Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756.Der Einleitung erster Abschnitt. Seyten nach der wahren Beschaffenheit der Jntervallen, nach welchen sie voneinander abstehen, ihre richtige Verhältnisse, und folglich die richtige Töne ge- gen einander haben. Wer sich Mühe geben will, der kann eine Probe nach ma- thematischer Lehrart machen, und zwo feine gut ausgezogene Darmseyten aussu- chen; es sey ein (A) und (E) ein (D) und (A) oder ein (D) und (G): deren iedoch iede vor sich, so viel möglich, eine gute Gleichheit hat. Das ist: der Diameter oder Durchschnitt der Seyte muß gleich groß seyn. An iede die- ser zwoen Seyten können Gewichte von gleicher Schwere gehänget werden. Sind nun die zwo Seyten recht ausgesucht; so müssen sie, bey dem Anschlagen der- selben, das Jntervall einer Quint hervorbringen. Klingt eine gegen die andere zu hoch, und überschreitet die Quint; so ist es ein Zeichen, daß selbige zu schwach ist, und man nimmt eine stärkere. Oder, man verändert die zu tief klingende, und leset sich dafür eine feinere aus: denn sie ist zu stark. Auf diese Art wird so lange fortgefahren, bis man das Jntervall einer reinen Quint gesunden; als- dann haben die Seyten ihr richtiges Verhältniß und sind wohl ausgesucht. Al- lein, wie schwer ist es nicht, solche gleichdicke Seyten anzutreffen? Sind sie nicht mehrentheils an einem Ende stärker, als an dem andern? Wie kann man mit einer ungleichen Seyte eine sichere Probe machen? Jch will also nochmalen er- inneret haben, daß man bey Auslesung der Seyten den möglichsten Fleiß an- wenden, und nicht alles so hin auf Gerathewohl machen solle. §. 5. Das bedaurlichste ist, daß unsere heutigen Jnstrumentmacher sich bey Ver- seyn (c) Die Jnstrumentmacher arbeiten heut zu Tage freilich meistentheils nur nach
Brod. Und eines theils sind sie auch nicht zu verdenken: man verlangt gute Arbeit, und will wenig dafür bezahlen. Der Einleitung erſter Abſchnitt. Seyten nach der wahren Beſchaffenheit der Jntervallen, nach welchen ſie voneinander abſtehen, ihre richtige Verhaͤltniſſe, und folglich die richtige Toͤne ge- gen einander haben. Wer ſich Muͤhe geben will, der kann eine Probe nach ma- thematiſcher Lehrart machen, und zwo feine gut ausgezogene Darmſeyten ausſu- chen; es ſey ein (A) und (E) ein (D) und (A) oder ein (D) und (G): deren iedoch iede vor ſich, ſo viel moͤglich, eine gute Gleichheit hat. Das iſt: der Diameter oder Durchſchnitt der Seyte muß gleich groß ſeyn. An iede die- ſer zwoen Seyten koͤnnen Gewichte von gleicher Schwere gehaͤnget werden. Sind nun die zwo Seyten recht ausgeſucht; ſo muͤſſen ſie, bey dem Anſchlagen der- ſelben, das Jntervall einer Quint hervorbringen. Klingt eine gegen die andere zu hoch, und uͤberſchreitet die Quint; ſo iſt es ein Zeichen, daß ſelbige zu ſchwach iſt, und man nimmt eine ſtaͤrkere. Oder, man veraͤndert die zu tief klingende, und leſet ſich dafuͤr eine feinere aus: denn ſie iſt zu ſtark. Auf dieſe Art wird ſo lange fortgefahren, bis man das Jntervall einer reinen Quint geſunden; als- dann haben die Seyten ihr richtiges Verhaͤltniß und ſind wohl ausgeſucht. Al- lein, wie ſchwer iſt es nicht, ſolche gleichdicke Seyten anzutreffen? Sind ſie nicht mehrentheils an einem Ende ſtaͤrker, als an dem andern? Wie kann man mit einer ungleichen Seyte eine ſichere Probe machen? Jch will alſo nochmalen er- inneret haben, daß man bey Ausleſung der Seyten den moͤglichſten Fleiß an- wenden, und nicht alles ſo hin auf Gerathewohl machen ſolle. §. 5. Das bedaurlichſte iſt, daß unſere heutigen Jnſtrumentmacher ſich bey Ver- ſeyn (c) Die Jnſtrumentmacher arbeiten heut zu Tage freilich meiſtentheils nur nach
