnten, und nimmer einer zeitlichen Nothwendigkeit bedoͤrf-
ten.
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[15/0037] Der Einleitung zweyter Abſchnitt. Merkur, Apollo, Orpheus, Amphion, und mehr andere bekannt. Und wenn gleich einige ſind, die behaupten wollen, daß z. E. niemals ein ſolcher Mann, welcher Orpheus geheiſſen, auf der Welt geweſen ſey; ja daß das Wort Orpheus in der phoͤniciſchen Sprache ſo viel heiſſe, als ein weiſer und ge- lehrter Mann: ſo gehen doch die allermeiſten Zeugniſſe der Alten dahin, daß die- ſer Orpheus gelebt habe (ff). Daß viel fabelhaftes mit unterlaͤuft, iſt ganz gewiß: doch liegen unter dieſen Fabeln auch viele Wahrheiten (gg). Bis auf die Zeiten des Pythagors gieng keine Veraͤnderung in der Muſik vor: er aber war der erſte, welcher der Toͤne Verhaͤltniß mit dem Maaßſtabe ſuchte. Da- zu brachte ihn ein ungefaͤhrer Zufall. Denn als er einsmals in einer Schmiede mit Haͤmmern von verſchiedener Groͤſſe auf den Ambos ſchlagen hoͤrte, bemerkte er die Verſchiedenheit der Toͤne nach dem Unterſchied der Schwere der Haͤmmer. Er verſuchte es mit zwo gleichen Seyten, an eine derſelben hieng er ein Gewicht von 6. Pfunden, an die andere ein Gewicht von 12. Pfunden, und fand bey dem Anſchlagen dieſer zwoen Seyten, daß ſich die zwote zu der erſten wie 2. zu 1. ver- hielte: denn ſie war die hohe Octav. Und ſo fand er auch die Quart, und Quint; aber nicht die Terz, wie einige irrig glauben. Dieß war nun ſchon genug der Muſik eine andere Geſtalt zu geben, und ein Jnſtrument mit mehrern Seyten zu erfinden, oder ſolches immer noch mit einer Seyte zu vermehren. Es kam aber auch bald zu einem muſikaliſchen Krieg: denn nach dem Pythagor kam Ariſto- xen von Tarent, ein Schuͤler des Ariſtotels. Und da jener alles nach der Ration und Proportion, dieſer aber alles nach dem Ohr unterſuchte, erwuchs ein langwieriger Streit, welcher endlich durch den Vorſchlag beygelegt wurde: Daß (ff) Seine Schriften ſollen ſeyn: die Argonautica, Hymni und Præcepta de Lapi- dibus. Die neueſte Ausgabe ſoll zu Utrecht 1689. von Andr. Chriſt. Eſchen- bach mit gelehrten Anmerkungen heraus gekommen ſeyn. (gg) Zu jener Zeit als dieſe Maͤnner lebeten, wurden die gelehrten Leute vergoͤttert. Und eben dieſes iſt die Urſache, warum alles ſo fabelhaft laͤßt. Wer weis es? Vielleicht haben die Poeten der kuͤnftigen Jahrhunderte Stoff genug unſere heutigen Virtuoſen als Goͤtter zu beſingen? Denn es ſcheint wirklich als wenn die alten Zeiten wieder kommen moͤchten. Man pflegt (wie man ſagt) dermal ſchon an vielen Orten, die Gelehrten und Kuͤnſtler, mit lauter Bravo faſt zu vergoͤttern, ohne ſie mit einer andern gebuͤhren- den und nachdruͤcklichen Belohnung zu beehren. Allein, dergleichen mage- re Lobeserhebungen ſollten den Herrn Virtuoſen auch eine Natur der Goͤt- ter einfloͤſen, und ihre Leiber verklaͤren, damit ſie von himmliſchen Einbil- dungen leben koͤnnten, und nimmer einer zeitlichen Nothwendigkeit bedoͤrf- ten.

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Zitationshilfe: Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mozart_violinschule_1756/37>, abgerufen am 30.04.2024.