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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

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Reisers Glück, das er in der Welt machen
wollte, hing jetzt im eigentlichen Sinne von sei¬
nen Schuhen ab; denn von seinen übrigen Klei¬
dungsstücken durfte er nichts veräußern, wenn
er mit Anstande erscheinen wollte: und doch
machten zerrissene Schuhe, die er durch neue
nicht ersetzen konnte, seinen ganzen übrigen An¬
zug unscheinbar und verächtlich.

Dieß versetzte ihn, indem er auf dem Wege
nach Langensalza begriffen war, in traurige und
schwermüthige Gedanken, bis ein Bauer und
ein Handwerksbursch, die eben desselben Weges
giengen, sich zu ihm gesellten, und ihn mit
Gesprächen unterhielten.

Der Handwerksbursch erzählte von seinen
Reisen in Chursachsen, und der Bauer hatte eine
Klagesache, die er selbst in Dresden bei dem
Churfürsten anbringen wollte.

Es war kurz nach Mittag und eine drückende
Hitze. Dem Handwerksburschen drückten seine
Stiefeln -- Reiser sahe mit jedem Tritte seine
Schuhe sich verschlimmern, und der Bauer
klagte über entsetzlichen Durst, als sie auf dem
Felde einige Arbeitsleute antrafen, die einen

Reiſers Gluͤck, das er in der Welt machen
wollte, hing jetzt im eigentlichen Sinne von ſei¬
nen Schuhen ab; denn von ſeinen uͤbrigen Klei¬
dungsſtuͤcken durfte er nichts veraͤußern, wenn
er mit Anſtande erſcheinen wollte: und doch
machten zerriſſene Schuhe, die er durch neue
nicht erſetzen konnte, ſeinen ganzen uͤbrigen An¬
zug unſcheinbar und veraͤchtlich.

Dieß verſetzte ihn, indem er auf dem Wege
nach Langenſalza begriffen war, in traurige und
ſchwermuͤthige Gedanken, bis ein Bauer und
ein Handwerksburſch, die eben deſſelben Weges
giengen, ſich zu ihm geſellten, und ihn mit
Geſpraͤchen unterhielten.

Der Handwerksburſch erzaͤhlte von ſeinen
Reiſen in Churſachſen, und der Bauer hatte eine
Klageſache, die er ſelbſt in Dresden bei dem
Churfuͤrſten anbringen wollte.

Es war kurz nach Mittag und eine druͤckende
Hitze. Dem Handwerksburſchen druͤckten ſeine
Stiefeln — Reiſer ſahe mit jedem Tritte ſeine
Schuhe ſich verſchlimmern, und der Bauer
klagte uͤber entſetzlichen Durſt, als ſie auf dem
Felde einige Arbeitsleute antrafen, die einen

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[40/0054] Reiſers Gluͤck, das er in der Welt machen wollte, hing jetzt im eigentlichen Sinne von ſei¬ nen Schuhen ab; denn von ſeinen uͤbrigen Klei¬ dungsſtuͤcken durfte er nichts veraͤußern, wenn er mit Anſtande erſcheinen wollte: und doch machten zerriſſene Schuhe, die er durch neue nicht erſetzen konnte, ſeinen ganzen uͤbrigen An¬ zug unſcheinbar und veraͤchtlich. Dieß verſetzte ihn, indem er auf dem Wege nach Langenſalza begriffen war, in traurige und ſchwermuͤthige Gedanken, bis ein Bauer und ein Handwerksburſch, die eben deſſelben Weges giengen, ſich zu ihm geſellten, und ihn mit Geſpraͤchen unterhielten. Der Handwerksburſch erzaͤhlte von ſeinen Reiſen in Churſachſen, und der Bauer hatte eine Klageſache, die er ſelbſt in Dresden bei dem Churfuͤrſten anbringen wollte. Es war kurz nach Mittag und eine druͤckende Hitze. Dem Handwerksburſchen druͤckten ſeine Stiefeln — Reiſer ſahe mit jedem Tritte ſeine Schuhe ſich verſchlimmern, und der Bauer klagte uͤber entſetzlichen Durſt, als ſie auf dem Felde einige Arbeitsleute antrafen, die einen

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/54>, abgerufen am 22.11.2024.