Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

Er konnte nun sein Haar vor der Stirn über
die Perucke schon etwas überkämmen, und wenn
er sich dann stark puderte, so hatte es einiger¬
maßen den Anschein, als ob er eigenes Haar
trüge.

Er entschloß sich also mit den Freunden, die
ihn abholten, wieder in die menschliche Gesell¬
schaft zu gehen, aber er wollte auch so viel wie
möglich, nur unter ihnen seyn, und wünschte
auch auf alle Weise entfernt und einsam zu
wohnen.

Auch diesen Wunsch suchte man ihm zu ge¬
währen. Der gutmüthige W... sprach gleich
mit seinem Onkel, dem damaligen Regierungs¬
rath und Professor Springer in Erfurt, und
stellte ihm Reisers Zustand, und sein Bedürfniß
einer einsamen Wohnung lebhaft vor.

Der Regierungsrath Springer ließ Reisern
zu sich kommen, und wenn dieser jemals auf¬
munternd angeredet, und mit wahrer Theilneh¬
mung aufgenommen wurde, so war es von die¬
sem Manne, gegen welchen Reiser die innigste
Zuneigung und Verehrung faßte.

Er konnte nun ſein Haar vor der Stirn uͤber
die Perucke ſchon etwas uͤberkaͤmmen, und wenn
er ſich dann ſtark puderte, ſo hatte es einiger¬
maßen den Anſchein, als ob er eigenes Haar
truͤge.

Er entſchloß ſich alſo mit den Freunden, die
ihn abholten, wieder in die menſchliche Geſell¬
ſchaft zu gehen, aber er wollte auch ſo viel wie
moͤglich, nur unter ihnen ſeyn, und wuͤnſchte
auch auf alle Weiſe entfernt und einſam zu
wohnen.

Auch dieſen Wunſch ſuchte man ihm zu ge¬
waͤhren. Der gutmuͤthige W... ſprach gleich
mit ſeinem Onkel, dem damaligen Regierungs¬
rath und Profeſſor Springer in Erfurt, und
ſtellte ihm Reiſers Zuſtand, und ſein Beduͤrfniß
einer einſamen Wohnung lebhaft vor.

Der Regierungsrath Springer ließ Reiſern
zu ſich kommen, und wenn dieſer jemals auf¬
munternd angeredet, und mit wahrer Theilneh¬
mung aufgenommen wurde, ſo war es von die¬
ſem Manne, gegen welchen Reiſer die innigſte
Zuneigung und Verehrung faßte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0194" n="180"/>
      <p>Er konnte nun &#x017F;ein Haar vor der Stirn u&#x0364;ber<lb/>
die Perucke &#x017F;chon etwas u&#x0364;berka&#x0364;mmen, und wenn<lb/>
er &#x017F;ich dann &#x017F;tark puderte, &#x017F;o hatte es einiger¬<lb/>
maßen den An&#x017F;chein, als ob er eigenes Haar<lb/>
tru&#x0364;ge.</p><lb/>
      <p>Er ent&#x017F;chloß &#x017F;ich al&#x017F;o mit den Freunden, die<lb/>
ihn abholten, wieder in die men&#x017F;chliche Ge&#x017F;ell¬<lb/>
&#x017F;chaft zu gehen, aber er wollte auch &#x017F;o viel wie<lb/>
mo&#x0364;glich, nur unter ihnen &#x017F;eyn, und wu&#x0364;n&#x017F;chte<lb/>
auch auf alle Wei&#x017F;e entfernt und ein&#x017F;am zu<lb/>
wohnen.</p><lb/>
      <p>Auch die&#x017F;en Wun&#x017F;ch &#x017F;uchte man ihm zu ge¬<lb/>
wa&#x0364;hren. Der gutmu&#x0364;thige W... &#x017F;prach gleich<lb/>
mit &#x017F;einem Onkel, dem damaligen Regierungs¬<lb/>
rath und Profe&#x017F;&#x017F;or Springer in Erfurt, und<lb/>
&#x017F;tellte ihm Rei&#x017F;ers Zu&#x017F;tand, und &#x017F;ein Bedu&#x0364;rfniß<lb/>
einer ein&#x017F;amen Wohnung lebhaft vor.</p><lb/>
      <p>Der Regierungsrath Springer ließ Rei&#x017F;ern<lb/>
zu &#x017F;ich kommen, und wenn die&#x017F;er jemals auf¬<lb/>
munternd angeredet, und mit wahrer Theilneh¬<lb/>
mung aufgenommen wurde, &#x017F;o war es von die¬<lb/>
&#x017F;em Manne, gegen welchen Rei&#x017F;er die innig&#x017F;te<lb/>
Zuneigung und Verehrung faßte.</p><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0194] Er konnte nun ſein Haar vor der Stirn uͤber die Perucke ſchon etwas uͤberkaͤmmen, und wenn er ſich dann ſtark puderte, ſo hatte es einiger¬ maßen den Anſchein, als ob er eigenes Haar truͤge. Er entſchloß ſich alſo mit den Freunden, die ihn abholten, wieder in die menſchliche Geſell¬ ſchaft zu gehen, aber er wollte auch ſo viel wie moͤglich, nur unter ihnen ſeyn, und wuͤnſchte auch auf alle Weiſe entfernt und einſam zu wohnen. Auch dieſen Wunſch ſuchte man ihm zu ge¬ waͤhren. Der gutmuͤthige W... ſprach gleich mit ſeinem Onkel, dem damaligen Regierungs¬ rath und Profeſſor Springer in Erfurt, und ſtellte ihm Reiſers Zuſtand, und ſein Beduͤrfniß einer einſamen Wohnung lebhaft vor. Der Regierungsrath Springer ließ Reiſern zu ſich kommen, und wenn dieſer jemals auf¬ munternd angeredet, und mit wahrer Theilneh¬ mung aufgenommen wurde, ſo war es von die¬ ſem Manne, gegen welchen Reiſer die innigſte Zuneigung und Verehrung faßte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/194
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/194>, abgerufen am 22.11.2024.