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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796.

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ihren ersten Bestandtheilen so schwach sind,
dass sie sich nie über ihre Niedrigkeit oder Mit-
telmässigkeit erheben, nie zu wahrer Geistes-
grösse emporstreben können; staudenähnliche
Menschen, über die nicht nur der Starke, son-
dern jeder noch schwächere Herr werden kann,
die von andern geleitet, geführt und belebt wer-
den müssen.

Jeder Mensch darf heurathen, und bey der
Trauung in christlichen Ländern wird der Frau
verkündigt: Er soll dein Herr seyn; das heisst:
Wann er kann und wann er mag.

Jeder König und Fürst soll regieren, wann
er kann, oder wann er nicht zu untüchtig oder
zu faul dazu ist, um es lieber durch andere
thun zu lassen. Die Ursache liegt ganz nahe:
Thron und Krone, Reich und Lande kann man
erblich machen, aber nicht die Seele. Auf einen
Heinrich IV. folgt ein Ludwig XIII., auf eine
Elisabeth ein Professor Jacob; diss ist dann
der fortdauernde Fall, über den schon König
Salomo *) gejammert hat: "Wer weiss, was
der für ein Mensch werden wird, nach dem

*) Predig. II, 17. &c.
C

ihren ersten Bestandtheilen so schwach sind,
daſs sie sich nie über ihre Niedrigkeit oder Mit-
telmäſsigkeit erheben, nie zu wahrer Geistes-
gröſse emporstreben können; staudenähnliche
Menschen, über die nicht nur der Starke, son-
dern jeder noch schwächere Herr werden kann,
die von andern geleitet, geführt und belebt wer-
den müssen.

Jeder Mensch darf heurathen, und bey der
Trauung in christlichen Ländern wird der Frau
verkündigt: Er soll dein Herr seyn; das heiſst:
Wann er kann und wann er mag.

Jeder König und Fürst soll regieren, wann
er kann, oder wann er nicht zu untüchtig oder
zu faul dazu ist, um es lieber durch andere
thun zu lassen. Die Ursache liegt ganz nahe:
Thron und Krone, Reich und Lande kann man
erblich machen, aber nicht die Seele. Auf einen
Heinrich IV. folgt ein Ludwig XIII., auf eine
Elisabeth ein Professor Jacob; diſs ist dann
der fortdauernde Fall, über den schon König
Salomo *) gejammert hat: „Wer weiſs, was
der für ein Mensch werden wird, nach dem

*) Predig. II, 17. &c.
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[33/0039] ihren ersten Bestandtheilen so schwach sind, daſs sie sich nie über ihre Niedrigkeit oder Mit- telmäſsigkeit erheben, nie zu wahrer Geistes- gröſse emporstreben können; staudenähnliche Menschen, über die nicht nur der Starke, son- dern jeder noch schwächere Herr werden kann, die von andern geleitet, geführt und belebt wer- den müssen. Jeder Mensch darf heurathen, und bey der Trauung in christlichen Ländern wird der Frau verkündigt: Er soll dein Herr seyn; das heiſst: Wann er kann und wann er mag. Jeder König und Fürst soll regieren, wann er kann, oder wann er nicht zu untüchtig oder zu faul dazu ist, um es lieber durch andere thun zu lassen. Die Ursache liegt ganz nahe: Thron und Krone, Reich und Lande kann man erblich machen, aber nicht die Seele. Auf einen Heinrich IV. folgt ein Ludwig XIII., auf eine Elisabeth ein Professor Jacob; diſs ist dann der fortdauernde Fall, über den schon König Salomo *) gejammert hat: „Wer weiſs, was der für ein Mensch werden wird, nach dem *) Predig. II, 17. &c. C

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Zitationshilfe: Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796/39>, abgerufen am 23.11.2024.