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Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756.

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Der Einleitung erster Abschnitt.
Hals der Griff; welcher also benennet wird, weil die darüber gespannten Sey-
ten dort gegriffen werden. Unten ist ein Bretchen vest gemacht, an welches die
Seyten angebunden sind, die auf einem hölzernen Stege ruhen, und ober dem
Hals in Schrauben eingezogen werden; durch derer Hülfe die Violin gestimmet
wird. Damit aber der Gewalt der über den Sattel ausgespannten Seyten das
Dach nicht niederdrücke, und dadurch der Violin den Klang benehme, so wird
in den Körper derselben unter den Steg oder Sattel ein klein Hölzchen gestecket;
welches man den Stimmstock nennet.

Am äussersten Ende bemühen sich die Geigenmacher theils eine zierliche
schneckenförmige Krümmung; theils einen wohl gearbeiteten Löwenkopf anzu-
bringen. Ja sie halten sich über dergleichen Auszierungen oft mehr auf, als
über dem Hauptwerke selbst: Daraus denn folget, daß auch die Violin, wer
sollte es meynen! dem allgemeinen Betrug des äusserlichen Scheines unterwor-
fen ist. Wer den Vogel nach den Federn, und das Pferd nach der Decke
schätzet, der wird auch unfehlbar die Violin nach dem Glanze und der Farbe
des Firnüsses beurtheilen, ohne das Verhältniß der Haupttheile genau zu unter-
suchen. Also machen es nämlich alle diejenigen, welche ihre Augen, und nicht
das Gehirn zum Richter wählen. Der schön gekraußte Löwenkopf kann eben so
wenig den Klang der Geige, als eine aufgethürmte Quarreperücke die Vernunft
seines lebendigen Perückenstockes bessern. Und dennoch wird manche Violin
nur des guten Ansehens wegen geschätzet; und wie oft sind nicht das Kleid,
das Geld, der Staat, sonderbar aber die geknüpfte Perücke jene Verdienste,
die manchen - - - zum Gelehrten, zum Rath, zum Doctor machen. Doch!
wo bin ich hingerathen? Der Eifer gegen das so gewöhnliche Urtheil nach dem
äusserlichen Scheine hat mich fast aus dem Geleise getrieben.

§. 4.

Mit vier Seyten wird die Violin bezogen, derer iede, seiner richtigen Ab-
theilung nach, grösser als die andere seyn muß. Jch sage, nach seiner richtigen
Abtheilung: Denn, wenn eine Seyte gegen die andere etwas zu schwach oder zu
stark ist, so kann unmöglich ein gleicher und guter Ton herausgebracht werden.
Sowohl die Herren Violinisten, als auch die Geigenmacher bestimmen diese
Austheilung nach dem Augenmaaß; und es ist nicht zu leugnen, daß es oft sehr
schlecht damit zugehet. Man muß in der That mit allem Fleiß an das Werk
gehen, wenn man die Violin recht rein beziehen will; und zwar so: daß die

Seyten
A 3

Der Einleitung erſter Abſchnitt.
Hals der Griff; welcher alſo benennet wird, weil die daruͤber geſpannten Sey-
ten dort gegriffen werden. Unten iſt ein Bretchen veſt gemacht, an welches die
Seyten angebunden ſind, die auf einem hoͤlzernen Stege ruhen, und ober dem
Hals in Schrauben eingezogen werden; durch derer Huͤlfe die Violin geſtimmet
wird. Damit aber der Gewalt der uͤber den Sattel ausgeſpannten Seyten das
Dach nicht niederdruͤcke, und dadurch der Violin den Klang benehme, ſo wird
in den Koͤrper derſelben unter den Steg oder Sattel ein klein Hoͤlzchen geſtecket;
welches man den Stimmſtock nennet.

Am aͤuſſerſten Ende bemuͤhen ſich die Geigenmacher theils eine zierliche
ſchneckenfoͤrmige Kruͤmmung; theils einen wohl gearbeiteten Loͤwenkopf anzu-
bringen. Ja ſie halten ſich uͤber dergleichen Auszierungen oft mehr auf, als
uͤber dem Hauptwerke ſelbſt: Daraus denn folget, daß auch die Violin, wer
ſollte es meynen! dem allgemeinen Betrug des aͤuſſerlichen Scheines unterwor-
fen iſt. Wer den Vogel nach den Federn, und das Pferd nach der Decke
ſchaͤtzet, der wird auch unfehlbar die Violin nach dem Glanze und der Farbe
des Firnuͤſſes beurtheilen, ohne das Verhaͤltniß der Haupttheile genau zu unter-
ſuchen. Alſo machen es naͤmlich alle diejenigen, welche ihre Augen, und nicht
das Gehirn zum Richter waͤhlen. Der ſchoͤn gekraußte Loͤwenkopf kann eben ſo
wenig den Klang der Geige, als eine aufgethuͤrmte Quarreperuͤcke die Vernunft
ſeines lebendigen Peruͤckenſtockes beſſern. Und dennoch wird manche Violin
nur des guten Anſehens wegen geſchaͤtzet; und wie oft ſind nicht das Kleid,
das Geld, der Staat, ſonderbar aber die geknuͤpfte Peruͤcke jene Verdienſte,
die manchen - - - zum Gelehrten, zum Rath, zum Doctor machen. Doch!
wo bin ich hingerathen? Der Eifer gegen das ſo gewoͤhnliche Urtheil nach dem
aͤuſſerlichen Scheine hat mich faſt aus dem Geleiſe getrieben.

