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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

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Kleidung, und er hatte nicht den Muth es von
sich abzulehnen, sondern ließ es sich gefallen,
daß man ihm ein Abendessen zubereitete, ein
Bette zum Schlafen anwies, und ihm am an¬
dern Morgen seinen Kaffee brachte. -- Den
trank er noch in Ruhe und las im Homer dazu,
als er auf einmal, wie aus einer Art von Be¬
täubung erwachte, da er sich lebhaft vorstellte,
daß er mit seiner Baarschaft, die aus einem
einzigen Dukaten bestand, nicht nur über vier¬
zig Meilen weit reisen, sondern nothwendig an Ort
und Stelle noch etwas davon übrig haben müßte.

Er bezahlte schnell seine Zeche, die ihn um
nicht weniger als den sechsten Theil seines gan¬
zen Vermögens ärmer machte; erkundigte sich
nach der Straße, die auf Seesen führte, und
wanderte mit sorgenvollen Gedanken, und schwe¬
rem Herzen aus dem Thore von Hildesheim.

Es war noch früh am Tage -- der Weg
führte ihn durch eine angenehme Gegend, wo
Wald und Flur miteinander abwechselten, und
der Gesang der Vögel ihm entgegen tönte, in¬
deß die Morgensonne auf die grünen Wipfel der
Bäume schien. --

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Kleidung, und er hatte nicht den Muth es von
ſich abzulehnen, ſondern ließ es ſich gefallen,
daß man ihm ein Abendeſſen zubereitete, ein
Bette zum Schlafen anwies, und ihm am an¬
dern Morgen ſeinen Kaffee brachte. — Den
trank er noch in Ruhe und las im Homer dazu,
als er auf einmal, wie aus einer Art von Be¬
taͤubung erwachte, da er ſich lebhaft vorſtellte,
daß er mit ſeiner Baarſchaft, die aus einem
einzigen Dukaten beſtand, nicht nur uͤber vier¬
zig Meilen weit reiſen, ſondern nothwendig an Ort
und Stelle noch etwas davon uͤbrig haben muͤßte.

Er bezahlte ſchnell ſeine Zeche, die ihn um
nicht weniger als den ſechſten Theil ſeines gan¬
zen Vermoͤgens aͤrmer machte; erkundigte ſich
nach der Straße, die auf Seeſen fuͤhrte, und
wanderte mit ſorgenvollen Gedanken, und ſchwe¬
rem Herzen aus dem Thore von Hildesheim.

Es war noch fruͤh am Tage — der Weg
fuͤhrte ihn durch eine angenehme Gegend, wo
Wald und Flur miteinander abwechſelten, und
der Geſang der Voͤgel ihm entgegen toͤnte, in¬
deß die Morgenſonne auf die gruͤnen Wipfel der
Baͤume ſchien. —

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[5/0019] Kleidung, und er hatte nicht den Muth es von ſich abzulehnen, ſondern ließ es ſich gefallen, daß man ihm ein Abendeſſen zubereitete, ein Bette zum Schlafen anwies, und ihm am an¬ dern Morgen ſeinen Kaffee brachte. — Den trank er noch in Ruhe und las im Homer dazu, als er auf einmal, wie aus einer Art von Be¬ taͤubung erwachte, da er ſich lebhaft vorſtellte, daß er mit ſeiner Baarſchaft, die aus einem einzigen Dukaten beſtand, nicht nur uͤber vier¬ zig Meilen weit reiſen, ſondern nothwendig an Ort und Stelle noch etwas davon uͤbrig haben muͤßte. Er bezahlte ſchnell ſeine Zeche, die ihn um nicht weniger als den ſechſten Theil ſeines gan¬ zen Vermoͤgens aͤrmer machte; erkundigte ſich nach der Straße, die auf Seeſen fuͤhrte, und wanderte mit ſorgenvollen Gedanken, und ſchwe¬ rem Herzen aus dem Thore von Hildesheim. Es war noch fruͤh am Tage — der Weg fuͤhrte ihn durch eine angenehme Gegend, wo Wald und Flur miteinander abwechſelten, und der Geſang der Voͤgel ihm entgegen toͤnte, in¬ deß die Morgenſonne auf die gruͤnen Wipfel der Baͤume ſchien. — A 3

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/19>, abgerufen am 25.04.2024.