Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

Die letztern acht Tage aber, war er in einem
Zustande, den er, wenn er ihn isoliert betrach¬
tet, unter die glücklichsten seines Lebens zählen
muß.

Durch die lange fortdaurende Abspannung
hatten sich allmälig die schlafenden Kräfte wie¬
der erholt. Sein Schlummer wurde immer sanf¬
ter; durch seine Adern schien sich ein neues Leben
zu verbreiten; seine jugendlichen Hofnungen er¬
wachten wieder eine nach der andern; Ruhm und
Beifall krönten ihn wieder; schöne Träume lie¬
ßen ihn in eine goldne Zukunft blicken. Er war
von diesem langen Schlafe wie berauscht, und
fühlte sich in einem angenehmen Taumel, so oft
er von dem süßen Schlummer ein wenig auf¬
dämmerte. Sein Wachen selber war ein fortge¬
setzter Traum; und er hätte alles darum gege¬
ben in diesem Zustande ewig bleiben zu dürfen.

Wenn er daher die gefrornen Fenster ansah,
so war ihm dieß der angenehmste Anblick, weil
er dadurch genöthigt wurde, immer noch einen
Tag länger im Bette zu bleiben. Sein großes
Brodt auf dem Tische betrachtete er wie ein Hei¬
ligthum, daß er so sehr wie möglich schonen mu߬

Die letztern acht Tage aber, war er in einem
Zuſtande, den er, wenn er ihn iſoliert betrach¬
tet, unter die gluͤcklichſten ſeines Lebens zaͤhlen
muß.

Durch die lange fortdaurende Abſpannung
hatten ſich allmaͤlig die ſchlafenden Kraͤfte wie¬
der erholt. Sein Schlummer wurde immer ſanf¬
ter; durch ſeine Adern ſchien ſich ein neues Leben
zu verbreiten; ſeine jugendlichen Hofnungen er¬
wachten wieder eine nach der andern; Ruhm und
Beifall kroͤnten ihn wieder; ſchoͤne Traͤume lie¬
ßen ihn in eine goldne Zukunft blicken. Er war
von dieſem langen Schlafe wie berauſcht, und
fuͤhlte ſich in einem angenehmen Taumel, ſo oft
er von dem ſuͤßen Schlummer ein wenig auf¬
daͤmmerte. Sein Wachen ſelber war ein fortge¬
ſetzter Traum; und er haͤtte alles darum gege¬
ben in dieſem Zuſtande ewig bleiben zu duͤrfen.

Wenn er daher die gefrornen Fenſter anſah,
ſo war ihm dieß der angenehmſte Anblick, weil
er dadurch genoͤthigt wurde, immer noch einen
Tag laͤnger im Bette zu bleiben. Sein großes
Brodt auf dem Tiſche betrachtete er wie ein Hei¬
ligthum, daß er ſo ſehr wie moͤglich ſchonen mu߬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0202" n="188"/>
      <p>Die letztern acht Tage aber, war er in einem<lb/>
Zu&#x017F;tande, den er, wenn er ihn i&#x017F;oliert betrach¬<lb/>
tet, unter die glu&#x0364;cklich&#x017F;ten &#x017F;eines Lebens za&#x0364;hlen<lb/>
muß.</p><lb/>
      <p>Durch die lange fortdaurende Ab&#x017F;pannung<lb/>
hatten &#x017F;ich allma&#x0364;lig die &#x017F;chlafenden Kra&#x0364;fte wie¬<lb/>
der erholt. Sein Schlummer wurde immer &#x017F;anf¬<lb/>
ter; durch &#x017F;eine Adern &#x017F;chien &#x017F;ich ein neues Leben<lb/>
zu verbreiten; &#x017F;eine jugendlichen Hofnungen er¬<lb/>
wachten wieder eine nach der andern; Ruhm und<lb/>
Beifall kro&#x0364;nten ihn wieder; &#x017F;cho&#x0364;ne Tra&#x0364;ume lie¬<lb/>
ßen ihn in eine goldne Zukunft blicken. Er war<lb/>
von die&#x017F;em langen Schlafe wie berau&#x017F;cht, und<lb/>
fu&#x0364;hlte &#x017F;ich in einem angenehmen Taumel, &#x017F;o oft<lb/>
er von dem &#x017F;u&#x0364;ßen Schlummer ein wenig auf¬<lb/>
da&#x0364;mmerte. Sein Wachen &#x017F;elber war ein fortge¬<lb/>
&#x017F;etzter Traum; und er ha&#x0364;tte alles darum gege¬<lb/>
ben in die&#x017F;em Zu&#x017F;tande ewig bleiben zu du&#x0364;rfen.</p><lb/>
      <p>Wenn er daher die gefrornen Fen&#x017F;ter an&#x017F;ah,<lb/>
&#x017F;o war ihm dieß der angenehm&#x017F;te Anblick, weil<lb/>
er dadurch geno&#x0364;thigt wurde, immer noch einen<lb/>
Tag la&#x0364;nger im Bette zu bleiben. Sein großes<lb/>
Brodt auf dem Ti&#x017F;che betrachtete er wie ein Hei¬<lb/>
ligthum, daß er &#x017F;o &#x017F;ehr wie mo&#x0364;glich &#x017F;chonen mu߬<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0202] Die letztern acht Tage aber, war er in einem Zuſtande, den er, wenn er ihn iſoliert betrach¬ tet, unter die gluͤcklichſten ſeines Lebens zaͤhlen muß. Durch die lange fortdaurende Abſpannung hatten ſich allmaͤlig die ſchlafenden Kraͤfte wie¬ der erholt. Sein Schlummer wurde immer ſanf¬ ter; durch ſeine Adern ſchien ſich ein neues Leben zu verbreiten; ſeine jugendlichen Hofnungen er¬ wachten wieder eine nach der andern; Ruhm und Beifall kroͤnten ihn wieder; ſchoͤne Traͤume lie¬ ßen ihn in eine goldne Zukunft blicken. Er war von dieſem langen Schlafe wie berauſcht, und fuͤhlte ſich in einem angenehmen Taumel, ſo oft er von dem ſuͤßen Schlummer ein wenig auf¬ daͤmmerte. Sein Wachen ſelber war ein fortge¬ ſetzter Traum; und er haͤtte alles darum gege¬ ben in dieſem Zuſtande ewig bleiben zu duͤrfen. Wenn er daher die gefrornen Fenſter anſah, ſo war ihm dieß der angenehmſte Anblick, weil er dadurch genoͤthigt wurde, immer noch einen Tag laͤnger im Bette zu bleiben. Sein großes Brodt auf dem Tiſche betrachtete er wie ein Hei¬ ligthum, daß er ſo ſehr wie moͤglich ſchonen mu߬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/202
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/202>, abgerufen am 03.05.2024.