Brod. Und eines theils ſind ſie auch nicht zu verdenken: man verlangt gute Arbeit, und will wenig dafuͤr bezahlen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0028" n="6"/><fw place="top" type="header">Der Einleitung erſter Abſchnitt.</fw><lb/> Seyten nach der wahren Beſchaffenheit der Jntervallen, nach welchen ſie von<lb/> einander abſtehen, ihre richtige Verhaͤltniſſe, und folglich die richtige Toͤne ge-<lb/> gen einander haben. Wer ſich Muͤhe geben will, der kann eine Probe nach ma-<lb/> thematiſcher Lehrart machen, und zwo feine gut ausgezogene Darmſeyten ausſu-<lb/> chen; es ſey ein (A) und (E) ein (D) und (A) oder ein (D) und (G):<lb/> deren iedoch iede vor ſich, ſo viel moͤglich, eine gute Gleichheit hat. Das iſt:<lb/> der Diameter oder Durchſchnitt der Seyte muß gleich groß ſeyn. An iede die-<lb/> ſer zwoen Seyten koͤnnen Gewichte von gleicher Schwere gehaͤnget werden. Sind<lb/> nun die zwo Seyten recht ausgeſucht; ſo muͤſſen ſie, bey dem Anſchlagen der-<lb/> ſelben, das Jntervall einer Quint hervorbringen. Klingt eine gegen die andere<lb/> zu hoch, und uͤberſchreitet die Quint; ſo iſt es ein Zeichen, daß ſelbige zu ſchwach<lb/> iſt, und man nimmt eine ſtaͤrkere. Oder, man veraͤndert die zu tief klingende,<lb/> und leſet ſich dafuͤr eine feinere aus: denn ſie iſt zu ſtark. Auf dieſe Art wird<lb/> ſo lange fortgefahren, bis man das Jntervall einer reinen Quint geſunden; als-<lb/> dann haben die Seyten ihr richtiges Verhaͤltniß und ſind wohl ausgeſucht. Al-<lb/> lein, wie ſchwer iſt es nicht, ſolche gleichdicke Seyten anzutreffen? Sind ſie nicht<lb/> mehrentheils an einem Ende ſtaͤrker, als an dem andern? Wie kann man mit<lb/> einer ungleichen Seyte eine ſichere Probe machen? Jch will alſo nochmalen er-<lb/> inneret haben, daß man bey Ausleſung der Seyten den moͤglichſten Fleiß an-<lb/> wenden, und nicht alles ſo hin auf Gerathewohl machen ſolle.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>§. 5.</head><lb/> <p>Das bedaurlichſte iſt, daß unſere heutigen Jnſtrumentmacher ſich bey Ver-<lb/> fertigung ihrer Arbeit ſo gar wenig Muͤhe geben. <note place="foot" n="(c)">Die Jnſtrumentmacher arbeiten heut zu Tage freilich meiſtentheils nur nach<lb/> Brod. Und eines theils ſind ſie auch nicht zu verdenken: man verlangt<lb/> gute Arbeit, und will wenig dafuͤr bezahlen.</note> Ja was noch mehr?<lb/> Daß ein ieder nach ſeinem Kopfe und Gutgeduͤnken ſo hin arbeitet, ohne einen<lb/> gewiſſen Grund in einem oder dem andern Stuͤcke zu haben. Zum Beyſpiel:<lb/> Der Geigenmacher hat etwa durch die Erfahrung zu ſeiner Regel angenom-<lb/> men, daß bey einem niedern Zarge das Dach hoͤher gewoͤlbt ſeyn muͤſſe; daß<lb/> hingegen, wenn der Zarge hoch iſt, das Dach etwas weniger gewoͤlbt und er-<lb/> hoͤhet ſeyn koͤnne: und dieß wegen der Fortpflanzung des Klanges; damit naͤm-<lb/> lich der Klang durch das Niedere des Zarges oder des Daches nicht zu ſehr un-<lb/> terdruͤcket werde. Er weis ferner, daß der Boden im Holze ſtaͤrker als das Dach<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſeyn</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [6/0028]
Der Einleitung erſter Abſchnitt.