§. 4.

Mit vier Seyten wird die Violin bezogen, derer iede, ſeiner richtigen Ab-
theilung nach, groͤſſer als die andere ſeyn muß. Jch ſage, nach ſeiner richtigen
Abtheilung: Denn, wenn eine Seyte gegen die andere etwas zu ſchwach oder zu
ſtark iſt, ſo kann unmoͤglich ein gleicher und guter Ton herausgebracht werden.
Sowohl die Herren Violiniſten, als auch die Geigenmacher beſtimmen dieſe
Austheilung nach dem Augenmaaß; und es iſt nicht zu leugnen, daß es oft ſehr
ſchlecht damit zugehet. Man muß in der That mit allem Fleiß an das Werk
gehen, wenn man die Violin recht rein beziehen will; und zwar ſo: daß die

Seyten
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[5/0027] Der Einleitung erſter Abſchnitt. Hals der Griff; welcher alſo benennet wird, weil die daruͤber geſpannten Sey- ten dort gegriffen werden. Unten iſt ein Bretchen veſt gemacht, an welches die Seyten angebunden ſind, die auf einem hoͤlzernen Stege ruhen, und ober dem Hals in Schrauben eingezogen werden; durch derer Huͤlfe die Violin geſtimmet wird. Damit aber der Gewalt der uͤber den Sattel ausgeſpannten Seyten das Dach nicht niederdruͤcke, und dadurch der Violin den Klang benehme, ſo wird in den Koͤrper derſelben unter den Steg oder Sattel ein klein Hoͤlzchen geſtecket; welches man den Stimmſtock nennet. Am aͤuſſerſten Ende bemuͤhen ſich die Geigenmacher theils eine zierliche ſchneckenfoͤrmige Kruͤmmung; theils einen wohl gearbeiteten Loͤwenkopf anzu- bringen. Ja ſie halten ſich uͤber dergleichen Auszierungen oft mehr auf, als uͤber dem Hauptwerke ſelbſt: Daraus denn folget, daß auch die Violin, wer ſollte es meynen! dem allgemeinen Betrug des aͤuſſerlichen Scheines unterwor- fen iſt. Wer den Vogel nach den Federn, und das Pferd nach der Decke ſchaͤtzet, der wird auch unfehlbar die Violin nach dem Glanze und der Farbe des Firnuͤſſes beurtheilen, ohne das Verhaͤltniß der Haupttheile genau zu unter- ſuchen. Alſo machen es naͤmlich alle diejenigen, welche ihre Augen, und nicht das Gehirn zum Richter waͤhlen. Der ſchoͤn gekraußte Loͤwenkopf kann eben ſo wenig den Klang der Geige, als eine aufgethuͤrmte Quarreperuͤcke die Vernunft ſeines lebendigen Peruͤckenſtockes beſſern. Und dennoch wird manche Violin nur des guten Anſehens wegen geſchaͤtzet; und wie oft ſind nicht das Kleid, das Geld, der Staat, ſonderbar aber die geknuͤpfte Peruͤcke jene Verdienſte, die manchen - - - zum Gelehrten, zum Rath, zum Doctor machen. Doch! wo bin ich hingerathen? Der Eifer gegen das ſo gewoͤhnliche Urtheil nach dem aͤuſſerlichen Scheine hat mich faſt aus dem Geleiſe getrieben. §. 4. Mit vier Seyten wird die Violin bezogen, derer iede, ſeiner richtigen Ab- theilung nach, groͤſſer als die andere ſeyn muß. Jch ſage, nach ſeiner richtigen Abtheilung: Denn, wenn eine Seyte gegen die andere etwas zu ſchwach oder zu ſtark iſt, ſo kann unmoͤglich ein gleicher und guter Ton herausgebracht werden. Sowohl die Herren Violiniſten, als auch die Geigenmacher beſtimmen dieſe Austheilung nach dem Augenmaaß; und es iſt nicht zu leugnen, daß es oft ſehr ſchlecht damit zugehet. Man muß in der That mit allem Fleiß an das Werk gehen, wenn man die Violin recht rein beziehen will; und zwar ſo: daß die Seyten A 3

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Zitationshilfe: Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mozart_violinschule_1756/27>, abgerufen am 23.11.2024.