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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

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und Eisenach die Rollen durch, welche man ihm
auf dem Theater verweigert hatte.

Und dieß allein war es, was ihn von der
Verzweiflung rettete, denn hätte er sich seinen
Zustand völlig so leer und abgeschmackt gedacht,
wie er wirklich war, so würde er sich selbst ganz
weggeworfen haben, und in Schmach versun¬
ken seyn.

Nun aber wurde ihm das Bitterste erträg¬
lich: am zweiten Tage, auf seiner Rückkehr
von Eisenach nach Gotha, war es gerade Sonn¬
tag, und eine drückende Hitze. Reiser kam vom
Felde durch ein Dorf und suchte Schatten, den
er nicht anders finden konnte, als auf einem grü¬
nen mit Bäumen bepflanzten Platze gerade der
Kirche gegenüber. Er ließ sich in einem Bauer¬
hause erst ein Glas Wasser geben; dann legte
er sich unter den Bäumen nieder, während daß
in der Kirche gegenüber gesungen wurde; unter
dem Singen schlief er ein, und wachte nicht eher
wieder auf, als bis der Prediger aus der Kirche
kam, mit dem sein Sohn gieng, der auch erst
von der Universität zurückgekommen war. Beide
gingen auf Reisern zu, und fragten ihn, woher

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und Eiſenach die Rollen durch, welche man ihm
auf dem Theater verweigert hatte.

Und dieß allein war es, was ihn von der
Verzweiflung rettete, denn haͤtte er ſich ſeinen
Zuſtand voͤllig ſo leer und abgeſchmackt gedacht,
wie er wirklich war, ſo wuͤrde er ſich ſelbſt ganz
weggeworfen haben, und in Schmach verſun¬
ken ſeyn.

Nun aber wurde ihm das Bitterſte ertraͤg¬
lich: am zweiten Tage, auf ſeiner Ruͤckkehr
von Eiſenach nach Gotha, war es gerade Sonn¬
tag, und eine druͤckende Hitze. Reiſer kam vom
Felde durch ein Dorf und ſuchte Schatten, den
er nicht anders finden konnte, als auf einem gruͤ¬
nen mit Baͤumen bepflanzten Platze gerade der
Kirche gegenuͤber. Er ließ ſich in einem Bauer¬
hauſe erſt ein Glas Waſſer geben; dann legte
er ſich unter den Baͤumen nieder, waͤhrend daß
in der Kirche gegenuͤber geſungen wurde; unter
dem Singen ſchlief er ein, und wachte nicht eher
wieder auf, als bis der Prediger aus der Kirche
kam, mit dem ſein Sohn gieng, der auch erſt
von der Univerſitaͤt zuruͤckgekommen war. Beide
gingen auf Reiſern zu, und fragten ihn, woher

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[85/0099] und Eiſenach die Rollen durch, welche man ihm auf dem Theater verweigert hatte. Und dieß allein war es, was ihn von der Verzweiflung rettete, denn haͤtte er ſich ſeinen Zuſtand voͤllig ſo leer und abgeſchmackt gedacht, wie er wirklich war, ſo wuͤrde er ſich ſelbſt ganz weggeworfen haben, und in Schmach verſun¬ ken ſeyn. Nun aber wurde ihm das Bitterſte ertraͤg¬ lich: am zweiten Tage, auf ſeiner Ruͤckkehr von Eiſenach nach Gotha, war es gerade Sonn¬ tag, und eine druͤckende Hitze. Reiſer kam vom Felde durch ein Dorf und ſuchte Schatten, den er nicht anders finden konnte, als auf einem gruͤ¬ nen mit Baͤumen bepflanzten Platze gerade der Kirche gegenuͤber. Er ließ ſich in einem Bauer¬ hauſe erſt ein Glas Waſſer geben; dann legte er ſich unter den Baͤumen nieder, waͤhrend daß in der Kirche gegenuͤber geſungen wurde; unter dem Singen ſchlief er ein, und wachte nicht eher wieder auf, als bis der Prediger aus der Kirche kam, mit dem ſein Sohn gieng, der auch erſt von der Univerſitaͤt zuruͤckgekommen war. Beide gingen auf Reiſern zu, und fragten ihn, woher F 3

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/99>, abgerufen am 24.11.2024.