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Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756.

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Der Einleitung erster Abschnitt.
seyn müsse; daß sowohl das Dach als der Boden in der Mitte mehr Holz als
auf den Seiten haben sollen; daß übrigens eine gewisse Gleichheit in der sich
verlierenden oder allmählig wieder anwachsenden Holzdicke zu beobachten sey, und
er weis solche durch den Greifcirkel zu untersuchen, u. s. f. Woher kömmt es
denn, daß die Violinen so ungleich sind? Woher kömmt es, daß eine laut, die
andere still klinget? Warum hat diese einen, so zu sagen, spitzigen; jene einen
recht hölzernen; diese einen rauhen, schreienden; jene einen traurigen und betäub-
ten Ton? Man darf nicht viel fragen. Alles dieses rühret von der Verschieden-
heit der Arbeit her. Ein ieder bestimmet die Höhe, die Dicke, u. s. w. nach
seinem Augenmaaß, ohne sich auf einen zureichenden Grund fussen zu können:
folglich geräth es einem gut, dem andern schlecht. Dieß ist ein Uebel, welches
der Musik wirklich viel von ihrer Schönheit entziehet.

§. 6.

Jn diesem Stücke könnten die Herren Mathematiker ihren Ruhm verewi-
gen. Der gelehrte Herr M. Lorenz Mizler, hat vor einigen Jahren schon
den nie genug zu rühmenden Vorschlag gethan, eine Gesellschaft musikalischer
Wissenschaften in Deutschland anzulegen. Sie hat auch wirklich schon im Jahr
1738. ihren Anfang genommen. Es ist nur zu bedauren, daß eine solche edle
Bestrebung nach der redlichen Verbesserung der musikalischen Wissenschaften nicht
allezeit reichlich unterstützet wird. Das ganze musikalische Reich wüßte es einer
solchen gelehrten Gesellschaft nimmer genug zu verdanken, wenn sie den Jnstru-
mentmachern ein so nützbares Licht anzündete, dadurch der Musik eine unge-
meine Zierde zuwachsen könnte. Man wird es mir ia nicht verargen, wenn ich
ganz aufrichtig sage: daß an genauer Untersuchung der Jnstrumente mehr lieget,
als wenn man durch die Bemühung vieler Gelehrten endlich vom Grunde erör-
tert: warum zwo unmittelbar auf einander folgende Octaven oder Quinten nicht
wohl in das Gehör fallen. Bey rechtschaffenen Componisten sind sie ohnehin schon längst
des Landes verwiesen: und es ist genug, daß sie, wegen ihrem allzuvollkomme-
nen Verhältniß, dem aufmerksamen Ohr, da es eben eine Veränderung erwar-
tet, durch sträfliche Wiederholung zur Last fallen. Jst es denn nicht mehr in
Betrachtung zu ziehen, daß wir so wenig gute Jnstrumente sehen; daß selbige
von so ungleicher Arbeit, und von so verschiedener Klangart sind: als wenn wir
ganze Reihen papierener Jntervallen ausmessen und hinschreiben; davon oft vie-
le in der Ausübung wenig oder gar nichts nützen? Diese gelehrten Herren könn-

ten

Der Einleitung erſter Abſchnitt.
ſeyn muͤſſe; daß ſowohl das Dach als der Boden in der Mitte mehr Holz als
auf den Seiten haben ſollen; daß uͤbrigens eine gewiſſe Gleichheit in der ſich
verlierenden oder allmaͤhlig wieder anwachſenden Holzdicke zu beobachten ſey, und
er weis ſolche durch den Greifcirkel zu unterſuchen, u. ſ. f. Woher koͤmmt es
denn, daß die Violinen ſo ungleich ſind? Woher koͤmmt es, daß eine laut, die
andere ſtill klinget? Warum hat dieſe einen, ſo zu ſagen, ſpitzigen; jene einen
recht hoͤlzernen; dieſe einen rauhen, ſchreienden; jene einen traurigen und betaͤub-
ten Ton? Man darf nicht viel fragen. Alles dieſes ruͤhret von der Verſchieden-
heit der Arbeit her. Ein ieder beſtimmet die Hoͤhe, die Dicke, u. ſ. w. nach
ſeinem Augenmaaß, ohne ſich auf einen zureichenden Grund fuſſen zu koͤnnen:
folglich geraͤth es einem gut, dem andern ſchlecht. Dieß iſt ein Uebel, welches
der Muſik wirklich viel von ihrer Schoͤnheit entziehet.

§. 6.

