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Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756.

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Der Einleitung zweyter Abschnitt.
Daß Vernunft und Gehör zugleich urtheilen sollen. Die Ehre dieser
Vermittelung wird von einigen dem Ptolomäus, von andern dem Didymus
zuerkannt: obwohl auch einige sind, die den Didymus selbst für einen Aristo-
xener halten. Jnzwischen soll sich doch die pythagorische Lehrart 5. bis 600. Jahre
in Griechenland erhalten haben. Die, so des Pythagors Meinung beypflichteten,
wurden Canonici, die Aristoxener aber Harmonici genannt (hh). Von die-
ser Zeit bis auf die gnadenreiche Geburt unsers Erlösers, und etwa hernach bis
gegen das Jahr 500., ja gar bis gegen das Jahr Christi 1000., hat man zwar
da und dort in der Musik etwas zu verbessern gesucht; man hat mehrere Töne
ausgedacht, wie Ptolomäus die grosse Terz, und ein gewisser Olympus eini-
ge Zwischentöne (ii). Doch ist in der Hauptsache nichts geändert worden. Es
hat zwar auch gegen das Jahr Christi 502., oder 515. Boetius, ein edler Rö-
mer, die griechische Musik, so viel an ihm war, zu den Lateinern gebracht, viele
griechische Schriften in die lateinische Sprache übersetzet, und, wie viele glauben,
anstatt über die griechischen, nun über die lateinischen Buchstaben zu singen an-
gefangen. Nicht weniger hat der Heil. Pabst Gregor der Grosse, etwa im Jahr
Christi 594., sich in Verbesserung der Musik recht sehr viele Mühe gegeben; Er
hat, um die Musik in eine bessere Ordnung zu bringen, die unnöthigen Buchsta-
ben weggeschaft, und dadurch die Musik um vieles erleichtert; Jhm hat man
den gregorianischen Kirchengesang zu verdanken, u. s. f. Doch blieb es noch
immer im Grunde bey der griechischen Musik. Bis endlich Guido von Arrezo
eine sogenannte neuere Musik erfand; und zwar im Jahr Christi 1024. oder
vielleicht, nach anderer Meinung 1224.: die aber noch neuer und lebhafter wur-
de durch die Erfindung eines gewissen gelehrten Franzosen, Jean de Murs, oder
Johann von der Mauer, welcher die Musik in ein ganz anderes Licht ge-
setzet hatte (kk). Diese merkliche Veränderung soll sich nach einiger Meinung
um das Jahr Christi 1220, oder wie andere wollen 1330. oder gar 1353. zuge-

tragen
(hh) Pythagoras mag etwa um das Jahr der Welt 3430., Aristoxen aber im
3620sten gelebt haben.
(ii) Ptolomäus hat zwar das wahre Verhältniß der grossen Terz gefunden; es
war aber nur im harmonischen Geschlechte brauchbar. Joseph Zarlin, ein
Jtaliäner, hat erst das Verhältnis der grossen und kleinen Terz gefunden.
(kk) Guido war ein Benedictiner im Kloster Pomposa in dem ferrarischen Ge-
biethe. Er wurde Arretinus genannt: weil er zu Arrezo in Welschland ge-
bohren war. Was er, und Johann von der Mauer eigentlich in der
Musik gethan, wird im ersten Hauptstücke in etwas beygebracht werden.

Der Einleitung zweyter Abſchnitt.
Daß Vernunft und Gehoͤr zugleich urtheilen ſollen. Die Ehre dieſer
Vermittelung wird von einigen dem Ptolomaͤus, von andern dem Didymus
zuerkannt: obwohl auch einige ſind, die den Didymus ſelbſt fuͤr einen Ariſto-
xener halten. Jnzwiſchen ſoll ſich doch die pythagoriſche Lehrart 5. bis 600. Jahre
in Griechenland erhalten haben. Die, ſo des Pythagors Meinung beypflichteten,
wurden Canonici, die Ariſtoxener aber Harmonici genannt (hh). Von die-
ſer Zeit bis auf die gnadenreiche Geburt unſers Erloͤſers, und etwa hernach bis
gegen das Jahr 500., ja gar bis gegen das Jahr Chriſti 1000., hat man zwar
da und dort in der Muſik etwas zu verbeſſern geſucht; man hat mehrere Toͤne
ausgedacht, wie Ptolomaͤus die groſſe Terz, und ein gewiſſer Olympus eini-
ge Zwiſchentoͤne (ii). Doch iſt in der Hauptſache nichts geaͤndert worden. Es
hat zwar auch gegen das Jahr Chriſti 502., oder 515. Boetius, ein edler Roͤ-
mer, die griechiſche Muſik, ſo viel an ihm war, zu den Lateinern gebracht, viele
griechiſche Schriften in die lateiniſche Sprache uͤberſetzet, und, wie viele glauben,
anſtatt uͤber die griechiſchen, nun uͤber die lateiniſchen Buchſtaben zu ſingen an-
gefangen. Nicht weniger hat der Heil. Pabſt Gregor der Groſſe, etwa im Jahr
Chriſti 594., ſich in Verbeſſerung der Muſik recht ſehr viele Muͤhe gegeben; Er
hat, um die Muſik in eine beſſere Ordnung zu bringen, die unnoͤthigen Buchſta-
ben weggeſchaft, und dadurch die Muſik um vieles erleichtert; Jhm hat man
den gregorianiſchen Kirchengeſang zu verdanken, u. ſ. f. Doch blieb es noch
immer im Grunde bey der griechiſchen Muſik. Bis endlich Guido von Arrezo
eine ſogenannte neuere Muſik erfand; und zwar im Jahr Chriſti 1024. oder
vielleicht, nach anderer Meinung 1224.: die aber noch neuer und lebhafter wur-
de durch die Erfindung eines gewiſſen gelehrten Franzoſen, Jean de Murs, oder
Johann von der Mauer, welcher die Muſik in ein ganz anderes Licht ge-
ſetzet hatte (kk). Dieſe merkliche Veraͤnderung ſoll ſich nach einiger Meinung
um das Jahr Chriſti 1220, oder wie andere wollen 1330. oder gar 1353. zuge-

