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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

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und er mußte doch wieder durch, wenn er seinen
Weg nach Mühlhausen fortsetzen wollte; und
weil er nun die gerade Straße scheute, so war
es ihm gewissermaßen lieb, wenn er sich verirrte.

Sein lateinischer Anschlagbogen half ihn auf
diesem Wege zweimal durch; einmal, da man
ihn für eine verdächtige Person hielt, weil er
keinen Paß vorzeigen könnte; und ein andermal,
da man einen Paß von ihm verlangte, daß er
nicht aus einer Gegend käme, wo damals die
Viehseuche herrschte; er zeigte seinen lateini¬
schen Anschlagbogen vor, und fügte hinzu, daß
er ein Student sey, und deswegen einen latei¬
nischen Paß bei sich führe. -- Der Dorfrichter
oder Schulze des Orts, welcher sich gegen seine
Frau, und die andern Bauren, das Ansehen
geben wollte, als ob er Latein verstände, laß
mit einer wichtigen Miene den Anschlagbogen
durch, und sagte, es sey recht gut!

Während nun Reiser diese Tage in einer Art
von Betäubung, gleichsam wie in der Irre um¬
hergieng, herrschte bloß die Imagination in
ihm; denn da er nun auf dem Felde lebte, so

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und er mußte doch wieder durch, wenn er ſeinen
Weg nach Muͤhlhauſen fortſetzen wollte; und
weil er nun die gerade Straße ſcheute, ſo war
es ihm gewiſſermaßen lieb, wenn er ſich verirrte.

Sein lateiniſcher Anſchlagbogen half ihn auf
dieſem Wege zweimal durch; einmal, da man
ihn fuͤr eine verdaͤchtige Perſon hielt, weil er
keinen Paß vorzeigen koͤnnte; und ein andermal,
da man einen Paß von ihm verlangte, daß er
nicht aus einer Gegend kaͤme, wo damals die
Viehſeuche herrſchte; er zeigte ſeinen lateini¬
ſchen Anſchlagbogen vor, und fuͤgte hinzu, daß
er ein Student ſey, und deswegen einen latei¬
niſchen Paß bei ſich fuͤhre. — Der Dorfrichter
oder Schulze des Orts, welcher ſich gegen ſeine
Frau, und die andern Bauren, das Anſehen
geben wollte, als ob er Latein verſtaͤnde, laß
mit einer wichtigen Miene den Anſchlagbogen
durch, und ſagte, es ſey recht gut!

Waͤhrend nun Reiſer dieſe Tage in einer Art
von Betaͤubung, gleichſam wie in der Irre um¬
hergieng, herrſchte bloß die Imagination in
ihm; denn da er nun auf dem Felde lebte, ſo

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[83/0097] und er mußte doch wieder durch, wenn er ſeinen Weg nach Muͤhlhauſen fortſetzen wollte; und weil er nun die gerade Straße ſcheute, ſo war es ihm gewiſſermaßen lieb, wenn er ſich verirrte. Sein lateiniſcher Anſchlagbogen half ihn auf dieſem Wege zweimal durch; einmal, da man ihn fuͤr eine verdaͤchtige Perſon hielt, weil er keinen Paß vorzeigen koͤnnte; und ein andermal, da man einen Paß von ihm verlangte, daß er nicht aus einer Gegend kaͤme, wo damals die Viehſeuche herrſchte; er zeigte ſeinen lateini¬ ſchen Anſchlagbogen vor, und fuͤgte hinzu, daß er ein Student ſey, und deswegen einen latei¬ niſchen Paß bei ſich fuͤhre. — Der Dorfrichter oder Schulze des Orts, welcher ſich gegen ſeine Frau, und die andern Bauren, das Anſehen geben wollte, als ob er Latein verſtaͤnde, laß mit einer wichtigen Miene den Anſchlagbogen durch, und ſagte, es ſey recht gut! Waͤhrend nun Reiſer dieſe Tage in einer Art von Betaͤubung, gleichſam wie in der Irre um¬ hergieng, herrſchte bloß die Imagination in ihm; denn da er nun auf dem Felde lebte, ſo F 2

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/97>, abgerufen am 22.11.2024.