Seyten nach der wahren Beſchaffenheit der Jntervallen, nach welchen ſie von
einander abſtehen, ihre richtige Verhaͤltniſſe, und folglich die richtige Toͤne ge-
gen einander haben. Wer ſich Muͤhe geben will, der kann eine Probe nach ma-
thematiſcher Lehrart machen, und zwo feine gut ausgezogene Darmſeyten ausſu-
chen; es ſey ein (A) und (E) ein (D) und (A) oder ein (D) und (G):
deren iedoch iede vor ſich, ſo viel moͤglich, eine gute Gleichheit hat. Das iſt:
der Diameter oder Durchſchnitt der Seyte muß gleich groß ſeyn. An iede die-
ſer zwoen Seyten koͤnnen Gewichte von gleicher Schwere gehaͤnget werden. Sind
nun die zwo Seyten recht ausgeſucht; ſo muͤſſen ſie, bey dem Anſchlagen der-
ſelben, das Jntervall einer Quint hervorbringen. Klingt eine gegen die andere
zu hoch, und uͤberſchreitet die Quint; ſo iſt es ein Zeichen, daß ſelbige zu ſchwach
iſt, und man nimmt eine ſtaͤrkere. Oder, man veraͤndert die zu tief klingende,
und leſet ſich dafuͤr eine feinere aus: denn ſie iſt zu ſtark. Auf dieſe Art wird
ſo lange fortgefahren, bis man das Jntervall einer reinen Quint geſunden; als-
dann haben die Seyten ihr richtiges Verhaͤltniß und ſind wohl ausgeſucht. Al-
lein, wie ſchwer iſt es nicht, ſolche gleichdicke Seyten anzutreffen? Sind ſie nicht
mehrentheils an einem Ende ſtaͤrker, als an dem andern? Wie kann man mit
einer ungleichen Seyte eine ſichere Probe machen? Jch will alſo nochmalen er-
inneret haben, daß man bey Ausleſung der Seyten den moͤglichſten Fleiß an-
wenden, und nicht alles ſo hin auf Gerathewohl machen ſolle.
§. 5.
Das bedaurlichſte iſt, daß unſere heutigen Jnſtrumentmacher ſich bey Ver-
fertigung ihrer Arbeit ſo gar wenig Muͤhe geben. (c) Ja was noch mehr?
Daß ein ieder nach ſeinem Kopfe und Gutgeduͤnken ſo hin arbeitet, ohne einen
gewiſſen Grund in einem oder dem andern Stuͤcke zu haben. Zum Beyſpiel:
Der Geigenmacher hat etwa durch die Erfahrung zu ſeiner Regel angenom-
men, daß bey einem niedern Zarge das Dach hoͤher gewoͤlbt ſeyn muͤſſe; daß
hingegen, wenn der Zarge hoch iſt, das Dach etwas weniger gewoͤlbt und er-
hoͤhet ſeyn koͤnne: und dieß wegen der Fortpflanzung des Klanges; damit naͤm-
lich der Klang durch das Niedere des Zarges oder des Daches nicht zu ſehr un-
terdruͤcket werde. Er weis ferner, daß der Boden im Holze ſtaͤrker als das Dach
ſeyn
(c) Die Jnſtrumentmacher arbeiten heut zu Tage freilich meiſtentheils nur nach
Brod. Und eines theils ſind ſie auch nicht zu verdenken: man verlangt
gute Arbeit, und will wenig dafuͤr bezahlen.
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