er käme, und wohin er ginge? er gab verwirrte Antworten, und gestand endlich, daß er wegen eines Duells, das er in Göttingen gehabt habe, flüchtig sey. Es war ihm selber, als ob ihm dieß Geständniß äußerst schwer würde, und der Gedanke an die Unwahrheit der Sache fiel ihm fast gar nicht mehr bei: denn da er einmal bloß in der Ideenwelt lebte, so war ihm ja alles das wirklich, was sich einmal fest in seine Einbil¬ dungskraft eingeprägt hatte, ganz aus allen Verhältnissen mit der wirklichen Welt hinaus¬ gedrängt, drohte die Scheidewand zwischen Traum und Wahrheit bei ihm den Einsturz.
Der Prediger nöthigte ihn in sein Haus, und wollte ihn bewirthen. -- Reiser aber, gleichsam wie von Angst getrieben, entfernte sich sobald wie möglich wieder. -- Denn er mußte in seinem imaginirten Zustande die Ge¬ sellschaft der Menschen fliehen. --
Nahe vor Gotha nöthigte ihn wiederum ein Prediger in sein Haus, der sich wohl einen halben Tag lang mit ihm unterhielt, und ihm erzählte, daß vor ein paar Jahren auch so zu Fuße, und wohlgekleidet, ein reisender Gelehr¬
er kaͤme, und wohin er ginge? er gab verwirrte Antworten, und geſtand endlich, daß er wegen eines Duells, das er in Goͤttingen gehabt habe, fluͤchtig ſey. Es war ihm ſelber, als ob ihm dieß Geſtaͤndniß aͤußerſt ſchwer wuͤrde, und der Gedanke an die Unwahrheit der Sache fiel ihm faſt gar nicht mehr bei: denn da er einmal bloß in der Ideenwelt lebte, ſo war ihm ja alles das wirklich, was ſich einmal feſt in ſeine Einbil¬ dungskraft eingepraͤgt hatte, ganz aus allen Verhaͤltniſſen mit der wirklichen Welt hinaus¬ gedraͤngt, drohte die Scheidewand zwiſchen Traum und Wahrheit bei ihm den Einſturz.
Der Prediger noͤthigte ihn in ſein Haus, und wollte ihn bewirthen. — Reiſer aber, gleichſam wie von Angſt getrieben, entfernte ſich ſobald wie moͤglich wieder. — Denn er mußte in ſeinem imaginirten Zuſtande die Ge¬ ſellſchaft der Menſchen fliehen. —
Nahe vor Gotha noͤthigte ihn wiederum ein Prediger in ſein Haus, der ſich wohl einen halben Tag lang mit ihm unterhielt, und ihm erzaͤhlte, daß vor ein paar Jahren auch ſo zu Fuße, und wohlgekleidet, ein reiſender Gelehr¬
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er kaͤme, und wohin er ginge? er gab verwirrte
Antworten, und geſtand endlich, daß er wegen
eines Duells, das er in Goͤttingen gehabt habe,
fluͤchtig ſey. Es war ihm ſelber, als ob ihm
dieß Geſtaͤndniß aͤußerſt ſchwer wuͤrde, und der
Gedanke an die Unwahrheit der Sache fiel ihm
faſt gar nicht mehr bei: denn da er einmal bloß
in der Ideenwelt lebte, ſo war ihm ja alles das
wirklich, was ſich einmal feſt in ſeine Einbil¬
dungskraft eingepraͤgt hatte, ganz aus allen
Verhaͤltniſſen mit der wirklichen Welt hinaus¬
gedraͤngt, drohte die Scheidewand zwiſchen
Traum und Wahrheit bei ihm den Einſturz.
Der Prediger noͤthigte ihn in ſein Haus,
und wollte ihn bewirthen. — Reiſer aber,
gleichſam wie von Angſt getrieben, entfernte
ſich ſobald wie moͤglich wieder. — Denn er
mußte in ſeinem imaginirten Zuſtande die Ge¬
ſellſchaft der Menſchen fliehen. —
Nahe vor Gotha noͤthigte ihn wiederum ein
Prediger in ſein Haus, der ſich wohl einen
halben Tag lang mit ihm unterhielt, und ihm
erzaͤhlte, daß vor ein paar Jahren auch ſo zu
Fuße, und wohlgekleidet, ein reiſender Gelehr¬
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/100>, abgerufen am 30.07.2024.
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