Jn dieſem Stuͤcke koͤnnten die Herren Mathematiker ihren Ruhm verewi-
gen. Der gelehrte Herr M. Lorenz Mizler, hat vor einigen Jahren ſchon
den nie genug zu ruͤhmenden Vorſchlag gethan, eine Geſellſchaft muſikaliſcher
Wiſſenſchaften in Deutſchland anzulegen. Sie hat auch wirklich ſchon im Jahr
1738. ihren Anfang genommen. Es iſt nur zu bedauren, daß eine ſolche edle
Beſtrebung nach der redlichen Verbeſſerung der muſikaliſchen Wiſſenſchaften nicht
allezeit reichlich unterſtuͤtzet wird. Das ganze muſikaliſche Reich wuͤßte es einer
ſolchen gelehrten Geſellſchaft nimmer genug zu verdanken, wenn ſie den Jnſtru-
mentmachern ein ſo nuͤtzbares Licht anzuͤndete, dadurch der Muſik eine unge-
meine Zierde zuwachſen koͤnnte. Man wird es mir ia nicht verargen, wenn ich
ganz aufrichtig ſage: daß an genauer Unterſuchung der Jnſtrumente mehr lieget,
als wenn man durch die Bemuͤhung vieler Gelehrten endlich vom Grunde eroͤr-
tert: warum zwo unmittelbar auf einander folgende Octaven oder Quinten nicht
wohl in das Gehoͤr fallen. Bey rechtſchaffenen Componiſten ſind ſie ohnehin ſchon laͤngſt
des Landes verwieſen: und es iſt genug, daß ſie, wegen ihrem allzuvollkomme-
nen Verhaͤltniß, dem aufmerkſamen Ohr, da es eben eine Veraͤnderung erwar-
tet, durch ſtraͤfliche Wiederholung zur Laſt fallen. Jſt es denn nicht mehr in
Betrachtung zu ziehen, daß wir ſo wenig gute Jnſtrumente ſehen; daß ſelbige
von ſo ungleicher Arbeit, und von ſo verſchiedener Klangart ſind: als wenn wir
ganze Reihen papierener Jntervallen ausmeſſen und hinſchreiben; davon oft vie-
le in der Ausuͤbung wenig oder gar nichts nuͤtzen? Dieſe gelehrten Herren koͤnn-

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[7/0029] Der Einleitung erſter Abſchnitt. ſeyn muͤſſe; daß ſowohl das Dach als der Boden in der Mitte mehr Holz als auf den Seiten haben ſollen; daß uͤbrigens eine gewiſſe Gleichheit in der ſich verlierenden oder allmaͤhlig wieder anwachſenden Holzdicke zu beobachten ſey, und er weis ſolche durch den Greifcirkel zu unterſuchen, u. ſ. f. Woher koͤmmt es denn, daß die Violinen ſo ungleich ſind? Woher koͤmmt es, daß eine laut, die andere ſtill klinget? Warum hat dieſe einen, ſo zu ſagen, ſpitzigen; jene einen recht hoͤlzernen; dieſe einen rauhen, ſchreienden; jene einen traurigen und betaͤub- ten Ton? Man darf nicht viel fragen. Alles dieſes ruͤhret von der Verſchieden- heit der Arbeit her. Ein ieder beſtimmet die Hoͤhe, die Dicke, u. ſ. w. nach ſeinem Augenmaaß, ohne ſich auf einen zureichenden Grund fuſſen zu koͤnnen: folglich geraͤth es einem gut, dem andern ſchlecht. Dieß iſt ein Uebel, welches der Muſik wirklich viel von ihrer Schoͤnheit entziehet. §. 6. Jn dieſem Stuͤcke koͤnnten die Herren Mathematiker ihren Ruhm verewi- gen. Der gelehrte Herr M. Lorenz Mizler, hat vor einigen Jahren ſchon den nie genug zu ruͤhmenden Vorſchlag gethan, eine Geſellſchaft muſikaliſcher Wiſſenſchaften in Deutſchland anzulegen. Sie hat auch wirklich ſchon im Jahr 1738. ihren Anfang genommen. Es iſt nur zu bedauren, daß eine ſolche edle Beſtrebung nach der redlichen Verbeſſerung der muſikaliſchen Wiſſenſchaften nicht allezeit reichlich unterſtuͤtzet wird. Das ganze muſikaliſche Reich wuͤßte es einer ſolchen gelehrten Geſellſchaft nimmer genug zu verdanken, wenn ſie den Jnſtru- mentmachern ein ſo nuͤtzbares Licht anzuͤndete, dadurch der Muſik eine unge- meine Zierde zuwachſen koͤnnte. Man wird es mir ia nicht verargen, wenn ich ganz aufrichtig ſage: daß an genauer Unterſuchung der Jnſtrumente mehr lieget, als wenn man durch die Bemuͤhung vieler Gelehrten endlich vom Grunde eroͤr- tert: warum zwo unmittelbar auf einander folgende Octaven oder Quinten nicht wohl in das Gehoͤr fallen. Bey rechtſchaffenen Componiſten ſind ſie ohnehin ſchon laͤngſt des Landes verwieſen: und es iſt genug, daß ſie, wegen ihrem allzuvollkomme- nen Verhaͤltniß, dem aufmerkſamen Ohr, da es eben eine Veraͤnderung erwar- tet, durch ſtraͤfliche Wiederholung zur Laſt fallen. Jſt es denn nicht mehr in Betrachtung zu ziehen, daß wir ſo wenig gute Jnſtrumente ſehen; daß ſelbige von ſo ungleicher Arbeit, und von ſo verſchiedener Klangart ſind: als wenn wir ganze Reihen papierener Jntervallen ausmeſſen und hinſchreiben; davon oft vie- le in der Ausuͤbung wenig oder gar nichts nuͤtzen? Dieſe gelehrten Herren koͤnn- ten

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Zitationshilfe: Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mozart_violinschule_1756/29>, abgerufen am 30.04.2024.