tragen
(hh) Pythagoras mag etwa um das Jahr der Welt 3430., Ariſtoxen aber im
3620ſten gelebt haben.
(ii) Ptolomaͤus hat zwar das wahre Verhaͤltniß der groſſen Terz gefunden; es
war aber nur im harmoniſchen Geſchlechte brauchbar. Joſeph Zarlin, ein
Jtaliaͤner, hat erſt das Verhaͤltnis der groſſen und kleinen Terz gefunden.
(kk) Guido war ein Benedictiner im Kloſter Pompoſa in dem ferrariſchen Ge-
biethe. Er wurde Arretinus genannt: weil er zu Arrezo in Welſchland ge-
bohren war. Was er, und Johann von der Mauer eigentlich in der
Muſik gethan, wird im erſten Hauptſtuͤcke in etwas beygebracht werden.
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[16/0038] Der Einleitung zweyter Abſchnitt. Daß Vernunft und Gehoͤr zugleich urtheilen ſollen. Die Ehre dieſer Vermittelung wird von einigen dem Ptolomaͤus, von andern dem Didymus zuerkannt: obwohl auch einige ſind, die den Didymus ſelbſt fuͤr einen Ariſto- xener halten. Jnzwiſchen ſoll ſich doch die pythagoriſche Lehrart 5. bis 600. Jahre in Griechenland erhalten haben. Die, ſo des Pythagors Meinung beypflichteten, wurden Canonici, die Ariſtoxener aber Harmonici genannt (hh). Von die- ſer Zeit bis auf die gnadenreiche Geburt unſers Erloͤſers, und etwa hernach bis gegen das Jahr 500., ja gar bis gegen das Jahr Chriſti 1000., hat man zwar da und dort in der Muſik etwas zu verbeſſern geſucht; man hat mehrere Toͤne ausgedacht, wie Ptolomaͤus die groſſe Terz, und ein gewiſſer Olympus eini- ge Zwiſchentoͤne (ii). Doch iſt in der Hauptſache nichts geaͤndert worden. Es hat zwar auch gegen das Jahr Chriſti 502., oder 515. Boetius, ein edler Roͤ- mer, die griechiſche Muſik, ſo viel an ihm war, zu den Lateinern gebracht, viele griechiſche Schriften in die lateiniſche Sprache uͤberſetzet, und, wie viele glauben, anſtatt uͤber die griechiſchen, nun uͤber die lateiniſchen Buchſtaben zu ſingen an- gefangen. Nicht weniger hat der Heil. Pabſt Gregor der Groſſe, etwa im Jahr Chriſti 594., ſich in Verbeſſerung der Muſik recht ſehr viele Muͤhe gegeben; Er hat, um die Muſik in eine beſſere Ordnung zu bringen, die unnoͤthigen Buchſta- ben weggeſchaft, und dadurch die Muſik um vieles erleichtert; Jhm hat man den gregorianiſchen Kirchengeſang zu verdanken, u. ſ. f. Doch blieb es noch immer im Grunde bey der griechiſchen Muſik. Bis endlich Guido von Arrezo eine ſogenannte neuere Muſik erfand; und zwar im Jahr Chriſti 1024. oder vielleicht, nach anderer Meinung 1224.: die aber noch neuer und lebhafter wur- de durch die Erfindung eines gewiſſen gelehrten Franzoſen, Jean de Murs, oder Johann von der Mauer, welcher die Muſik in ein ganz anderes Licht ge- ſetzet hatte (kk). Dieſe merkliche Veraͤnderung ſoll ſich nach einiger Meinung um das Jahr Chriſti 1220, oder wie andere wollen 1330. oder gar 1353. zuge- tragen (hh) Pythagoras mag etwa um das Jahr der Welt 3430., Ariſtoxen aber im 3620ſten gelebt haben. (ii) Ptolomaͤus hat zwar das wahre Verhaͤltniß der groſſen Terz gefunden; es war aber nur im harmoniſchen Geſchlechte brauchbar. Joſeph Zarlin, ein Jtaliaͤner, hat erſt das Verhaͤltnis der groſſen und kleinen Terz gefunden. (kk) Guido war ein Benedictiner im Kloſter Pompoſa in dem ferrariſchen Ge- biethe. Er wurde Arretinus genannt: weil er zu Arrezo in Welſchland ge- bohren war. Was er, und Johann von der Mauer eigentlich in der Muſik gethan, wird im erſten Hauptſtuͤcke in etwas beygebracht werden.

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Zitationshilfe: Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mozart_violinschule_1756/38>, abgerufen am 23.11.2024.