Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.schien er sich an gar nichts mehr gebunden, und Nun war ihm aber sein Schicksal nicht ro¬ Diese von ihm selbst gemachte Erdichtung ſchien er ſich an gar nichts mehr gebunden, und Nun war ihm aber ſein Schickſal nicht ro¬ Dieſe von ihm ſelbſt gemachte Erdichtung <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0098" n="84"/> ſchien er ſich an gar nichts mehr gebunden, und<lb/> ließ ſeiner Einbildungskraft den Zuͤgel ſchießen.</p><lb/> <p>Nun war ihm aber ſein Schickſal nicht ro¬<lb/> manhaft genug. Daß er hatte Schauſpieler wer¬<lb/> den wollen, und ſein Wunſch ihm mißlungen<lb/> war, das war eine abgeſchmackte Rolle, die<lb/> er ſpielte — er mußte irgend ein Verbrechen be¬<lb/> gangen haben, das ihn in der Irre umhertrieb;<lb/> ein ſolches Verbrechen dachte er ſich nun aus:<lb/> er ſtellte ſich vor, daß er mit dem jungen Edel¬<lb/> mann, den er in H.... unterrichtete, die<lb/> Univerſitaͤt in Goͤttingen bezogen, und von die¬<lb/> ſem im Trunk zum Zweikampf genoͤthigt worden<lb/> waͤre, wo er ſich bloß vertheidigt, und jener<lb/> wuͤthend in ſeinen Degen gerannt ſey, worauf<lb/> er die Flucht genommen habe, ohne zu wiſſen,<lb/> ob jener todt oder lebend ſey.</p><lb/> <p>Dieſe von ihm ſelbſt gemachte Erdichtung<lb/> draͤngte ſich ihm bei ſeinem Herumirren im Fel¬<lb/> de, faſt wie eine Wahrheit auf, er traͤumte<lb/> davon, wenn er einſchlief; er ſah ſeinen Geg¬<lb/> ner im Blute liegen, er deklamirte laut, wenn<lb/> er erwachte, und ſpielte auf die Weiſe mit ſeiner<lb/> Phantaſie mitten auf dem Felde zwiſchen Gotha<lb/></p> </body> </text> </TEI> [84/0098]
ſchien er ſich an gar nichts mehr gebunden, und
ließ ſeiner Einbildungskraft den Zuͤgel ſchießen.
Nun war ihm aber ſein Schickſal nicht ro¬
manhaft genug. Daß er hatte Schauſpieler wer¬
den wollen, und ſein Wunſch ihm mißlungen
war, das war eine abgeſchmackte Rolle, die
er ſpielte — er mußte irgend ein Verbrechen be¬
gangen haben, das ihn in der Irre umhertrieb;
ein ſolches Verbrechen dachte er ſich nun aus:
er ſtellte ſich vor, daß er mit dem jungen Edel¬
mann, den er in H.... unterrichtete, die
Univerſitaͤt in Goͤttingen bezogen, und von die¬
ſem im Trunk zum Zweikampf genoͤthigt worden
waͤre, wo er ſich bloß vertheidigt, und jener
wuͤthend in ſeinen Degen gerannt ſey, worauf
er die Flucht genommen habe, ohne zu wiſſen,
ob jener todt oder lebend ſey.
Dieſe von ihm ſelbſt gemachte Erdichtung
draͤngte ſich ihm bei ſeinem Herumirren im Fel¬
de, faſt wie eine Wahrheit auf, er traͤumte
davon, wenn er einſchlief; er ſah ſeinen Geg¬
ner im Blute liegen, er deklamirte laut, wenn
er erwachte, und ſpielte auf die Weiſe mit ſeiner
Phantaſie mitten auf dem Felde zwiſchen Gotha
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